Ulf Imwiehe

Gut Nass


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und ab wippende Kugelrümpfe wühlen sich durchs dunstige Schwimmerbecken, einige die Arme von sich werfend, prustend, plaudernd, andere zielstrebig und schnurgerade wie fleischige Lokomotiven. Im Nichtschwimmerbecken dominiert die Geselligkeit. Weiße Schädel regieren das Bad um diese Uhrzeit, alterlos zweifarbig gestreifte Badekappen, und die üblichen verbissenen Büroathleten, die sich für einen langen Tag in Schlüters Verwaltung und Führungsgremien stählen, den Anzug im Garderobenschrank.

      Dunkelgelblich schwärt der blasse Himmel an den Rändern. Sieht aus, als würde das Wetter bald umschlagen. Werden wir wohl doch noch die Halle zusätzlich aufmachen müssen, diese Woche. Wenn es Regen geben sollte. Und das bei der Personalknappheit, jetzt wo eine Fachkraft wegen, wie Caruso sagen würde, akuten Arschzukneifens fehlt.

      Anita verstaut ihre Wechselkasse neben den Aktenordnern für die Jahreskartenanträge im kleinen Sideboard hinter sich und blickt mich durch die Glasscheibe an. Ich stelle meinen Becher auf das Sims vor der Gelddurchreiche und lehne mich der Sprechöffnung entgegen. Mit chemischem Biss kriecht Haarspray in meine Nase. Ihre bienenkorbige rotschwarz getönte Frisur sitzt gewohnt betonsicher.

      »Den hat Viktor gemacht«, sagt sie. »Den Kaffee.« Dann dreht sie Holm-Rüdiger Andersen und mir den Rücken zu und beginnt, ihr Wechselgeld nachzuzählen. »Moin, Flex«, fügt sie halbherzig hinzu.

      Ich versuche, Holm-Rüdiger Andersens Reaktion auf diese Unhöflichkeit aus den Augenwinkeln abzuschätzen, doch der saugt unbeeindruckt, das Gesicht in den Kaffeedampf seines Bechers getaucht, die Tranquilität des frühmorgendlichen Bades mit strahlenden Augen in sich ein.

      »Äh, ja«, knurre ich, reiße mich dann zusammen und tue vital. »Also, Herrn Andersen hast du ja gestern kennengelernt. Ich werd ihn heute mal ein bisschen rumführen, dass er sich ein Bild von unserem kleinen nassen Märchenreich hier machen kann.«

      »Moin, Herr Andersen«, leiert Anita.

      »Moin, Frau Bardowitsch!« jauchzt dieser fast. »Alles frisch so früh am Morgen?«

      Anita wendet sich mir zu und sieht mich misstrauisch an.

      »Ach, Pardon«, charmiert Holm-Rüdiger Andersen geistesgegenwärtig. »Ihren Namen kenne ich aus den Dienstplänen. Die durfte ich nämlich bereits unter die Lupe nehmen. Und außerdem«, er klopft sich mit gewölbter Hand auf die linke Brust. Anita blickt an sich herunter und hebt pikiert die Brauen.

      »Namensschild«, erklärt Holm-Rüdiger Andersen in versöhnlichem Schmeichelton, Anitas sengendes Starren ungeniert genießend.

      »Sag mal, Anita«, versuche ich die Duellantenstimmung zu befrieden. »Was ist das eigentlich immer für eine Melodie die du da pfeifst? Das ist doch von Abba, oder?«

      »Warum?« fragt sie mich mit einem Gesicht wie eine Faust. »Darf man hier noch nicht mal mehr ein Lied pfeifen wenn man gute Laune hat?« Sie lässt ihren Donnerblick über uns wandern und setzt dann nach: »Gute Laune hatte, meine ich. Hatte...«

      »Nee, Anita, nein, nein, nun hör mal auf! Ich find nur die Melodie so toll und ich weiß einfach nicht wo ich's hinstecken soll.«

      »Paganini«, strahlt Holm-Rüdiger Andersen. »Concerto Nr. 4 für Violine und Orchester in d-Moll. Das ist die einleitende Melodie im Allegro Maestoso

      Er atmet tief durch und schmettert: »Da-Da-Da-Daa-Daa-Daaa-dadadadadadadadadadada-Daaa-Da!«

      Ich drehe meinen Becher auf dem Sims hin und her, führe ihn zum Mund, vergesse jedoch, zu trinken und setze ihn wieder ab. Anita klappert verlegen mit ihrer Wechselkasse.

      »Kann sein. Hab da glaub ich mal vor Jahren so eine CD-Box beim Rossmann gekauft.«

      »Musik«, grinst Holm-Rüdiger Andersen. »Ist meine, ich sag mal, große Leidenschaft. Ob Sie's glauben oder nicht, ich hab sogar mal Kirchenmusik studiert in Heidelberg. Bis meine Faszination für Wirtschaft und Zahlen mich dazu bewog, abzubrechen und auf BWL umzusteigen.«

      Er nippt an seinem Becher und inhaliert die Forstbadfrühe. Glänzend betrachtet er die fern rauschenden Schwimmbecken. Er lächelt leise in sich hinein und seufzt: »Irgendwie leben wir doch alle in mehreren Welten zugleich, oder Herr Freiwaldt?«

      »So was in der Art erzählt mir meine Freundin auch immer«, antworte ich und versuche, nicht zu unwirsch zu klingen.

      »Ah, die Psychologin«, freut sich Holm-Rüdiger Andersen und fügt auf meinen verdutzen Blick hinzu: »Ach, das weiß ich von Frau Sarge-Albenbrecht, die hat mich ja ein wenig zu Ihrer Person gebrieft vorher.«

      Verdammt, Tante Heidi! Inwieweit mein Privatleben mit dieser ganzen Geschichte zu tun hat, muss sie mir bei Gelegenheit mal erklären. Was sie sicher nicht können und wollen wird.

      »Also, um genau zu sein studiert sie noch. In Bremen«, erkläre ich und gebe mir alle Mühe, Anitas hämisches Grinsen zu ignorieren. Das wird mir jetzt aber zu blöd hier! Entschlossen schnappe ich mir meinen Becher und richte mich straff auf, voller als Tatendrang verkleideten Fluchtimpulses.

      »Na, äh, wollen wir dann, Herr Andersen? Dann mach's mal gut, Anita und lass dir die Zeit nicht zu lang werden.«

      Ohne mich einer Antwort zu würdigen, widmet sie sich der Kontrolle ihres museal eisernen Kartenspenders und gleicht den Zählerstand auf den bunt daraus ragenden Zungen der Rollenbilletts mit dem Endstand auf der Abrechnung vom Vorabend ab. Ihr Pfeifen verfolgt uns auf unserem Weg Richtung Nichtschwimmerbecken.

      Paganini. So ein Quatsch.

      »Ganz schön rustikales Kassensystem, was Sie da noch betreiben, Herr Freiwaldt«, stellt Holm-Rüdiger Andersen in neutralem Tonfall fest. »Um nicht zu sagen antik. So ganz ohne PC und Kartendrucker, alles noch mit diesen alten Papptickets und per Hand.«

      »Funktioniert aber sehr gut.«

      Ich denke an den alten Klamm, der sich stets mit der apokalyptischen Wut eines belagerten Dachses gegen die Einführung eines Computer gesteuerten Kassensystems gewehrt hatte.

      »Je weniger Arbeitsschritte, desto weniger potentielle Fehlerquellen. Keine Softwareabstürze, keine Lizenzen für die Technik, keine Wartung und man muss keine Angst vor Stromausfällen haben.« Habe ich irgendein Klamm-Zitat vergessen? Ich erwidere den Gruß vom Gummi-Nolte, dem pensionierten Sportlehrer der Grundschule, der selbst mit siebzig noch mehr federnden Schwung im Gang hat als ich, trotz all meiner Schwimmerei, so ein Arsch.

      »Außerdem haben unsere Leute gerne was in der Hand«, füge ich albernerweise hinzu als wir vor dem ersten Durchschreitebecken stehen bleiben, das die Wiese vom Umgang des Nichtschwimmerbeckens trennt.

      Im schlürfend ablaufenden Wasser wirbelt Viktor, ohne aufzusehen, in viel zu großen schwarzen Gummistiefeln mit dem Schrubber und schäumt die knöchelhohen Schmutzränder an den Seitenfliesen ein. Speckiges Grau rinnt in den Abfluss und alles wird wieder himmelblau. Viktor, der junge Frühlingsgott. Eingerahmt von den sich wohlwollend über ihn neigenden Kaltwasserduschen ist er ganz vertieft in sein hygienisches Werk. Er stellt Eimer und Schrubber beiseite, lassot seinen festen roten Schlauch zu sich und schnappt die Steckkupplung an den Wasserhahn.

      »Moin Viktor!« rufe ich, bevor er den Hahn aufdrehen kann und er springt doch tatsächlich einen halben Meter in die Höhe, ringt um Balance im flachen seifigen Fußbassin. Sein Mund mahlt erschrocken auf und zu. Er sieht mich an, als habe ich ihn dazu aufgefordert, sofort alles von sich zu werfen und sich nackt mit Caruso im Schlammcatchen zu messen. Sein Rehblick irrt verzweifelt von Hahn zu Seifeneimer zu Schlauch zu mir. Wie immer möchte ich ihn umarmen und schütteln. Viktor, den Stillen, den Fleißigen, den Traurigen, der sich in jede Arbeit mit dem Eifer des pathologisch Schüchternen stürzt, auf der ewigen Suche nach geschäftiger Unsichtbarkeit. Ein bleiern zwinkernder Schweißtropfen rinnt aus seiner dunkelblonden Riesenkinderfrisur. Ich erinnere mich, wie ich, kurz nachdem er vor zwei Jahren seine Ausbildung im Forstbad begonnen hatte, neben ihm im Aufsichtsturm saß, das Wasser im Freibad kochte vor Ferienfleisch, und ihm, nachdem er eine geschlagene halbe Stunde weder ein Wort gesagt noch sich großartig bewegt hatte, mit ausgestellt professionellem Gestus ans Handgelenk griff und dabei auf meine Armbanduhr sah.