Ulf Imwiehe

Gut Nass


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ab, legt sein iPad auf den Schreibtisch und platziert sich dann strategisch genau in der Mitte des Raumes unter dem Oberlicht, aufrecht schlank wie ein Degen. Seine Blumenkohlfrisur schimmert kostbar und gepflegt.

      »Erstens«, sagt er und breitet offerierend die schmalen, langen Hände aus. »Erstens hat das Team Gelegenheit erhalten, sowohl den Wechsel in der Führungsebene des Bades, als auch die Ankündigung der Situationsanalyse und aller damit verbundenen Gefühlswallungen und Unsicherheiten, ich sag mal, kathartisch zu verarbeiten. Da ist erst mal einigermaßen der Druck vom Kessel, so etwas ist nicht zu unterschätzen, wenn man das Feld ebnen will für Neues.«

      »Sehe ich ganz genau so«, werfe ich ein, bevor ich mich zurückhalten kann und klaube aus Gesprächen mit Maike aufgeschnapptes Halbwissen zusammen. »Man muss den Leuten die Möglichkeit geben, ihre Befindlichkeiten auszuagieren, wenn man sie für sich gewinnen will. Also, vor allem als Überbringer von potentiell verunsichernden Nachrichten, der genau auf diese Leute in Zukunft angewiesen ist.«

      Holm-Rüdiger Andersen wirft mir einen wachen Jägerblick zu, seine Augen strahlen grau-grün.

      »Exakt, Herr Freiwaldt, exakt! Gleichzeitig haben wir, durch die unfreiwillige Mithilfe von Herrn Balthasar, das Bewusstsein für die, ich sag mal, Unwägbarkeiten geschärft, die das Berufsleben in der modernen Welt so für Einen bereit halten kann.«

      »Na, jetzt wird’s aber interessant«, schnauft Tante Heidi und wiegt sich suchend umher. »Ist noch Konfekt da, Felix?«

      »Nebenan«, nuschele ich oder denke ich und sie fließt stöhnend zurück in ihren Stuhl.

      »Doch, doch«, lacht Holm-Rüdiger Andersen fast. Er steckt eine Hand in die Tasche seiner eleganten Anthrazithose und hält uns die andere entgegen, wie eine sich öffnende Blüte der Weisheit.

      »Unverständnis plus Unsicherheit gleich Unruhe.«

      Holm-Rüdiger Andersens Finger imitieren ein kaskadierendes Feuerwerk.

      »Das kann man wohl sagen«, knurrt Bürgermeister Marther und glüht mir seinen Blick auf die Wange.

      »Unruhe gleich Energie«, fährt Holm-Rüdiger Andersen begeistert fort. »Und genau diese Energie müssen wir kanalisieren. Ganz wertneutral. Zielorientiert. Im Sinne des Projekts.«

      »Gruppendynamik«, stammele ich. »Zusammenhalt.«

      »Teamwork!« ruft Holm-Rüdiger Andersen. »Basierend auf einer gemeinsamen Vision. Die, wiederum sich speist aus dem geteilten Verständnis für die, ich sag mal, vermeintliche Unsicherheit des Status Quo.«

      »Oho!« macht Tante Heidi.

      Bürgermeister Marther spielt an seiner Armbanduhr herum.

      Holm-Rüdiger Andersen blinzelt elektrisch um sich.

      »Genau! Die Frage danach, ob das, was mir über Jahre sicher und vertraut war, auch noch morgen seine Gültigkeit hat, also, die daraus resultierende, ich sag mal, Ungewissheit, Kribbligkeit, ist wie ein Reaktor voller Kreativität, den man nur zu bedienen wissen muss und es wird einem nie an Energie und Möglichkeiten mangeln.«

      Er stellt sich kontrolliert leger mit beiden Händen in den Taschen hin.

      »Und genau das hat Herr Freiwaldt uns heute aufs Brillianteste demonstriert. Personalführung in Reinkultur!«

      Meint der mich?

      Bürgermeister Marther seziert mich skeptisch.

      »Hm, hat er das? Können Sie das mal näher erläutern, Herr Andersen?« bittet er.

      »Den durch Herrn Balthasar gesetzten Impuls aufzunehmen, die resultierende Aufregung zuzulassen und zu kanalisieren, durch Nüchternheit und Sachlichkeit auf gleichzeitig verständnisvolle und kollegiale Art das Team beruhigen, sich dann zielsicher mit Herrn Teller den richtigen Verbündeten mit der nötigen Autorität und Akzeptanz innerhalb der Gruppe auszusuchen und auf seine Seite zu ziehen, zum Zwecke der Glaubwürdigkeit. Diesen Verbündeten dann die Wogen glätten zu lassen und so alle Unruhe zu bündeln und in, ich sag mal, trotzige Tatkraft umzuwidmen... ich kann nur sagen, Hut ab, Herr Freiwaldt!«

      Tante Heidi und Bürgermeister Marther starren erst Holm-Rüdiger Andersen, dann mich an.

      »Sehen Sie, Frau Sarge-Albenbrecht?« sagt Bürgermeister Marther, ohne den Blick von mir zu wenden. Er nickt ganz langsam. »Er ist eben doch genau der Richtige.«

      Mir ist ein bisschen schwindelig.

      Wenn ich das Maike erzähle...

      Dienstag: Der Ruf des Nestes

      Gierig leere ich eine 1,5-Liter-Flache Volvic mit nur dreimal Ansetzen bis es in mir schwappt und prallt. Das Stacheln in meinem Kopf lässt ein wenig nach. Holm-Rüdiger Andersens Deodorant geistert noch schwach golden durch den Raum. Verdammt, ich kenn den Duft, aber ich komm einfach nicht drauf! Riecht auf jeden Fall nach Gewinner. Nach Tempo. Ich dämmere vor mich hin, wippte sachte im Drehstuhl, um mich die beruhigende Anonymität und nackte Zweckmäßigkeit von Klamms Büro. Abwaschbar beige und grau, praktisch, unpersönlich. Nicht ein Foto, keine Pflanze, noch nicht einmal die Schreibtischunterlage ist bekritzelt, nichts. Auch gut, muss ich wenigstens keine Sentimentalitäten wegräumen. Kann so bleiben.

      Nachdem Tante Heidi und Bürgermeister Marther gegangen waren, um bei Meredith für Samstagabend das Lokal zu buchen, wischte und tippte Holm-Rüdiger Andersen mit diesen langen biegsamen Fingern auf seinem iPad herum und bat mich, sich sämtliche Dienstpläne aller Mitarbeiter der letzten Jahre von Klamms, nein, meinem Laptop darauf ziehen zu dürfen, damit er sich am Abend in seiner Pension schon einmal einen ersten Überblick über die bisherige Personalplanung verschaffen könne. Nach einigem Gefummel und dem üblichen Kompatibilitätsscheiß klappte das sogar, woraufhin er sich verabschiedete, schließlich müsse ich ja Gelegenheit bekommen, wie er meinte, mich in Ruhe zu akklimatisieren. Dann kündigte er sich zu meinem Entsetzen voller Eifer für morgen sechs Uhr zum Beginn der Frühschicht an, was natürlich bedeutet, dass ich auch da sein werde, obwohl ich eigentlich eher eine Mittelschicht für meinen ersten offiziellen Arbeitstag als Betriebsleiter eingeplant hatte, und verschwand, wie ein rauschend heißer Windstoß.

      Ich klicke mich dumpf durch die Dateien auf dem Laptop, kann mich jedoch nicht konzentrieren. Meine Gedanken sind sandig mürbe vor lauter Evolution und langsam abebbendem Wodkaschmerz und gleichzeitig bin ich fahrig wie ein panisches Insekt. Fühlt sich eigentlich gar nicht schlecht an. Sollte ich vielleicht tatsächlich der Richtige sein, wie Bürgermeister Marther behauptet? Könnte dies wirklich der Moment sein, an dem ich meine Aufgabe finde? Ist das hier jetzt mein Ding, oder was? Warum nicht? Was der alte Klamm konnte krieg ich locker hin und wenn alles glatt läuft mit der Übernahme durch Holm-Rüdiger Andersens komische Firma da und ich mich bis dahin nicht zu doof anstelle, dann könnte doch noch richtig was draus werden aus dieser Geschichte.

      Aus einem Impuls narzisstischen Enthusiasmus heraus, rufe ich das Email-Programm auf, richte mir unter Abgleich der Daten auf meinem iPhone mit einiger Mühe und Zeitaufwand mein Dienstkonto auf dem Laptop ein und schreibe an den Mann:

       Alles gesund? Wie schön. Hier auch. Das Unglaubliche ist geschehen. Karriere. Wenn man die unverhoffte Beförderung auf den Posten als Chef vom Forstbad Schweigen so bezeichnen möchte. Wer hätte das gedacht? Ich nicht.

       Gruß,

       Felix

      Ich prüfe noch einmal, ob Laptop und Smartphone auch den Postausgang synchronisieren, fahre dann den Computer herunter, überlege kurz, ob ich noch einmal zu Caruso in die Sauna gehe, dem Halunken, oder vielleicht ein paar Bahnen schwimmen soll. Schwimmen klingt gut. Schwimmen hilft. Hart schwimmen. Qual beruhigt. Ich rolle mich im Drehstuhl vom Schreibtisch zurück und packe meine Sachen zusammen. Doch der Ruf des Nestes zerrt an mir. An meiner Eitelkeit. Ich sehe auf die nüchterne Wanduhr. Gleich zwanzig nach fünf. Müsste passen. Ich greife zum iPhone und versuche Maike zu erreichen, lande jedoch in ihrer Mailbox.

      »Ahoi,