Ulf Imwiehe

Gut Nass


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murmele ich bevor ich mich bremsen kann.

      »Jawohl, Herr Freiwaldt«, strahlt Holm-Rüdiger Andersen. »Der Genuss des Erfolges. Der Genuss, gemeinsam etwas zu erreichen, Grenzen zu überwinden und neue Horizonte aufzutun.«

      »Ja, gut, vielleicht sollten wir da jetzt noch nicht zu sehr ins Detail gehen, Herr Andersen«, unterbricht Bürgermeister Marther. »Also, Herr Andersen wird, wie gesagt, in der nächsten Zeit unser Gast sein und, im Rahmen seiner Aufgabe, Zugang zu sämtlichen relevanten Bereichen und Daten erhalten, die er für seine Analyse braucht. Da braucht er natürlich unsere Unterstützung, also von uns allen, egal in welcher Position. Das muss flutschen, Herr Freiwaldt, Herr Teller, in unser aller Interesse.«

      »Und wie genau wird das ablaufen?« frage ich. »Also, die Datensammlung, meine ich? Die Analyse von den... Prozessabläufen im Bad?«

      Bürgermeister Marther weist auf Holm-Rüdiger Andersen, der dankbar nickt und mich fixiert, wie der freundlichste und engagierteste Klassensprecher der Welt.

      »Meine Anamnese, um ganz kurz meine Arbeitsweise zu umreißen, Herr Freiwaldt, erfolgt, neben der Auswertung von Zahlen, sprich: Besucheraufkommen, Energieverbrauch, Kosten, Einnahmen und so weiter, grundsätzlich im Rahmen einer totalen Immersion.«

      Er wartet höflich, bis sich meine fragend sich krümmende Braue gesenkt hat und fährt fort: »Das bedeutet nichts weiter, als dass ich in sämtlichen Bereichen des Bades mitarbeiten werde. Betrachten Sie mich am Besten als neuen Kollegen, Herr Freiwaldt. Sozusagen als Mitarbeiter auf Zeit.«

      Die Stille sagt alles. Ach du Scheiße... Bürgermeister Marther versucht in der Enge, die Beine übereinanderzuschlagen, stößt mit dem Knie unter den Tisch und das Beben bringt die Tassen scheppernd zum Tanzen.

      »Ähm, ja«, stöhnt er. »Ja, vielen Dank erstmal für die Einführung, Herr Andersen. Das würde ich gleich gerne noch mal ganz kurz im Büro besprechen, Herr Freiwaldt, Herr Teller...«

      »Kann nicht«, rumpelt Walter. »Muss ins Bad. Bin sowieso schon zu spät dran. Wollen den Kleinen ja mal nicht zu lange alleine lassen da draußen. Als Lehrling.«

      »Auszubildender!« belehrt ihn Tante Heidi. Saskia unterdrückt grunzend ein Kichern. Walter fuhrwerkt weise in seinem Bart herum. Bürgermeister Marther wischt ein paar Krümel auf dem Tisch hin und her und blickt auf seine Armbanduhr.

      »Gut, dann wäre das also auch erledigt. Da kann Ihnen Herr Freiwaldt ja Bericht erstatten, damit sie im Bilde sind, wie das laufen wird mit Herrn Andersens Einsatz im Bad. Herr Teller. Ja? Ja. Dann wäre da noch der Punkt mit der Trauerfeier für Herrn Klamm. Frau Sarge-Albenbrecht?«

      Tante Heidi lässt kurz den Kopf hängen, pustet kummervoll die stickige Luft hin und her und drückt sodann ihren Rücken hölzern aufrecht, pfahlhaft.

      »Ich habe heute morgen mit Hans-Herrmanns Frau telefoniert. Also mit seiner Witwe meine ich natürlich. Na ja, es betrübt mich ein wenig, aber man muss es natürlich auch verstehen, in einer solchen Situation. Die Frau leidet ja schließlich und steht sicher noch unter Schock und überhaupt geht Familie ja immer vor in solchen Fällen! Ist doch so, oder nicht? Das muss man akzeptieren, auch wenn man, also einige hier, aber auch diejenigen, die Hans-Herrmann vielleicht nicht ganz so lange kannten, also wenn man so viele Jahre zusammengearbeitet hat. Im Bad. Aber auch in der Gemeinde und darüber hinaus.«

      Sie blinzelt in katatonische ratlose Mienen. Bürgermeister Marther atmet vielsagend schwer und sieht sie fast flehend an, seine Lippen arbeiten feine Striche um sein Kinn.

      »Jedenfalls«, fährt Tante Heidi fort. » Also, Ihr Lieben, glaubt mir, ich bin genauso verblüfft wie Ihr, wobei ich es, wie gesagt, der Frau kein bisschen übel nehme, schließlich kann eine solche Entscheidung nur von ihr selbst getroffen werden, aber, wie soll ich sagen?«

      Sie reißt sich die Brille herunter, führt einen Bügel zum pawlowschen zuckenden Mund, besinnt sich jedoch eines besseren und steckt sich alles wieder ins Gesicht zurück.

      »Hans-Herrmanns Frau hat mir gegenüber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht... Klar! Und! Deutlich! Also, sie möchte niemanden von der Gemeinde Schweigen und auch nicht aus dem Forstbad auf der Beerdigung sehen.«

      Erwartungsvoll sieht sie sich um. Traurig schlaff hängt ihr das Fleisch vom Gesicht. Niemand sagt etwas, nur Walter knirscht vorsichtig mit seiner Jacke. Entweder hat Klamms Frau (Witwe!) doch mehr über die unorthodoxe Auslegung ehelicher Traditionen wie etwa partnerschaftlicher Treue ihres Mannes gewusst und verdächtigte seine Kollegen als Mitwisser oder sie mochte Schwimmbäder und alles was damit zusammenhängt einfach nicht, ähnlich wie Maike. Vielleicht ist das ja ein Schwimmmeisterfluch. So wie bei Bestattern, Fernfahrern oder Drogendealern. Die haben es bestimmt auch nicht leicht wenn es um Akzeptanz und Partnerschaft geht, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die sogenannte.

      »Und deswegen«, ruft Tante Heidi fanfarenhell, resolut erstarkt. »Deswegen möchte ich hiermit alle Anwesenden für den kommenden Samstagabend ins L'Afrique einladen, wo wir gemeinsam Abschied nehmen wollen von Hans-Herrmann und der guten alten Zeiten gedenken. Ich schicke noch heute eine Einladung an alle Kolleginnen und Kollegen in sämtlichen Gemeindeeinrichtungen. Außerdem an den Schwimmverein und natürlich Herrn Leyendieck. Bürgermeister Marther und ich werden gleich nach diesem Termin rüber gehen zu Frau Ampofo und eine geschlossene Gesellschaft für den Samstagabend anmelden. Die müsste doch jetzt schon geöffnet haben, oder Felix?«

      Was muss ich denn noch alles wissen so von gestern auf heute? Bevor ich antworten kann knackst Saskia ein dreifaches Stakkato mit ihrem Kaugummi und schmatzt: »Ist vor 'ner Stunde gekommen, meine ich.«

      »Sehr schön!« Fast sieht es aus als wolle Bürgermeister Marther in die Hände klatschen. Dann richtet er seinen makellosen Krawattenknoten, blickt erneut auf die Uhr und wendet sich von Tante Heidi zu Holm-Rüdiger Andersen zu mir und schiebt seine leere Kaffeetasse Richtung Tischmitte. »Ja, das wäre soweit das, vielen herzlichen Dank zusammen und trotz allem frohes Schaffen noch. Dann können wir ja eigentlich eben noch mal kurz ins Büro gehen, Herr Freiwaldt.«

      »Hmmm«, bärt es hinter mir ins scharrende Stühlerücken und Caruso bläst einen warmen Wind durch den Raum, über meinen Nacken, mein Haar, verrührt den schwülen Geruchsorkus mit seinem Tabakatem und lässt alle innehalten und langsam wie an Schanieren in ihre Sitze zurücksacken.

      »Ja, Herr Balthasar?« gibt sich Bürgermeister Marther nahezu überzeugend interessiert. Er mustert kurz Carusos Namensschild, auf dem natürlich, entgegen aller Vorschriften, sein Spitzname steht, hübsch ordentlich in Gemeinde Schweigen Typographie gesetzt, wie es sich gehört. Caruso – Saunameister. Keine Ahnung, wie viele Abmahnungen er schon deswegen kassiert hat aber jedes Mal, wenn er ein neues, korrektes Schild von der Verwaltung erhält, schmeißt er es in den Müll und ersetzt es durch seine ihm so wichtige Eigenkreation. Und was soll's denn auch? Alle nennen ihn schließlich nur Caruso. Die Badegäste, Tante Heidi, seine Mutter, ja, sogar Maike. Ich weiß noch, einmal hat Meredith ihn in einem strengen Moment bei seinem vollen Namen getadelt. »Carsten Balthasar, hör gefälligst auf, in der Sauna zu furzen!« oder so was in der Art. Der Ärmste taumelte tagelang durch die Gegend wie ein klaffend wund geschlagenes Nashorn.

      Bürgermeister Marther zerklüftet die Stirn und hebt sein Kinn in Carusos Richtung, der sich von hinten über mich beugt, sich mit einer Hand malmend auf meine Schulter stützt, über den Tisch in die Schale langt und eine Familienportion Schlüters Eiskonfekt herausbaggert. Alle wenden sich ihm zu. Ich winde mich auf meinem Platz so gut es geht herum und hole mir fast ein blaues Auge an Saskias Knie, das in mein Gesicht winkelt. Caruso wickelt mit buddhistischer Gelassenheit ein Stück Konfekt aus, kaut es von links nach rechts und knüllt nachdenklich die Aluminiumpelle zusammen.

      »Entschuldigen Sie bitte, Bürgermeister Marther«, sagt er höflich, mit einem Unterton, der mich ein wenig nervös macht. »Ist es in Ordnung, wenn man noch ein paar Fragen stellt? Bei so viel unverhofften Neuerungen?«

      Hektisch stummes Kopfrucken zwischen Bürgermeister Marther und Tante Heidi. Holm-Rüdiger Andersen lächelt einladend.

      »Äh,