Charline Dreyer

Waves


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ich: „Wie läuft es eigentlich mit deinem Blog?“

       Ein kühler Ausdruck huscht über sein kantiges Gesicht. „Pausiert.“

       „Wieso das denn?“

       „Sie war der Meinung, ich sollte mich auf meinen Abschluss konzentrieren.“

       Ich verziehe das Gesicht. „Ist klar.“

       Nach kurzem Schweigen fügt er hinzu: „Es war unfassbar. Ich saß manchmal so rum und habe locker skizziert ... und kaum kam sie in meine Nähe ...“, er lacht kurz tonlos auf, „war meine Inspiration gleich null. Wie eine kalte Dusche. Ihre Anwesenheit allein war schon ... Abstumpfend. Sie hatte eben immer eine kühle Ausstrahlung. Kontrolliert und … irgendwie glatt.“

       „Ihr scheint euch ja wahnsinnig begehrt zu haben“, erwidere ich, aber ich kann sofort verstehen, was er meint. Seine Beschreibung trifft absolut auf meine beste … ex beste Freundin zu.

       „Weißt du, die schlechten Eigenschaften eines Menschen übersieht man leider immer sehr schnell, wenn man von der Liebe berauscht ist.“

       „Von der Liebe berauscht?“, frage ich prustend.

       „Es ist doch so, oder?“

       Verwirrt blinzele ich. „Ach, das meintest du ernst?“ Schade nur, dass Joe ein so guter Mensch ist, dass ich scheinbar vergeblich nach schlechten Eigenschaften suchen muss. Außer natürlich der Tatsache, dass er mich betrogen hat. „Ich muss sagen, ohne die tägliche Dosis Isabella entwickelst du dich zu einem richtigen Softie.“ Ich kann nicht aufhören über seine Worte zu lachen und er sieht mich amüsiert an. Ich kann nicht sagen, was es ist. Aber Elijah hat etwas an sich, was mich ständig zum lächeln bringt. Eine losgelöste, lockere Art, die trotz dieser deprimierenden Situation einfach gut tut.

       „Sie hat immer versucht, mich abzuhärten, das stimmt schon“, sagt er jetzt achselzuckend.

       „Es ist wirklich erschreckend, wie man sich von anderen Menschen beeinflussen lässt, nicht wahr?“ Wieder ernst beobachte ich, wie er mit der Hand über seinen Bart fährt. Eine geschmeidige Bewegung, die ein leises Kratzen erzeugt. „Ist es“, stimmt er zu und steht auf. „Mir wird das jedenfalls nie wieder passieren.“

       Ohne ebenfalls aufzustehen, komme ich aufs eigentliche Thema zurück und frage stöhnend: „Was machen wir denn jetzt?“

       Auch wenn er ganz genau weiß, dass ich auf unser momentanes Problem „Such den Exfreund/die Exfreundin“ anspiele, lenkt er gekonnt ab. „Also ... Ich weiß nicht was du machst, aber ich werde mich jetzt umziehen, schwimmen gehen und das Paradies genießen. Es ist Urlaub!“ Schmunzelnd ignoriert er also erneut die Tatsache, dass Joe und Isabella offensichtlich spurlos verschwunden sind.

      Weißrosa trifft auf Granit

       Look at me standing

       Here on my own again

       Up straight in the sunshine.

       Seeed

      A D E L I N E

      Das Atmen erscheint mir schwerer und schwerer, je länger sie weg sind. Es liegt etwas in der Luft, ich kann es schwer beschreiben, es elektrisiert sie und härtet sie und es verzögert irgendwie die Sauerstoffregulation in meinen Lungen, jedenfalls muss es etwas in der Art sein, denn ich sitze keuchend am Meer. Schweißperlen benetzen meine Stirn, so wie ich nach Atem ringe, meine Augen brennen vom Salzwasser, mein Haar klebt mir nass am Rücken, im Gesicht. Der Atlantik ist kühl und zog mich in seine Tiefen, je weiter ich vom Ufer abkam. Es war mir egal. Ich brauchte sie, die dunklen Wassermassen, die mich wogen und trösteten, mir das Gefühl gaben, geborgen zu sein.

       Geborgenheit. Ein Privileg, welches ich mit Joe erfahren durfte. Er gab mir Geborgenheit. Zuflucht. Er war mein Fels, hielt mich und umarmte mich, wann immer es mir schlecht ging. Wo ist dieser Fels jetzt? Bei Isabella? Ich muss würgen, mein Hals ist wie zugeschnürt und ich stürze vornüber in den Sand. Ich versuche gar nicht erst, mich wieder aufzurichten, bleibe einfach liegen und warte auf die Tränen. Doch sie bleiben aus. Bis auf dieses brennende Knistern in den Lungen, als hätte ich Wasser geschluckt. Hatte ich nicht. Ich bin eine gute Schwimmerin. Ich schwimme gerne im Meer. Lieber im Ozean, als in einem gechlorten, überfüllten Pool mit abgenutzten Pflastern und Babyscheiße darin. Ich liebe es, wie mein Haar vom Salzwasser klebt, wie meine Haut schmeckt, wenn es auf mir verdunstet und wie es riecht. Herrgott, nichts riecht so gut wie das Meer.

       „Hey!“, schreit Elijah vom Haus aus und macht Anstalten, die hölzerne Treppe zum Strand mit einem Mal zu nehmen, einfach herunter zu springen. Als ich nicht reagiere, tut er es tatsächlich, landet sogar auf beiden Beinen aber verzieht das Gesicht, hält sich den Knöchel. Verdammter Depp. „Hey! Ads!“, schreit er und humpelt so schnell es ihm möglich ist, auf mich zu. Ich liege in Embryonalstellung am Ufer, die Wellen rollen gemächlich über meine Beine, decken mich zu.

       „Was?“, krächze ich.

       „Alles okay?“

       „Sieht man doch“, erwidere ich trocken.

       „Also ich weiß nicht, für mich sieht es verdächtig danach aus, als würdest du sterben.“

       „Vielleicht tue ich das ja.“

      Er schnaubt und will mich am Arm hochziehen, doch ich entreiße mich ihm und drehe mich auf den Rücken. „Was machst du denn? Du bist ganz kalt.“

       „Ich denke über Joe nach“, antworte ich wahrheitsgemäß.

       „Was denn, ohne zu kotzen?“, witzelt er, wieder einmal spricht er etwas aus, was unausgesprochen hätte bleiben sollen. Er ist taktlos, das hat mich immer schon an ihm gestört. Anders als Joe. Joe wusste immer, wann man besser den Mund halten sollte. Ich seufze tief, blinzele ins gleißende Sonnenlicht.

       „Du holst dir einen Sonnenbrand“, gibt er jetzt sachlich zu bedenken, stellt sich mir ins Licht und stützt beide Hände in die Hüften.

       „Steht dir nicht, dieses Mütterliche.“

       „M- mütterlich? Ich geb' dir gleich mütterlich ...“, er kratzt sich am Nacken, zieht grübelnd die Brauen zusammen, als müsse er meinen Kommentar nach Richtigkeit überprüfen, ob ich nicht tatsächlich ins Schwarze getroffen habe.

       „Leg dich zu mir“, sage ich tonlos.

       „Unter anderen Umständen gerne“, sagt er neckend, bemerkt dann wieder viel zu spät wie unangebracht das war und verbessert sich knapp: „Nein, das werde ich nicht.“

       „Warum nicht?“

       „Ads ...“

       „Ich will einfach verstehen, ich will wissen, warum. Ehe ich es nicht weiß, kann ich nicht mit dem Nachdenken aufhören.“

       „Wir fragen sie einfach, wenn sie zurückkommen“, antwortet er gelassen, zuckt die muskulösen Schultern. Sein kakifarbenes Shirt sitzt eng an den Oberarmen, bedeckt die Hälfte seines obersten Tattoos. Das oberste Tattoo ... es geht von der Armbeuge bis zum Schlüsselbein. Eine Verästelung aus Buchstaben und Zweigen, Palmblättern, abstrakten Formen, nach deren Bedeutung ich immer fragen wollte. Aber jemanden nach seinem Tattoo zu fragen, hat etwas Intimes und ich wollte nie mit Elijah intim werden. Es wäre mir unangenehm. „Wenn sie zurückkommen.“

       „Nun, ihnen bleibt wohl nichts anderes übrig.“

       „Nicht?“, ich schaue ihm in die sturmgrauen Augen und er brummt zur Antwort etwas Unverständliches. „Wenn sie entführt wurden und unseretwegen sterben, weil wir zu verletzt und zu faul waren, die Cops zu rufen ...“

       „Adeline“, stöhnt er kopfschüttelnd. „Jetzt reiß dich zusammen, das ist ja fürchterlich. Diese dramatischen, düsteren Gedanken, die du hast, sie werden langsam ansteckend.“

       „Vielleicht wirst du dir dann