Ulf Imwiehe

Gut Nass


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sag mal, Felix. Können wir nicht am Wochenende über alles sprechen? Das ist im Moment wirklich ganz schlecht. Ich bin sowas von busy diese Woche und ich wollte sowieso noch in Ruhe mit dir reden.«

      Oho! Alarm! Und, mal ehrlich jetzt, busy? Wer redet denn so?

      »Oder musst du wieder arbeiten?«

      Wieder? Da ist doch was! Ich brabbel irgendetwas in dem Sinne, dass ich in der Gestaltung meiner Dienstzeiten als Betriebsleiter hoffentlich flexibler sein werde und frage sie, ob alles in Ordnung ist. Ich höre sie sanft durch die Nase schnaufen.

      »Felix. Felix, lass uns am Wochenende darüber reden, ja, Felix? Ich weiß im Moment echt nicht wo mir der Kopf steht. Ja? Ich melde mich vorher noch mal, ok? Morgen oder so. Ich muss jetzt los, du, mach's gut, ja?«

      Die Stimme in Bremen sagt: »Domsheide.« Ich sage gar nichts und die Verbindung ist unterbrochen. Was war das jetzt? Ich glotze auf das erlöschende Display, glotze den Hang runter auf die Straße, glotze in den trägen Bach und töte ein, zwei Mücken. In einer Hand das iPhone in der anderen die leere Volvicflasche, versuche ich, mich an die letzte gemeinsame Zeit mit Maike zu erinnern, klopfe alles auf Störquellen ab, als es in meiner Hand vibriert. Das iPhone gibt ein furzendes Geräusch von sich. Da hat aber jemand Humor in der IT-Abteilung, na warte, Langer! Eine sms. Ich fummel und wisch, bis ich den Mist endlich aufrufen kann.

       Hallo und guten Tag, Hr. Freiwaldt. Freue mich auf gute Zusammenarbeit i.S. Forstbad. Sehen uns morgen 13.30 Personalversammlung im Bad, dann Näheres. Allerbeste MFG Holm-Rüdiger Andersen

      Personalversammlung? Morgen? Ja, erzählt mir vielleicht auch mal jemand was?

      Montag: Signale

      Nach einer ausgiebigen Dusche und dumpf schrumpeligem Herumgelungere in meinem Dachgeschoss gebe ich mich Frau Riebesehls unten brüllendem Fernseher geschlagen, steig in die Chucks und radel Richtung Forstbad. Seit einer Stunde Badeschluss. Die beste Zeit des Tages. Der Abend dampft verhalten, das Rauschen des stoisch umwälzenden Beckenwassers sonort aus dem Freibad herüber, als ich, vorbei an dem etwas zurückgeduckten Diensthäuschen, in dem immer noch der alte Leyendieck wohnt, obwohl er schon bald zwanzig Jahre in Rente ist, über den fast leeren Parkplatz sirre und mein Rad vor dem L'Afrique anschließe.

      Forstbad Schweigen: das einzige Schwimmbad in der südlichen Heide mit Gastronomie im Afrikastil. Steht zumindest so ähnlich auf der Webseite der Gemeinde. Meredith verachtet den, wie sie es nennt, Ethnochauvinismus, den die Gemeinde ihr zur Auflage gemacht hat, zu bedienen und liebt es, das Afrikaklischee mit Hilfe von winterlichen Grünkohlorgien, im Raum verteilten Bienenkörben und plattdeutschen Leseabenden zu brechen. Merediths Plattdeutsch gereicht jedem Schweigener Rübenbauer zur Ehre. Hat sie als Kind in Celle gelernt, von ihrem Stiefvater, der zu allem Überfluss auch noch Imker war. L'Afrique, mein Quell und Balsam und weltenfeiger Trost, wo Ghana sich und Heide treffen, Herrmann-Löns-Kitsch und bunt gipserne panafrikanische Skulpturenreplikate, Masken, Schreine, ein künstlicher, beruhigend bizarrer Nukleus, hineingeglast und geziegelt zwischen Schwimmhalle und Freibad. Coole Kneipe.

      Nicht allzuviel los, ist für einen Montagabend aber nicht ungewöhnlich. Vereinzelt schmatzen ein paar Stammgäste im schummrigen Dekor und murmeln in ihre Getränke. Akustikgitarren zirpen aus verborgenen Lautsprecherboxen. Pädagogenjazz. Verständnisvoll, harmlos, angenehm unauffällig, kann man so machen. Fleischgeruch fettet die Luft. Lamm und Couscous. Von einer Seite funzelt die Notbeleuchtung der leeren Schwimmhalle durch die linke gläserne Trennwand, hinter der anderen, schräg gegenüber blutet die Sonne hysterisch über die weite baumumstandene Liegewiese und bringt das Wasser in den Außenbecken zum Glühen. Ihre Fünf-Sterne-Deluxe Aussicht nennt Meredith das, wenn sie mal wieder über die Pacht schimpft, die sie der Gemeindeverwaltung jeden Monat zahlt.

      Sie ruht herrschend hinter der menschenleeren Theke, eine Wand von Schnapspalisaden hinter sich und ihr Lächeln gerät ein wenig abschüssig, als ich durch den Gastraum auf sie zu schlurfe. Hat sicher auch keinen leichten Tag gehabt, die Gute. Bei dem Wetter und noch dazu Ferien. Ich stelle mir vor, wie sich Armbündel vom Freibad aus in die Durchreiche winden, nach Pommes gieren, nach Eis, Mäusespeck und zahnschmelzhassenden Gummimonstren. Meredith als kühne Feldherrin, ihre Kämpfer in diesem kulinarischen Zweifrontenkrieg dirigierend, die kurzen Dreadlocks straff in alle Richtungen wachend. Wir umarmen uns ungeschickt langarmig über die Theke hinweg. Küsschen, Küsschen. Ihre Wangen sind warm und trocken, ihr Griff stark und fest.

      »Hast du das mit Klamm schon gehört?« flüstert sie fast während sie mir ungefragt ein Weizenbier einschenkt. Medizin des Sommers. Ich nehme einen kurzen fiebrigen Schluck, nicke Unverfängliches krächzend. Woher weiß sie denn das nun schon wieder?

      »Walter hat's mir vorhin erzählt«, fährt sie fort. »Da wär wohl heute vormittag ein Fax gekommen, von Tante Heidi. Hängt im Personalraum aus.«

      Hinter ihr schwingt die Flügeltür zur Küche auf und Merediths Aushilfskraft Simon kommt mager herausgeglitten, überblickt den Gastraum, schnappt sich ein Tablett und spurtet zu Tisch vier, an dem ein Touristenpaar zufrieden speckig über leeren Tellern und Schälchen glänzt.

      »Na, Flex, schon wieder Sehnsucht nach dem Forstbad? Geht nicht ohne, oder was?« bleckt er mich an und balanciert klappernd beladen in die Küche zurück, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich denke kurz an Maike, die nach einer unserer Zankereien über meine Dienstzeiten mal bitter vorschlug, ich möge doch im Rathaus beantragen, mir eine Zelle im Keller des Bades einzurichten damit ich auch ja immer vor Ort sein kann. Als ob es hier um Hingabe ginge! Als ob ich darin Erfüllung suchte! In der Verfügbarkeit. Mich greifen lassen. Mich in der Pflicht auflösen. Was die alle immer denken. Einer muss doch...!

      »Wie hat er denn reagiert?« frage ich. »Also, Walter, jetzt.«

      Er ist immerhin derjenige, der Klamm am längsten kannte und dessen rustikale Art des Umgangs mit seinen Untergebenen am erfolgreichsten an sich abperlen ließ. Eine Souveränität, die sich resoluter Gleichgültigkeit ebenso verdanken mochte wie tiefer Zuneigung. Man weiß es nie so recht bei Walter, dieser stachelbärtigen granitenen Sphinx.

      »Ach, du kennst den doch«, winkt Meredith ab. »Too cool for school. Der lässt sich nicht so einfach in die Karten gucken.«

      Wieder fliegt die Küchentür auf und Caruso wälzt sich dramatisch heraus. Caruso, diese berlinernde, stampfende, grellmähnige Explosion grölender Vitalität, zwei Meter muskulös schwellendes Mallorcafleisch, teils gutmütig prolliges Wrestlingmonstrum, teils sozialer Selbstmordattentäter, ein Bademeister wie aus dem Klischeebrockhaus. Obwohl er sich aufgrund seines Spezialgebietes und diverser entsprechender Fortbildungen ja lieber als Saunameister tituliert, aber was soll die Pedanterie? Er trägt noch seine Dienstkleidung. Das giftgrüne T-Shirt, mit dem die Gemeinde Schweigen ihre Bediensteten im Forstbad modisch verstümmelt, spannt sich über seine Brust, die schwarzen Ballonseidenshorts wirken absurd winzig an diesem Kubikgiganten, er rasselt im Takt der Musik mit seinem Schlüsselbund.

      »Ich muss doch sehr bitten, meine hochverehrte Miss Ampofo«, dröhnt Caruso Autorität dilettierend, küsst Meredith auf die Stirn, schlappt mit klatschenden Adiletten hinter der Theke hervor und setzt sich auf den Barhocker zu meiner Rechten. »Walter hat die Nachricht vom so plötzlichen Ableben unseres geliebten Anführers eben nicht mit der ihn sonst auszeichnenden Fassung aufgenommen. Vielmehr offenbarte er mir gegenüber heute die erste authentische Gefühlsregung, seit Tante Heidi ihm damals aus Versehen doppelt das Weihnachtsgeld zugeschlagen hat. Ob ihr es glaubt oder nicht, und ich hab's selbst kaum geglaubt, der zähe alte Knochen hatte doch tatsächlich Tränen in den Augen. Kann ich auch ein Weizen kriegen, bitte, Merry?«

      Er legt seinen Schlüsselbund auf die Theke, rupft seinen Zopf zurecht und schlingt die Arme übereinander. Meredith schenkt gewittrig ein und hiebt das Glas vor ihn, wie eine Kampfansage.

      »Caruso, du Arsch, wie oft muss ich dir eigentlich noch sagen, dass du nicht durch meine Küche hier reinzulatschen hast?«

      Es macht sie wahnsinnig, wenn das Schwimmbadpersonal den Zugang nutzt, der Merediths Lager im Technikkeller der Halle