Miriam Gier

Der Geranienmörder


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als spürte sie seine Berührung gar nicht und kümmerte sich weiter um die Pflanzen.

      Der Mann stand neben ihr und beobachtete, was sie tat. Ruhig und geduldig. Die Frau zupfte weiter, sammelte weiter. Es vergingen einige Minuten.

      Die Ruhe und Hitze schienen noch extremer als vorhin, es fiel schwer, sich schlafend zu stellen. Die Hitze staute sich auf dem Balkon, wie in einem Brutkasten.

      Außer diesem Paar war weit und breit niemand zu sehen. Wie die beiden so vertieft in einen Blumenkasten schauten, ergriff Ella die Gelegenheit, schnell rein zu huschen, ohne vielleicht doch noch grüßen zu müssen.

      Wunderlich – so geistesabwesend und starr hatte die Frau nebenan gewirkt.

      Vielleicht war sie krank. Noch einmal lukte Ella vorsichtig um die Ecke zu den beiden und versuchte, zu lauschten.

      Der Mann saß nun in einem der beiden Gartenstühle. Die Frau gab ihm mit hölzerner Bewegung einen Kuss.

      „Soll ich Dich nicht doch begleiten, meine Liebe?“

      „Ich kenne den Weg.“ Antwortete sie, schaute zum Dorfplatz, dann zu ihrem Mann.

      „Ich kenne den Weg.“ Wiederholte sie und ging hinein.

      Müde und noch ein bisschen benommen, ging Ella nun ins Bad.

      Tom lag in seinen Shorts frisch geduscht auf dem Bett. Der Fernseher lief. Er schnarchte leise.

      Nach der Dusche würde sie ihn wecken und mit ihm ein Restaurant suchen – es war an der Zeit, sich etwas Leckeres zu gönnen. Nach der langen Fahrt hatten sie verdient, ein gutes Essen vorgesetzt zu bekommen. Selbst Kochen stand erst morgen auf Ellas Plan. Beim Essen konnten Sie dann ihren ersten richtigen Urlaubstag planen.

      Ella freute sich sehr. 2 Wochen nur Tom und nur das tun, wozu sie Lust hatten. Keine Verpflichtungen. Herrlich!

      Während Ella ihre Dusche genoss, sollten Geheimnisse den Beichtstuhl verlassen.

      „ ... Deine Sünden sind Dir bereits vergeben.“

      Michael Huber drückte sich näher an den Beichtstuhl. Ein leises Schluchzen drang heraus. Er musste vorsichtig sein, damit ihn niemand bemerkte.

      „Niemand kann das je vergeben, Gott wird mich strafen, für das, was ich getan habe. Viele Leben sind unglücklich geworden durch das, was ich getan habe. Die Last wiegt so schwer auf meiner Seele, aber ich kann mich nach all den Jahren nicht offenbaren.“ Das Schluchzen der Frau wurde lauter.

      Pfarrer Meisner begann zu beten.

      Michael Huber schlich weiter durch das Kirchenschiff vorbei am Beichtstuhl, um das Werkzeug, das er dem Pfarrer bringen sollte, vor die Türe zur Sakristei zu legen. Ganz so, wie ihm sein Chef aufgetragen hatte.

      Als er vor der Türe der Sakristei stand, wurde der Vorhang des Beichtstuhls bei Seite geschoben.

      Michael Huber drehte nicht seinen Kopf in die Richtung, sah aber aus dem Augenwinkel, dass die alte Stuber, die derzeit im Gästehaus Leitner wohnte, heraustrat.

      Sie wischte sich mit einem Taschentuch über die Augen und ging gebückt zum Portal der Kirche, nahm Weihwasser aus dem Becken, bekreuzigte sich und verließ das Gotteshaus.

      Die alte Stuber war ihm noch nie geheuer gewesen. Scheinbar war seine Abneigung gegen die Alte, die jedes Jahr hierher kam, nicht ganz unbegründet.

      Leider hatte er nicht gehört, um was es genau ging, aber irgendetwas schien sie auf dem Kerbholz zu haben. Wie es für seine Ohren klang, vielleicht sogar etwas Kriminelles.

      Er legte das Werkzeug vor die Holztüre und verließ die Kirche. Niemand schien ihn bemerkt zu haben.

      Ungern war er hier her gekommen, aber er hatte keine Wahl gehabt.

      Umso schneller machte er sich jetzt auf den Heimweg.

      Durch diesen Gang in die Kirche hatte er zumindest die letzte Stunde in der Schreinerei gespart, weil er wegen dieses Botendienstes früher gehen durfte.

      Es war mittlerweile 19 Uhr, als Ella und Tom aus dem Gästehaus traten und den Weg entlang gingen, der hinunterführte in den Ortskern.

      Sie schlenderten Hand in Hand vorbei an einem Steinbrunnen. Um den Brunnen herum schien die Luft braun. Erst als sie näher kamen, erkannte Ella, dass es eine dichte Ansammlung von kleinen Mücken war, die in der Luft tanzten. Sie zog Tom beiseite, damit er nicht in die Mückenflut hineinlief und lachte.

      Beide waren wieder fit und mittlerweile sehr hungrig. Links stand freistehend ein weiteres Gästehaus, das aber recht verlassen aussah. Die Sonne war mittlerweile hinter den Bergen verschwunden, so dass Ella froh war, eine Weste übergezogen zu haben. Sie fror ein wenig, weil ihr Körper aufgeheizt war von den hohen Temperaturen am Tag. St. Jakob lag im Tal umgeben von Bergen, die imposant in den Himmel ragten.

      Nach etwa 200 Metern standen sie vor der Kirche, die Ella schon vom Balkon aus gesehen hatte. Nach einer kleinen Rechtskurve kamen sie an einem Tabakwarengeschäft vorbei, dahinter ein Schuhgeschäft. Zwei große Schaufenster boten Schuhe feil, die vermutlich selbst Ellas Mutter nicht hätte tragen wollen. Es gab Schuhe, die an Gesundheitsschuhe erinnerten, an Überbeine und Arthrose. Die Schaufenster waren schmutzig, an der Türe baumelte ein Schild mit dem Hinweis, dass der Laden geschlossen war.

      Direkt auf der Fassade über den Schaufenstern und der Eingangstür prangte in geschnörkelten Buchstaben Schuhwaren Lercher. Der Zahn der Zeit nagte sowohl an der Auslage des Geschäfts als auch an der Bausubstanz. Einige Buchstaben auf der Fassade waren schon verblichen, das r von Lercher nur noch zu erahnen.

      Auf einem kleinen Platz einige Meter weiter befand sich ein großer Supermarkt, eine Bäckerei und ein Café – scheinbar war der Ortskern auf Touristen ausgerichtet neu gestaltet worden. Hier wieder alles wieder zeitgemäß.

      Gegenüberliegend begann dann schon die Ortsausgangsstraße, wo sich ein italienisches Restaurant befand und ein paar Schritte weiter eine etwas modernere Kneipe mit Restaurant, vor der eine Terrasse mit Holzbänken prall gefüllt sehr einladend wirkte. Ältere und jüngere Gäste hatten sich dort eingefunden.

      Hier war alles lebendiger. Der erste Platz, der sich mit Leben und Lachen füllte. Aus Boxen klang gedämpfte Musik. Ella und Tom zögerten nicht lange und setzten sich an den letzten freien Tisch.

      „Das ist ja hier eine richtige Menschenansammlung.“ bemerkte Tom. „Ich habe schon gedacht, wir sind die einzigen Menschen in St. Jakob..“ er grinste „..mit unserer Vermieterin“.

      Sie bestellten zwei Bier, bekamen die Speisekarte und streckten ihre Beine unter dem Tisch aus.

      „Hier unten scheint es dann wohl belebter zu sein. Wir sind eben mit unserer Unterkunft am Ortsrand im alten ursprünglichen Teil vom Ort gelandet.“ konstatierte Ella, „und eigentlich tut uns das ja auch ganz gut, wir wollten ja auch mal ein bisschen Ruhe genießen – die haben wir jetzt.“

      „Das stimmt wohl, vor allem Dir tut mal Ruhe ganz gut. Vielleicht kannst Du so auch mal wieder ein bisschen zur Ruhe kommen. Und wenn wir’s gar nicht mehr aushalten, dann kommen wir hierher.“

      Ella nickte. „Ja, hier ist es wirklich nett.“

      Die letzten Monate waren nicht leicht gewesen. Das Unternehmen, bei dem sie als Controllerin angestellt war, war angeschlagen durch die Wirtschaftskrise. Zwar las man immer häufiger, es würde wieder bergauf gehen mit der deutschen Wirtschaft, Ella befürchtete aber, dass die große Krise gerade erst begann. Das bedeutete für sie, dass die nächste Zeit nicht weniger aufreibend werden würde, als die letzten Monate.

      „Ich habe vorhin noch zwei andere Gäste gesehen, als ich auf dem Balkon saß.“ Begann Ella zu erzählen. „Es war ganz merkwürdig, fast schon ein bisschen unheimlich….“ Ella schilderte Tom die ältere Dame, die sie vorhin beobachtet hatte.

      „Also entweder, die ist einfach