Ulf Imwiehe

Gut Nass


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der sonst vor Leben wimmelt. Es ist, als wenn ein nächtliches Geheimnis das Dunkel durchstreift und die von Gewimmel verschmutzte Atmosphäre durchlüftet, umgeht, Frische bereitet für den neuen Tag. Eine bedächtige, ewige Mühle. So kann es bleiben. Jeder, der diesen Beruf wählt, weil er angeblich gern mit Menschen umgeht, wird bestätigen, dass die besten Zeiten, die kraftvollsten Momente jene sind, wenn von Menschen weit und breit nichts zu sehen ist und friedliche Verlassenheit herrscht.

      »Signale!« knurrt Caruso und zermalmt seine Kippe am Betonsockel der Bank. »Was kann ich denn dafür wenn mein Körper mich im Stich lässt? Ich bin doch kein Fakir oder so was, dass ich die totale Kontrolle über meinen Organismus hätte.«

      »Solange dir so was nicht im Dienst passiert«, versuche ich einen schlaffen Scherz, bringe Caruso jedoch damit erst so richtig auf Touren.

      »Sag mal, zweifelst du hier etwa meine nötige professionelle Distanz gegenüber unseren Gästen und Schutzbefohlenen an?«

      Ich wedele abwehrend mit den Händen und beschließe, ihn noch ein bisschen zu piesacken.

      »Nee, nee, Caruso. Ich weiß doch, dass du Saunadienst immer nur streng nach Dienstanweisung machst.«

      Die da nämlich vorsieht, dass wer die Sauna bedient, dies niemals nackt, sondern mit um die Hüften geschlungenem Saunatuch tut. Giftgrün natürlich, wie der Rest der Dienstkleidung. Frauen dazu mit passendem Bikinitop, sonst droht die Abmahnung und, schlimmer, ein wirrer Vortrag von Tante Heidi. Und Caruso, der es sonst nicht so mit Regeln hat, achtet schärfstens darauf, dass in seiner Sauna alles vorbildlich läuft.

      »So ist es, mein lieber Flex«, grollt er. »Dienst ist Dienst und... ach, Scheiße was!«

      Er stützt das Kinn in eine Pranke und stiert vor sich hin.

      »Caruso«, sage ich leise, vorsichtig und lege ihm eine Hand auf die Schulter. »Wie lange kennt ihr euch schon, Merry und du? Vier Jahre oder wie lange du jetzt in Schweigen bist? Glaubst du echt, die weiß dich nicht zu nehmen?«

      »Genau das frage ich mich«, nuschelt er und schielt mich von der Seite an. »Ehrlich, Flex, ich hab keine Ahnung wie sie mich eigentlich sieht. Ich mein, ich hab ja mittlerweile fast schon akzeptiert, dass sie nichts als Mann für mich empfindet. Oder als Frau... ach, egal, du weißt schon!«

      Ich setzte zu einer Antwort an aber er fährt mir fast priesterlich streng über den Mund.

      »Und dann sag ich mir, gut, Caruso, sie will nix von dir, raff es endlich und gib auf. Ihr seid gute Freunde, sei dankbar dafür. Außerdem, da lass uns mal ganz ehrlich sein, Flex, sind wir ja von Frauen umgeben in diesem Job. Da ist doch nichts leichter, als sich, ähm, abzulenken, wenn man will. Und man guckt und macht vielleicht ein bisschen rum, jaja, aber das hilft alles nichts. Dann denk ich an Merry, ganz allein mit ihrer Tochter, wie sie sich den Arsch aufreißt, damit das Kind es gut hat und wünsche mir so sehr, an ihrer Seite zu sein. Für sie da zu sein. Miteinander. So etwas kenne ich gar nicht von mir, Flex. So was, so...«

      Caruso reißt sich das Zopfgummi vom Kopf, wühlt sich durch die Mähne und bindet sorgfältig die ganze Pracht erneut zusammen. Dann faltet er die Hände im Schoß, lehnt sich zurück und starrt ins Dunkel. Er riecht nach Kokosöl. Ich möchte ihn umarmen, kann es jedoch nicht. Caruso ist so etwas wie mein bester Freund. Um genau zu sein, sind er und Meredith und meine einzigen Freunde. Abgesehen von Maike natürlich, aber das ist etwas anderes. Doch egal, wie gut ich ihn kenne, egal, was wir schon alles gemeinsam erlebt haben (Saufen, Partys, Leben retten...), es sind diese wenigen, emotionalen Eruptionen, in denen ich mich ihm so richtig verbunden fühle und doch gleichzeitig am deutlichsten merke, dass immer noch irgendetwas zwischen uns steht und die letzte wahre Nähe zwischen uns verhindert. Wahrscheinlich ist es seine Intensität, die mich überfordert. Ich bin nicht stark wie Meredith. Nicht aufgeräumt und organisiert wie Maike. Oder der Mann. Der bin ich schon gar nicht. Ich bin bloß Flex, leider. Oder wie man's sieht.

      »Ja, aber hast du ihr das denn auch mal erzählt?« frage ich sachte nach einer Weile.

      »Flex!« fährt er auf. »Jetzt werd aber mal nicht kompliziert, verdammt noch mal...!«

      Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich etwas in der Ferne am Rande des Schwimmerbeckens bewegt, wie ein gemächlicher Nebel, bloß solider, fast schimmernd. Ein Eisen, ein Rauch, ein Mondlicht.

      »Was ist das denn?« flüstere ich und springe auf.

      Caruso wirrt den Blick hin und her.

      »Was denn?« fragt er und wächst neben mir in die Höhe.

      Der Schemen wandert weiter, verschwindet hinter einem üppig wuchernden Pflanzbeet, erscheint erneut unmittelbar am Beckenrand und tritt durch den schwachen Lichtschein einer der Laternen am Aufsichtsturm. Jetzt kann ich die Gestalt eindeutig ausmachen. Solide.

      »Ein Kind!« rufe ich und renne los, springe über ein Durchschreitebecken, sprinte am Nichtschwimmerbecken vorbei, stürze fast die kurze Treppe neben dem Aufsichtsturm hinunter und hetze am Beckenrand des in der Nachtluft leise dampfenden Schwimmerbeckens auf und ab. Nichts.

      Ich laufe zur Stirnseite des Beckens, da wo ein weiteres Beet die Grenze zum Sprungbecken bildet, suche den Beckenboden ab, zu dunkel, renne zum Sprungbecken, rufe: »Hallo?«

      Brülle: »He, hallo!«

      Nichts.

      Caruso kommt stampfend neben mir zum Stehen.

      »Was ist denn los?« keucht er, die Augen wild.

      »Ein Kind!« rufe ich erneut. »Da war ein Kind.«

      Ich renne die Treppe hinauf, fummele meine Schlüssel aus der Hosentasche und schließe den Aufsichtsturm auf. Im Dunklen durchwühle ich sämtliche Schubladen nach einer Taschenlampe, werde fündig hinter dem Verbandskasten und einem Stapel Kicker-Heften (Walter, alte Schule, stimmt schon...), stürme die Treppe runter und leuchte immer auf und ab trabend sämtliche Becken ab.

      Nichts.

      »Flex«, ruft Caruso.

      Ich ignoriere ihn. Laufe. Leuchte. Suche.

      »Flex«, sagt Carsuo sanft und dreht mich an der Schulter herum zu sich. »Flex, jetzt beruhig dich doch mal. Da war nichts.«

      Ich sehe ihn keuchend an, meine Lungen brennen, mein Bauch sticht, meine Kehle hämmert. Ich sage nichts.

      Da war nichts.

      Scheiß Wodka. Ich will schlafen.

      Dienstag: Unruhe gleich Energie

      »Ja«, räuspert sich Bürgermeister Marther. »Ja, ich, äh, freue mich, dass Sie alle so kurzfristig erscheinen konnten. Noch dazu... Also, wie Sie ja mittlerweile sicher mitbekommen haben, ist es zu einem tragischen Unglücksfall gekommen und der geschätzte Kollege und verdiente Mitarbeiter Hans-Herrmann Klamm wurde von uns, also, aus unserer Mitte gerissen sozusagen.«

      Er blinzelt durch den überfüllten Personalraum und blickt fahrig in die Runde von seinem Platz am Kopfende des winzigen Resopaltisches, eingeklemmt zwischen Tante Heidi zu seiner Rechten und einem schlanken und fabelhaft druckimprägniert wirkenden Managerprototypen im makellos anthrazitfarbenen Anzug zu seiner Linken. Der Unbekannte lächelt gekonnt offen herum, vor sich ein iPad auf dem Tisch. Sein schmales, hafrig helles Gesicht wird gekrönt von einem unwirklich dichten, kurz geschnittenen Lockenwuchs, der aussieht, als hätte ihm jemand einen ausgehöhlten gold-gelben Blumenkohl über die Schädeldecke gestülpt. Er sieht mir kurz in die Augen und sein Lächeln wächst.

      Ich schiebe meine Stuhl am anderen Ende der bedeutungsvollen Tafelrunde ein Stück zurück, stoße jedoch gegen Saskias Knie, die Kaugummi schmatzend hinter mir auf der kleinen Küchenzeile sitzt, ihrerseits eingezwängt zwischen Caruso und Anita, die sich, wie sie sagt, schon den ganzen Morgen auf diese Versammlung gefreut hat. So kommt sie doch wenigstens mal von der verhassten Freibadkasse los, in der ich, durch das Fenster an der Längsseite des Raumes, Marlies sich die Nägel feilen sehe. Trotz des samtig milden Wetters hält sich der Andrang