Ulf Imwiehe

Gut Nass


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Viktor kriegt das im Freibad alleine hin während wir hier die Zukunft gesundbeten.

      Die Luft staut sich trotz gekippter Fenster unter den industriell hypnotischen Stanzmustern der Zweckbaudecke. Es stinkt nach verzweifelt parfümiertem Mensch, Kaffee, Walters knirschender Lederjacke und, natürlich, Schokolade. In Schweigen gehört Schlüters auf den Tisch, egal was kommt. Vor allem, wenn es fast nichts kostet. Keiner rührt die Schale mit ausgesuchter Ausschussware an. Zwei Kilo Eiskonfekt. Die hatte Klamm noch über seinen Schwager besorgt.

      »Ja, also, um es kurz zu machen», fährt Bürgermeister Marther fort und zupft käfern an seiner Krawatte herum. Taubenblau heute. Verwegen. »Es ist so, dass wir diesen Verlust nicht nur, ich sage mal, wegstecken, also verarbeiten müssen. Nein, wir müssen auch darauf reagieren. Und unsere Personalabteilung hat nach reiflicher Überlegung, mit meiner bedingungslosen Unterstützung, möchte ich hinzufügen, einen Entschluss getroffen, mit dem Sie alle, also, alle, die es betrifft, meine ich, sehr gut werden leben können. Ist doch so, Frau Sarge-Albenbrecht?«

      Tante Heidi erschrickt ein wenig, fängt sich nach mikroskopischem Backenzittern jedoch sofort wieder, nimmt die Brille ab und segnet milde die Runde mit deren Bügeln. In meinem Kopf wälzt sich ein sterbendes Schaumgummiungetüm von einer Seite auf die andere. Ich hasse Alkohol. Und schlafen konnte ich auch nicht richtig. Zuviel los, zu viele Möglichkeiten, zu alleine. Die halbe Nacht habe ich versucht, mich mit Lesen abzulenken. Der Fremde, wieder eins von Maikes Büchern. Hausaufgabe, Teil weiß nicht mehr, damit ich nicht nur immer Schundromane lese oder, wenn mir der Sinn nach sogenannter Kultur steht, diesen überschätzten depressiven Zyniker Tassilo Eisen, wie sie es ausdrückt. Ich bin da ja nicht so aber Camus hat bisher auch nicht wirklich was gebracht. Genau wie zuvor schon Milan Kundera oder Virginia Woolf oder dieser eine nihilistische Amerikaner da. Obwohl, der war eigentlich gar nicht so schlecht. Vor allem die Geschichte von dem Typen, der sich mit dem nackten Arsch auf den Bodenablauf des Swimming Pools setzt und durch den Sog ausgeweidet wird. Da kann man sich doch sozusagen berufsbedingt reinfühlen. Das kam meiner sonstigen Horrorquatschlektüre schon näher. Arme Maike. Was diese Frau nur immer alles aus mir rauszuholen versucht...

      Ein vertrautes Bild schrillt durch mich hindurch. Lanzen von Sonnenlicht in denen der Staub taumelt durchbohren ein dämmrig plump lauerndes Zimmer. Bücher über Bücher, meterweise Regalwände voller Klassiker und Trash. In einer Ecke ein Schrein nur dem Werk des Schweigener Dorfheiligen Tassilo Eisen gewidmet, in sämtlichen Editionen. Die Obsession des Mannes. Seine unversnobte Liebe für Bücher, für Geschichten, egal welchen Genres oder kulturellen Ansehens ist eines der Dinge, die ich nicht an ihm hasse. Obwohl, Hass kann man das ja nun eigentlich auch nicht nennen. Wollen mal nicht übertreiben.

      Ich kneife in meinen Augen herum, das Stechen dahinter jagend. Tante Heidis beschwörend heiterer Ruf fährt in mich, der ganze Raum strafft sich gespannt.

      »Genau, Bürgermeister Marther, ganz genau so ist es«, psalmodiert sie und ihr Blick fängt mich, wie der einer stolzen, ernsten Mutter.

      »Felix«, sagt sie zu mir und sieht von mir zum Rest der Gruppe und zurück. »Wir haben ja gestern bereits ausgiebig darüber gesprochen und ich möchte auch nochmal hier betonen, dass ich es ganz ganz toll von dir finde, wie spontan du bereit bist in dieser...«

      Und sie schickt ihre Zuhörer durch einen ihrer gefürchteten, mäandernden verbalen Irrgärten. Augen werden glasig, Badelatschen schieben sich quietschend über den Fliesenboden, wie in Vorbereitung einer Massenflucht, Bürgermeister Marther dreht mit höchster Taktung an seinem Ehering, Saskia klickt grausam mit ihren künstlichen Nägeln und saugt dezent knacksend an ihrem Kaugummi, Walter, das Fenster im Rücken, verschränkt die Arme und fixiert mich grimmig, hinter ihm unterhalten sich lautstark ein paar Jugendliche in der spärlichen Besucherschlange an der Freibadkasse. Nur das Lächeln des regungslosen Unbekannten mit der Blumenkohlfrisur ist unverändert. Ich greife zu meiner Kaffeetasse, bemerke, dass sie leer ist und halte mich nutzlos daran fest. Viktors Stimme bratzt durch die Lautsprecheranlage: »Bitte nicht in der Rutsche anhalten!« und wird mit dankbarem Gelächter gefeiert. Tante Heidi faltet ihre Brille auf und zu, wackelt verwirrt mit dem Kopf und lacht ebenfalls.

      »Ja, Frau Sarge-Albenbrecht, vielen Dank«, schnarrt Bürgemeister Marther, die Gelegenheit ergreifend. »Also, um es kurz zu machen, wir haben in Abstimmung mit Betriebsrat und allen zuständigen Gremien in der Verwaltung beschlossen, Herrn Freiwaldt die Leitung des Forstbades zu übertragen.«

      Die Luft brütet stumm unter der Decke. Caruso schnippt mir von hinten triumphierend gegen den Ohrring.

      »Den Posten des Stellvertreters«, fährt Bürgermeister Marther fort, »wird mit sofortiger Wirkung Herr Teller übernehmen.«

      Mir wird ein bisschen eisig. Wieso, verdammt noch mal, können die einem nicht einfach mal alles erzählen, bevor sie einen in die Manege stoßen? Ich sehe zu Walter, der mich steinern mustert, den drahtig grauen Bart vorschiebt wie ein grüßendes Stachelgeflecht und mir langsam mit den Lidern zunickt. Von Walter kommend ist das fast schon eine brüderliche Umarmung. Vor Erleichterung sackt mir die leere Tasse herunter und klappert auf dem Untersetzer.

      »Ja«, sagt Bürgermeister Marther. »Ja, Herr Freiwaldt, Herr Teller, vielen Dank nochmal für ihre Bereitschaft, diese Aufgaben zu übernehmen. Die Unterstützung der Verwaltung ist Ihnen selbstverständlich gewiss. Zögern sie bitte nicht, auf uns zuzukommen, Herr Freiwaldt, wenn es Probleme gibt. Ja? Ja, und das Team arbeitet ja seit Jahr und Tag Hand in Hand wie eine geölte... na, wie ein eingespieltes Team eben.«

      Bürgermeister Marther faltet die Hände auf dem Tisch und lehnt sich zurück. Er mustert kurz die Runde, blickt zu Tante Heidi, zu mir, dann kämpft er seinen Stuhl so gut es geht ein Stück vom Tisch zurück und wendet sich halb dem unverändert lächelnden Unbekannten zu seiner Linken zu. Das muss doch wehtun, diese ständige Grinserei.

      »Gut, dass wäre also erstmal geklärt. Allerdings ist das nicht die einzige Neuerung die dieser Tage ins Haus steht. Wobei ich betonen möchte, dass es reiner Zufall ist, dass sich diese beiden Ereignisse so abrupt überschneiden. Also, das mit Herrn Klamms Tod, das konnte ja nun wirklich keiner ahnen. Und es war von Seiten der Verwaltung schon länger geplant, eine, wie soll ich sagen, Situationsanalyse durchzuführen.«

      Fragendes Atmen unter den Mitarbeitern. Tante Heidi nickt eifrig. Walter knurrt etwas hinter verpressten Lippen. Saskia hört auf, mit ihrem Kaugummi zu knacksen. Ich habe Durst und würde jetzt am liebsten auf meinem Rad sitzen. Wald, Feld, Landstraße, egal. Oder schwimmen. Immer schwimmen.

      »Und zu diesem Zwecke«, sagt Bürgermeister Marther, »haben wir uns externe, professionelle Hilfe gesucht und zwar in Person von Herrn Andersen, den ich Ihnen allen hiermit vorstellen möchte.«

      Der Blumenkohltyp erhöht die Wattzahl seines Lächelns, nickt von einem zum anderen und sagt mit geschult gewinnender Stimme knapp: »Hallo und guten Tag zusammen.«

      Das ist also der geheimnisvolle Holm-Rüdiger Andersen. Was das wohl wird? Undifferenziertes Stimmengequirle schwappt ihm schlapp entgegen, perlt ab und versiegt. Bürgermeister Marther wackelt mit dem Mund und spielt am Henkel seiner Kaffeetasse herum.

      »Ja«, krächzt er, fixiert mich und räuspert sich wie mit einem Schuss. »Ja, also, Herr Andersen ist Unternehmensberater im Dienste von Aqua Hanseatic Consulting aus Hamburg und wird in der kommenden Zeit zu Gast bei uns im Hause sein, also im Forstbad jetzt vor allem aber selbstverständlich auch in den entsprechenden Abteilungen der Gemeindeverwaltung, um sich ein Bild von, Herr Andersen, korrigieren Sie mich ruhig, ein Bild von den Arbeitsabläufen zu machen. Also kurz gesagt, wird er uns dabei helfen, zu entdecken, wie wir noch besser werden können. Nicht mehr aber auch ganz bestimmt nicht weniger. Nicht? Nicht?«

      »Noch besser?« kichert Tante Heidi einsam in die Runde. Walter kaut stumm malmend seine Zunge.

      »Genau, Herr Bürgermeister Marther«, perforiert Holm-Rüdiger Andersen die stille Wand lässig. »Im Wesentlichen trifft das meine Aufgabe ganz präzise.«

      Er zählt an geschmeidig sich biegenden Fingern ab: »Prozessabläufe analysieren, auswerten, evaluieren, Potenziale freilegen, Möglichkeiten zur Steigerung der Effizienz aufzeigen und