Axel Birkmann

Tödlicher Aufguss


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weiß ich nicht. Kreithmeier, Alois Kreithmeier, Sie suchen doch mich. Es wird eher so sein, dass ich etwas für Sie tun muss.«

      »Herr Kreithmeier. Schön dass Sie mich heute noch zurückrufen. Doktor Wahlmeier aus dem Erdinger Krankenhaus hat Sie gesucht.«

      »Und was will er?«

      »Das hat er mir nicht gesagt, es muss aber dringend sein, denn sonst hätte er mich nicht beauftragt Sie zu finden. Und ich soll Ihnen ausrichten, Sie könnten ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen. Ich gebe Ihnen mal seine Privatnummer. Haben Sie etwas zu schreiben?«

      »Einen Moment.«

      Kreithmeier zog einen Notizblock mit einem Bleistift aus der Tasche. Mit der linken Hand klemmte er sich das Telefon ans Ohr und mit der Rechten notierte er die Telefonnummer des Arztes. Dann bedankte er sich und legte auf.

      »Was ist los?«, fragte Melanie neugierig.

      »Keine Ahnung. Ein Dr. Wahlmeier sucht mich. Kreiskrankenhaus Erding. Ich rufe ihn mal besser an. Soll wichtig sein.«

      »Wahlmeier, Doktor Wahlmeier«, meldete sich am anderen Ende der Leitung eine tiefe brummige Stimme.

      »Alois Kreithmeier, Sie suchen nach mir Herr Doktor. Was gibt es denn? Wer ist denn gestorben?«

      Kreithmeier stellte den Lautsprecher ein, so dass Melanie mithören konnte.

      »Ich habe mich schon gewundert, wer so spät noch bei mir zu Hause anruft. Sind Sie es, Hauptkommissar Kreithmeier, unsere kleine Berühmtheit im Landkreis.«

      Der Kommissar war muffig: »Kommen Sie bitte auf den Punkt. Warum sollte ich Sie heute Nacht noch anrufen?«

      »Das kann ich Ihnen nicht alles am Telefon erklären. Nur so viel. Das Rote Kreuz hat uns heute Nachmittag einen Toten gebracht. Aus der Therme. Er ist angeblich einem Herzanfall im Saunatrakt erlegen. So der erste Befund. Gegen Abend habe ich mir den Leichnam noch einmal angesehen und etwas Erstaunliches entdeckt. Und das will ich Ihnen zeigen.«

      »Und das hat nicht bis morgen Zeit. Wir wollten noch etwas essen und trinken. Wir kommen gerade aus dem Kino.«

      »Ich fliege morgen früh auf einen Kongress nach Hamburg. Für zwei Tage. Sie müssen kommen. Es hilft nichts. Wo sind Sie?«

      »Auf dem Weg nach Freising.«

      »Gut. Treffen wir uns in einer halben Stunde im Kreiskrankenhaus Erding. Fragen Sie nach mir an der Pforte. Und sprechen Sie im Moment mit Niemandem. Ich erwarte Sie. Bis dann.«

      Der Arzt hatte aufgelegt.

      »Was war denn das?«, fragte Melanie.

      »Ich weiß es nicht. Also los. Fahr auf die Autobahn. Energie, Scotty, Energie. Wir fahren nach Erding. Los geht’s!«

      »Bist du dir da ganz sicher?«

      »Ja. Es klang wirklich ernst.«

      »Und unser Bierchen?«, fragte sie etwas enttäuscht.

      »Muss warten. Wie hieß der Film doch gleich?«, fragte ihr Kollege.

      »Biss zum Abendrot.«

      »Na mir würde jetzt einen bisschen Abendbrot reichen. Fahr, wenn wir in Erding sind, kurz beim Macky vorbei.«

      »Alois!«

      »Ich weiß, ich weiß, aber ich habe Hunger. Weißt du wo in Erding der McDonalds ist?«

      »Ja und die Klinik ist nicht weit von unserer Dienststelle entfernt. Auch in der Bajuwarenstrasse.«

      »Richtig. Energie Scotty, Energie.«

      »Nerv mich nicht mit diesem antiquarischen Startrek Scheiß.«

      »Schon gut Misses Spock. Schon gut.«

      Das Kreiskrankenhaus Erding ist ein unansehnlicher Komplex von rechteckigen Gebäuden, die während seiner 35 jährigen Bestehungszeit immer wieder renoviert, erweitert oder umgebaut wurden. Seit ein paar Jahren ist das Kreiskrankenhaus Erding offizielles Lehrkrankenhaus der Technischen Universität München. Die Studierenden haben hier die Möglichkeit in den verschiedenen Abteilungen und Fachbereichen ihr praktisches Jahr zu absolvieren.

      Melanie fuhr auf den Besucherparkplatz und parkte den Wagen auf dem fast leeren Gelände. Besucher wurden um diese Zeit nicht mehr hineingelassen. Alois packte den Müll von McDonalds in eine Tüte und stieg aus.

      An der Pforte stellten sie sich kurz vor und fragten nach Dr. Wahlmeier.

      »Haben Sie einen Papierkorb?«, fragte er die Dame am Empfang.

      »Ja, natürlich.«

      Kreithmeier reichte ihr mit einem verführerischen Lächeln auf den Lippen die braune Papiertüte mit dem gelben M und sagte höflich »Danke«. Ohne einen Kommentar warf die Dame den Müll in ihren Papierkorb. Ihr aufgesetztes Lächeln hatte sich in einen bitterbösen Blick verwandelt.

      »Fahren Sie mit dem Aufzug in den Keller. Der Doktor erwartet Sie. Dort hinten.«

      Sie zeigte auf eine Edelstahltür im Korridor.

      »Danke!«

      Dr. Wahlmeier erwartete vor dem Aufzug die beiden Polizisten. Ohne große Begrüßung bat er sie ihm zu folgen. Der Doktor war ein stattlicher Mann von über 1,90 Größe und in den besten Jahren. Er hatte einen grünen OP-Anzug an, eine weiße Haube auf dem Kopf und an den Händen Hygienehandschuhe. Sein Gesicht war markant, die wenigen Haare, die unter der Haube hervor schienen, waren leicht ergraut. Sein Schritt kräftig, fast militärisch. Dr. Wahlmeier sah für Alois Kreithmeier nicht wie ein Arzt aus. Hätte er ihn ohne seinen Beruf zu wissen, auf der Straße angetroffen, hätte er bei ihm auf Bauunternehmer oder Bundeswehroffizier getippt. Vielleicht hatte er ja gedient, als Stabsarzt beim Heer.

      »Kommen Sie, folgen Sie mir«, rief er immer wieder mal kurz nach hinten, während er mit eiligem Schritt durch die Katakomben des Erdinger Krankenhauses stolzierte. Melanie und Alois mussten sich anstrengen mit dem großgewachsenen Mann Schritt zu halten. In einem weiß gekachelten Raum mit Edelstahlschränken an beiden Längsseiten blieb er stehen und sagte:

      »Hier drinnen liegt der Tote aus der Therme. Ich geh davon aus, dass Sie schon einige Leichen gesehen haben, brauche also mit keinen Überreaktionen Ihrerseits zu rechnen. Und ziehen Sie die bitte an.«

      Ohne auf eine Antwort zu warten, warf er jedem ein Paar AIDS Handschuhe zu, öffnete eine Stahltür des Kühlregals, zog eine Edelstahlbahre auf Rädern aus einem der Fächer und stellte sie mitten in den Raum. Auf der Bahre lag ein Toter, der mit einem weißen Tuch abgedeckt war.

      »Fahren wir den Toten in den Sektionsbereich. Da haben wir mehr Platz.«

      Dr. Wahlmeier öffnete eine Tür und schob die Leiche auf dem Gestell in einen anliegenden Raum.

      Der Raum sah aus wie eine Metzgerei, dachte Kreithmeier. Alles war in Edelstahl gehalten. Mitten im Raum standen drei schwere Tische mit Waschbecken, einer Ablaufrinne und einem Wasseranschluss. Halogenlampen und Strahler gaben dem Raum etwas Futuristisches, wie aus einem Science Fiction Film. Alles glänzte, alles war klinisch sauber. Es war schwierig für ihn, sich vorzustellen, wie hier unten an Leichen herum geschnippelt wurde.

      Der Doktor hatte den Wagen neben einen der Seziertische gestellt und schob die Wanne mit dem Toten auf das Gestell. Obwohl Kreithmeier schon ein paar Mal in der Pathologie, in Freising oder auch in München gewesen war, war dies ein Platz, an dem er sich unbehaglich fühlte.

      Er hoffte insgeheim, dass er nie eines unnatürlichen Todes sterben müsste, denn dann würde auch er hier aufgebahrt und ausgeweidet wie ein Truthahn zum Erntedankfest. Es schüttelte ihn. Melanie nahm das alles nicht mit. Sie starrte das weiße Tuch an, wie ein Zuschauer der darauf wartete, dass der Magier ein weißes Kaninchen darunter hervor zauberte. Ihr Blick verriet Neugier, Interesse und eine hohe Erwartungshaltung.

      Kreithmeier konzentrierte sich wieder auf den Arzt, nachdem er die Sektionsabteilung der Erdinger Pathologie eingehend mit seinen Augen abgetastet