Miriam Gier

Der Geranienmörder


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begeistert, dass der Moosbacher-Alois extra für die kranke Frau Stuber hier im Haus gespielt hat. Hat er sich gleich noch ein paar Tipps vom Moosbacher für heute geholt.“

      „Die Zither scheint ja hier ein sehr beliebtes Instrument zu sein.“ Bemerkte Tom.

      „Oh ja! Wie haben einige im Ort, die diese alte Tradition weiter aufrecht halten. Der Herr Pfarrer spielt wirklich auch sehr, sehr gut! Der Herr Pfarrer und der Moosbacher-Alois sind Freitag richtig ins Fachsimpeln gekommen, als sie sich hier im Haus begegnet sind.“

      Frau Stubers Redeschwall wurde gestoppt, als die Haustüre von innen geöffnet wurde.

      Herr und Frau Stuber traten hinaus. Frau Stuber hatte sich untergehakt bei ihrem Mann. Sie trug wieder Hose, Bluse und langärmeligen Pullover, als würde sie die Sommertemperaturen gar nicht fühlen.

      Akkurat, ordentlich, abwesend ohne Regung und Gefühl wirkte sie, wie sie so neben ihrem Mann auf der kleinen Terrasse stand und in die Ferne blickte.

      „Grüßt Euch.“ Frau Leitner schaute freundlich.

      „Guten Morgen.“ grüßte Eberhardt Stuber.

      Frau Stuber schwieg mit leerem Blick.

      „Wir machen uns auf zu einem kleinen Spaziergang. Ein paar Schritte werden der Maria gut tun. Nicht war, Maria?“ Liebevoll schaute er zu seiner Frau, die geistesabwesend auf die Berge schaute.

      „Ich wünsch Euch einen schönen Tag. Und gute Unterhaltung – Ihr geht doch sicher später auch noch zum Pfarrfest, der Pfarrer hat Euch ja immerhin persönlich eingeladen! Da gibt’s ja wieder Musik, die die Maria so mag.“

      „Vielleicht im Nachmittag. Mal sehen, wie es der Maria dann geht. Soll auch nicht zu anstrengend werden heute.“ Erwiderte Eberhardt Stuber und wandte sich wieder seiner Frau zu.

      „Komm, Maria – gehen wir ein bisschen. Einen schönen Tag!“ Freundlich nickte er in Ellas und Toms Richtung.

      „Servus Eberhardt! Servus Maria!“ Rief Frau Leitner ihnen hinterher.

      Eberhardt und Maria Stuber gingen langsam die Stufen hinunter. Eberhardt Stuber stützte den bei ihm untergehakten Arm seiner Frau mit seiner anderen Hand.

      Ella verspürte ein schlechtes Gewissen, weil sie über die Frau getratscht hatten und Geschichten erfunden hatten. Diese Frau Stuber war wirklich arm dran. Noch mehr ihr Mann, der anscheinend alles dafür tat, dass es ihr gut ging. Wie schlimm musste das sein, mit anzusehen, dass ein geliebter Mensch immer öfter nur noch aus der bekannten Hülle bestand ohne den Inhalt, den man liebte.

      „Wissen Sie, die Frau Stuber, die ist nicht mehr so ganz beieinander. Sie ist dement oder wie man das nennt. Aber trotzdem kommen sie jedes Jahr hierher, bestimmt schon seit 20 Jahren. Die Frau Stuber ist schon als junges Mädchen mit ihren Eltern immer in St. Jakob zum Urlaub gewesen.“ Frau Leitner zündete sich eine Zigarette an.

      „Dann werden wir mal schauen, was uns heute noch schönes erwartet.“ Tom schob Ella sanft an, um sie zum Gehen zu drängen. Sie verabschiedeten sich schnell von Frau Leitner, die gerade in die Luft paffte. Ehe sie noch etwas sagen konnte, winkten Tom und Ella freundlich und standen schon an ihrem Auto.

      „Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.“ Freundlich winkte sie Ella und Tom hinterher.

      Ella schnallte sich an. „Na, die war aber heute sehr gesprächig.“

      „Das kann man wohl sagen. Deswegen hab ich Dich auch gleich weitergeschoben, sonst stünden wir jetzt immer noch bei ihr.“

      „Wieso? Ich wäre schon jetzt auch weitergegangen.“ Wehrte sich Ella. „Außerdem finde ich es auch sehr nett, dass sie mit uns plaudert.“

      Tom startete den Wagen. „Dann fahren wir jetzt erst einmal zur Gondelbahn. Die meisten Höhenmeter haben wir dann schon mal im Sack.“ Tom setzte seine Sonnenbrille auf, drückte auf „play“ und parkte aus, während Angus Youngs Gitarrensolo laut aus den Boxen donnerte.

      „Na ja, es bleiben immer noch genug Höhenmeter übrig.“ Schrie Ella dagegen an und grinste.

      Sie würde auf ihrem Weg nach oben sowieso wieder mit ihrem Schicksal hadern, aber sie freute sich trotzdem auf ihre erste Tour. Sie war gespannt auf den Ausblick und auf die Alm. Wenn es dann ein Skiwasser und einen Schnaps gab, war meist die Plackerei vom Aufstieg schnell vergessen.

      Mit der Gondelbahn fuhren sie hinauf. Das Tal wurde immer kleiner und die Berge waren greifbar nah. Unter Ihnen Wiesen und Bäume, über die sie hinwegschwebten. Je höher sie kamen, desto mehr Berggipfel wurden sichtbar auf der gegenüberliegenden Seite des Tales. Keine Wolke war am Himmel zu sehen.

      Ella und Tom hatten jeder einen Rucksack dabei mit Wasser, einer Regenjacke, einem Brötchen und einem Apfel.

      Das hatten sie sich angewöhnt, seitdem sie bei einer Tour statt der geplanten sechs Stunden insgesamt elf Stunden unterwegs gewesen waren. Sie mussten damals kurz vor Erreichen des Ziels umkehren und den gleichen Weg wieder zurückgehen, weil ein Stück vom Berg abgerutscht war. So konnten sie damals die Hütte, in der sie rasten und essen wollten nicht erreichen, obwohl sie schon greifbar nah war.

      Mit Hunger und Durst traten sie damals den Rückweg an. Wolken waren aufgezogen und so wurde der Weg zurück sowohl von Hunger und Durst begleitet als auch von der Angst vor einem Gewitter. Damals hatten sie weder Proviant noch wetterfeste Kleidung eingepackt.

      Ella hatte heute auch ihre Stöcke dabei, die ihr schon manchen Auf- und Abstieg erleichtert hatten. 500 Höhenmeter lagen vor ihnen – nicht viel, aber als erster Anstieg seit langem absolut ausreichend.

      Die Gondel erreichte die Bergstation und es ging los. Außer ihnen war kein Mensch hier oben zu sehen, außer dem Personal am Ausstieg der Gondel.

      Über eine große Wiese gingen sie dem Berggipfel entgegen. Nur ein leichter Anstieg zwischen Bergblumen vorbei an Murmeltierbauten.

      Zwischen Steinen und kleinen Büschen gingen sie langsam weiter nach oben durch die langsam karger werdende Bergwelt.

      Den Kleinen Leppleskofel links liegen lassend, marschierten sie hintereinander her.

      Ella dachte wieder an Frau Stuber. Ob sie überhaupt etwas um sich herum mitbekam? Sie schien auch ihre Wirtin Frau Leitner gar nicht wahrgenommen zu haben, obwohl sie sie schon lange kannte. Offensichtlich duzten sie sich auch, die Stubers und Frau Leitner.

      Und dann der Stuber. Eberhardt. Der mit seiner Frau mit dem Taxi auf die Alm fuhr, um ihr zu ermöglichen, dem Zitherspiel zu lauschen. Der vermutlich dann den Musikanten gebeten hatte, für seine Frau im Tal zu spielen. Oder hatte der sogar selbst angeboten, ins Tal zu kommen, um für die Stubers nochmal zu spielen? Sehr nett. Frau Stuber konnte froh sein, solch einen Mann zu haben und so nette Menschen überhaupt um sich zu haben, die sich um sie sorgten und ihr das Leben angenehm gestalten wollten.

      Es wurde wärmer. Sie gingen langsam. Tom ging voran. Immer wieder blieben sie zwischendurch stehen, um einen Schluck zu trinken, kurz auszuruhen. Es war später Vormittag, als nur noch ein kleines steiles Stück, das letzte Stück zum Gipfel, vor Ihnen lag. Karge Felsen. Ein paar Meter vor ihnen waren noch zwei andere Wanderer auf dem Weg nach oben. Ella und Tom mussten sie eingeholt haben, trotz ihrer Stopps. Vorher hatte Ella niemanden gesehen. Sie waren etwa knapp über eine Stunde gelaufen. Ella blieb stehen und zog ihren Pulli aus, unter dem sie ein Top trug. Sie schwitzte.

      Lange laufen konnte Ella ohne Probleme. Es machte ihr nichts aus, wenn nötig auch zehn Stunden zu wandern, solange keine Steigung damit verbunden war. Sie hasste es, immer nur bergauf zu gehen, was sie aber immer wieder verdrängte, bis es wieder soweit war und sie alles verfluchte, weil sie so erbärmlich schwitzte.

      Sie schnaufte hinter Tom auf den letzten Metern zum Gipfelkreuz hinauf. Immer wieder musste sie sich an einzelnen Felsen festhalten, um die notwendigen großen Schritte nach oben zu machen. Ein letztes Mal zog sie sich nach oben.

      Die zwei anderen Wanderer saßen schon am