Miriam Gier

Der Geranienmörder


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Ausblick belohnte wie immer für alle Anstrengungen. Es war wunderschön. Ringsherum in alle Himmelsrichtungen ragten in der Ferne Gipfel in den Himmel empor. Auf einigen Spitzen konnte man noch Schnee erkennen inmitten des blauen Himmels. Dieser Kontrast war fantastisch.

      Diesen Kontrast liebte Ella auch so sehr in ihren Skiurlauben.

      Unten im Tal war meist alles grau und deprimierend. Sobald man aber oben war, erstrahlte das Blau des Himmels und zwischen den Gipfeln, die ringsherum zu sehen waren, und dem trüben Grau zogen die Wolken wie Wattebäusche entlang, die man auf die Kuhle gelegt hatte, um das Trübe zu verdecken.

      Ella und Tom saßen noch eine ganze Weile auf dem Gipfel und genossen den Ausblick, ehe sie den Weg zur Alm antraten. Tom fotografierte. Ella träumte vor sich hin. Sie würden schätzungsweise nochmal anderthalb bis zwei Stunden brauchen, ehe sie die Alm erreichen würden.

      Ihr Weg dorthin führte sie noch ein Stück über die Höhe, dann über leichtes Gefälle hinweg nach unten. Der Boden wurde wieder weicher, die Umgebung grüner. Ein schmaler Pfad, idyllisch gelegen, führte über eine kleine Holzbrücke über einen schmalen, doch reißenden Gebirgsbach. Bäume säumten ihren Weg, der stellenweise wild und unausgetreten war.

      Als die beiden die Alm erreichten, war es früher Nachmittag. Drei alte Häuser gehörten zur Alm. Vor einem der drei Häuser waren Holztische aufgestellt, die zum Verweilen einluden. Bei Bier, Skiwasser und einem Jausenbrettl lauschten Ella und Tom den Klängen vom Moosbacher-Alois und schauten zu, wie gerade Heu eingefahren wurde. Der Schnaps danach tat sein Übriges zu Ellas Entspannung. Die Sonne brannte. Ella fühlte sich wie erschlagen, aber glücklich. Ihre Beine hatte sie unter dem Tisch ausgestreckt und verbarg ihren erschöpften Blick hinter ihrer Sonnenbrille. Ihr Gesicht hatte sie zur Sonne gehoben und atmete tief ein und aus.

      Vier Tische waren draußen besetzt, alles Familien mit Kindern. Allesamt gut ausgerüstet mit scheinbar neuen Wanderoutfits. Die Holztüre zum Innenraum stand offen. Einige wenige Einheimische saßen im Haus direkt hinter dem Eingang.

      Ein Familienvater mit Schlapphütchen saß draußen am gegenüberliegenden Tisch und trank an einer Limonade.

      Für ihren Weg nach unten würden sie sicher nochmal zwei Stunden brauchen. Sie waren zwar nur 500 Höhenmeter hinaufgelaufen, aber der Rückweg war auch durch den Umweg über die Alm und durch den Abstieg ohne Gondel wesentlich weiter. Sie hatten sich nur die Fahrt nach oben gegönnt, um weniger Höhenmeter gehen zu müssen. Nach unten sollte es komplett zu Fuß gehen.

      An diesem Abend war also außer einer heißen Dusche und einem schnellen Essen hauptsächlich relaxen angesagt. Nach dieser ersten Tour würde Ella auf jeden Fall am nächsten Tag extremen Muskelkater verspüren. Sie waren so lange nicht mehr gewandert, ihr Körper musste sich erst einmal wieder daran gewöhnen. Sie hatte eine Tube Latschenkiefergel dabei, um den drohenden Schmerzen am nächsten Tag ein wenig vorzubeugen. Beim Skilaufen hatte das immer geholfen und ähnlich wie beim Wandern, waren die ersten drei Tage immer die schmerzhaftesten. Danach war meist alles in Ordnung.

      Eine graubraune Almkuh mit dicker Glocke um den Hals riss Ella aus ihren Gedanken. Sie stand direkt neben ihnen am Tisch hinter einer Holzabsperrung und streckte neugierig ihren Kopf zum Tisch rüber. Tom machte ein Foto.

      „Die verteidigt ihr Revier.“ Lachte Ella und strich ihr über ihr Maul.

      „Ja, die ist froh, wenn die ganzen Stocktouristen sich gleich wieder vom Acker machen.“ Tom hantierte mit der Kamera. Es brauchte eine Weile, bis er wieder alles richtig eingestellt hatte. Er besaß das nötige Interesse und die Geduld dazu. Ella dauerte das alles zu lange, so dass sie meistens ihm überließ, zu fotografieren.

      Ab und zu machte sie mal ein Bild mit ihrem Handy, wenn ihr etwas besonders gut gefiel, aber die meiste Zeit genoss sie einfach die Dinge so, wie sie in dem jeweiligen Moment waren.

      Nach Ellas Empfinden machte man meist sowieso zu viele Bilder. Zurück zu Hause, sahen viele Bilder fast gleich aus und wenn es um Bergbilder ging, musste sie gestehen, fiel es ihr immer noch schwer, die einzelnen Bergnamen den fotografierten Gipfeln zuzuordnen.

      Sie bemühte sich zwar, sich die dazugehörigen Namen zu merken, aber meist gelang es ihr nicht.

      Es wurde langsam Zeit für den Aufbruch. Je länger die Pause, umso mühseliger war es, sich wieder aufzumachen und weiterzulaufen.

      Sie zahlten ein Jausenbrettl, ein Skiwasser, ein Bier und zwei Schnäpse, die beide von Ella waren.

      Die Almkuh stand mittlerweile direkt neben ihnen am Tisch unbeachtet der Holzabsperrung und hatte Gefallen an Tom gefunden. Er schob sie beiseite, streichelte noch über ihren Kopf und reichte Ella ihre Stöcke. Ella schaute nochmal zum Heuschober hinüber. Sie versuchte, sich diese wunderschöne Alm einzuprägen. Diese Idylle inmitten der Berge war wirklich wunderschön.

      Als die beiden schließlich am späten Nachmittag am Gästehaus Leitner ankamen, sahen sie schon aus einiger Entfernung, dass sich an diesem bisher ruhigen Platz Ärger anbahnte.

      Drei Jugendliche standen breitbeinig mit ihren Mofas am Straßenrand, unterhalb der Balkone des Gästehauses. Zwei von Ihnen hatten eine Flasche Bier in der Hand. Sie schauten nach oben und schienen etwas zu rufen. Sie lachten.

      Frau Stuber war auf dem Balkon.

      Als sie näher kamen, sahen sie, dass Frau Stuber wie versteinert dastand. Sie starrte auf die drei Jungs nach unten.

      In der einen Hand Grün aus dem Blumenkasten, die andere Hand an die Stirn haltend. Sie blutete darunter.

      Als Ella und Tom eingeparkt hatten, sahen sie, dass einer der drei Jungs eine Steinschleuder in der Hand hielt. Ein anderer gab ihm etwas in die Hand und Ella vermutete, was folgen sollte.

      Der Junge mit der Steinschleuder spannte scheinbar erneut etwas mit dem Gummi nach hinten und ließ los, noch ehe Ella oder Tom die Möglichkeit hatten, diese Aktion zu stoppen.

      Ein Steinchen sauste durch die Luft nach oben, schoss haarscharf an Frau Stubers Kopf vorbei und prallte an der Holzwand neben der Balkontüre ab.

      „Vorhin hast Du besser getroffen, Alter!“

      Der Schütze lachte und nahm einen Schluck aus der Flasche seines Kumpels, der ihm solidarisch auf den Rücken klopfte.

      „Seid Ihr wahnsinnig!?“ Frau Leitner kam aus der Haustüre herausgelaufen auf die drei Jungs zu.

      „Wer den Schnaps nicht verträgt, der hat auf dem Fest nichts verloren!“ Schrie sie und streckte schon ihre Arme aus, um sich einen der drei zu schnappen, aber die Jungs waren schneller.

      Lachend und scherzend stießen sie sich vom Boden ab und machten sich auf ihren Mofas röhrend und knatternd davon.

      „Die irre Kuh, die wollen wir hier nicht haben!“ Brüllte einer noch aus sicherer Entfernung.

      Ella und Tom waren mittlerweile ausgestiegen und standen vor der Treppe zum Haus.

      „Was war das denn?“ Tom schaute Frau Leitner ungläubig an. „Denen muss man mal ihre Hammelbeine langziehen!“

      „Ist richtig! Das geht schon die ganze Zeit so, seitdem die Stubers hier sind. Die schikanieren die Maria Stuber, wo immer es geht. Das sind die Meinl-Brüder und der Huber-Michael. Die drei Halbstarken. Haben heute Nachmittag auf dem Pfarrfest schon eine ganze Flasche Schnaps leer gemacht und jetzt ist es noch schlimmer als sonst.“

      Hinter Frau Leitner erschien Eberhardt Stuber in der Haustüre. Aufgebracht, leicht außer Atem mit einem seiner Stöcke in der Hand gegen den Himmel ausgestreckt.

      „Wenn ich einen von denen erwische, der steht nicht mehr auf! Mir reicht’s!“ Eberhardt Stuber war außer sich.

      „Beruhige Dich, Eberhardt! Das bringt doch nichts! Ich werde mal mit der Erika Raich sprechen. Der Toni, der Sohn von der Erika ist befreundet mit den Meinl-Jungs und dem Huber-Michael.“ Sie drehte sich zu Ella. „Zum Leidwesen von der Erika.“

      Frau