Angelika Merkel

Vermächtnis der Sünder Trilogie


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Panera einstmals war …« Sie hielt inne und musterte Lutek. »Doch! Ihr müsstet davon gehört haben. Erzähltet ihr nicht selbst die Geschichte von Estrellia und ihrem Soldaten? Ist nicht darin die Rede von Göttern? Und was ist mit der Sage der vier Geschwister, die ihr in der Nacht zum Besten gabt?«

       »Das sind Geschichten. Nicht mehr und nicht weniger«, erstaunte sich Lutek. Er erinnerte sich daran, das Deirdre nicht bei ihnen am Feuer saß. Nun, vielleicht hatten andere ihr davon erzählt, sinnierte er.

       »Es gibt Wissen und es gibt das Wissen«, orakelte sie mystisch, während sich ein weiteres Lächeln auf ihre Lippen stahl. Ihren Zeigefinger auf ihren Mund legend, bedeutete sie Lutek zu schweigen. Sie sagte selbst nichts weiter, sondern wandte sich von ihm ab.

       Richtig, was wusste er schon. Deshalb, welche Geheimnisse sollte er wahren? Oder meinte sie jenes Gefühl, das sich ähnlich einer Ahnung in ihm geschlichen hatte.

       Noch während er gedanklich der Magierin nachschaute, trat Jeamy zwischen den Bäumen heran. Auch sie verfolgte mit den Augen Deirdre, die sich wieder daran machte, ihre anderen Habseligkeiten zusammenzusuchen.

       »Keine Spur mehr von dem fliegenden Gezücht«, brummte sie Lutek zu. Der jedoch sah die alte Hüterin eher entgeistert an. Seine Gedanken schienen den Weg ihrer Worte zu blockieren.

       »Oh, ich sehe schon, ihr tragt ein Geheimnis mit euch herum. Gebt gut darauf acht, lieber Neffe.«

       Diesmal schafften es ihre Worte bis zu seinen Ohren. Er blickte sie mit seinen stahlblauen Augen an. »Es ist wahr! Ich bin euer Neffe?«

       »Ja. Morco ist Morenas Vater. Ich traute ihm nicht über den Weg und ließ sie verstecken. Und was er auch vorhaben mag, er ist gefährlich.«

       Sofort stellten sich bei Lutek die Nackenhaare als er die grausamen Bilder des Verlieses vor sich sah.

       »Das habe ich bereits zu spüren bekommen«, meinte er verachtend.

       »Es war verabscheuungswürdig«, bestätigte Jeamy. Ihre Miene wurde hart. »Ich kann nicht erkennen was er zu tun gedenkt oder was er tatsächlich bezwecken will. Wer ist der Feind? Je nach Sicht des Einzelnen ist es eine Frage des Standpunktes. Selbst der vermeintlich Gute kann sich zum Bösen wandeln, ohne das es ihm bewusst wird.«

       »Für jemanden, für den Mord ein alltägliches Geschäft sein mochte, ist er zu weit gegangen«, knurrte Lutek. »Foltern, auf welche Weise auch immer, ist nichts Gutes abzugewinnen. Der Standpunkt spielt dabei keine Rolle.«

       Ein wissendes Lächeln verbannte die harten Züge der alten Hüterin. »Niemand ist das, was er vorzugeben scheint«, philosophierte sie.

       Damit hatte sie in der Tat recht. Er selbst hatte vorgegeben jemand zu sein, der er nicht war. Ein Bruder des Schöpferhauses. In Wirklichkeit hatte er nicht daran gedacht so jemand zu sein, sonst hätte er sich dem Gelübde von Keuschheit zugewandt. Selbst die Beteuerung einzig dem Schöpfer dienen zu wollen ist er ferngeblieben. Weshalb? Es war offensichtlich. Er hatte einen Grund gesucht, aus der Hölle von giftiger Bigotterie und Heuchelei auszubrechen. Der erste Grund war seine Vision, der Zweite war Celena, die ihn mit sich nahm. Beides war vom Schöpfergott gesandt. Celena, seine Geliebte, Gefährtin und … Schwester. Er sandte seine eigene Tochter aus, deren Seele aus Hoffnung und Trotz geschmiedet war. Und sie fand einen der Söhne, dessen Geist mit Tau und Wiesengras zu Tücke und Warmherzigkeit verwoben war. Sie waren Gottesgeschwister und mussten darüber Stille bewahren. Stumm sollten sie sich offenbaren, um das Schweigen zu brechen. Ein Schweigen, das in geheimer Gewissheit schlummerte, um eines Tages wie eine rot-weiße Blume zu erblühen.

       * * *

      Celena, die wieder und wieder die Riemen ihres Kürass prüfte, bemerkte Thorgrim in ihrer Nähe.

       »Ihr habt bisher nicht über euren Besuch bei eurer Familie gesprochen. Wie geht es ihnen?« erkundigte sie sich.

       »Was? Meint ihr mich?«, grunzte der Zwerg unwirsch. Es schien, als hätte man ihn aus einem langen traumlosen Schlaf gerissen.

       »Sicherlich! Ich wüsste nicht, wer von uns noch seine Familie besucht hatte.« Celena lächelte dem Zwerg zu.

       Thorgrim schnaubte in seinen langen Bart hinein. »Sie … sie waren nicht hier«, antwortete er kurz angebunden.

       »Ihr ward ziemlich lange fortgeblieben, dafür, dass sie nicht da waren.«

       Sie hielt in ihrer Neugier inne. Es war dumm zu fragen, wo er sich herumgetrieben hatte. Was sollte einem, dem jede Art von flüssigem Rausch zugetanen Zwerg in einer Taverne aufhalten wollen, wenn nicht das Bier. Es wunderte sie stets auf Neuem, wie der Zwerg in seinem Zustand eine Axt halten konnte. Allerdings, seit Kelthran den bärbeißigen Winzling aufgelesen hatte, griff Thorgrim zu keinem Krug mit berauschendem Inhalt. Dieser Umstand machte Celena mehr Sorge, als die Tatsache, im besoffenen Zustand eine Axt zu schwingen.

       »Ihr seid nicht etwa nüchtern?«, fragte sie daher umgehend.

       »Wisst ihr, ich hatte das Bedürfnis den Geschmack von Gänsewein zu kosten«, bestätigte Thorgrim brummend ihren Verdacht.

       Gewitterwolken gleich zogen sich Celenas Augenbrauen zusammen.

       »Gebt mir eine klare Antwort, Thorgrim. Was ist wirklich los?«

       Der Gefragte schwieg. Thorgrim brach sich ein weiteres Stück vom Brot ab, an dem er sich seit einer Weile gütlich tat, und trank jenen flüssigen Feind aller Zwerge. Wasser.

       »Angeblich ist sie … sind sie irgendwo in Ignaz …«

       »Ihr meint Ithnamena? Dort reisen wir hin.«

       »Wie auch immer das heißen mag«, knurrte Thorgrim. Er drehte sich schroff von der Kriegerin ab und stapfte davon.

       Bevor sich Celena weitere Gedanken um den davonschreitenden Zwerg machen konnte, erschien vor ihr unerwartet eine ihr unbekannte Gestalt. Reaktionsschnell wollte sie ihr Schwert ergreifen, doch der Hüne hielt es bereits in Händen. Gehüllt in zerrissener Kleidung, die eines Bettlers würdig war, betrachtete der Mann gleichmütig die Klinge.

       »Aus dem Metall eines gefallenen Sterns geschmiedetes schönes Stück«, sagte er bewundernd.

       Celena spürte die Anwesenheit von unirdischem bis in ihre Knochen. Eine nicht in dieser Welt gehörende Wesenheit »Wer seid ihr?«, sprudelte ihr die Frage heraus, bevor der Hüne seine Kapuze zurückschlug.

       Ihre Frage stellte sich als überflüssig heraus, nachdem blitzende, blaue Augen sie aus einem Gesicht musterten, das sie bereits kannte. Ernste, gleichwohl gütige Züge waren in dessen Antlitz zu finden und langes, mit dem bauschigen Bart vereintes Haar zierten sein Haupt.

       »Das kommt darauf an, wie man mich zu sehen pflegt«, ertönte die tiefe Bassstimme vor ihr.

       Sie ließ sich nicht einschüchtern. »Warum seid ihr hier? Was wollt ihr?«, forderte sie die göttliche Präsenz heraus.

       Von dem Giganten kam keine Antwort. Er warf ihr lediglich das Schwert zu, welches sie aus dem Reflex heraus, auffing.

       »Du wirst dich einem Gegner gegenübersehen, dem du noch nicht gewachsen bist. Sei deshalb vorsichtig«, sprach die Präsenz anstatt und stützte sich auf einen Stab.

       »Ihr wollt, dass ich euren Krieg führe und das ist alles, was ihr zu sagen habt«, sagte sie in einem feindseligen Ton. »Gibt es sonst nichts weiter … Vater?« Celena zwang sich regelrecht dazu, ihrer Stimme einen ruhigeren Ton zu verleihen.

       »Nun, ich wollte dich sehen.«

       Der riesenhafte Mann verzog seine Mundwinkel zu einem Lächeln. Celenas Wut schien angesichts dessen hinweggespült. Ein Bedürfnis machte sich stattdessen in ihr breit, das sie lange nicht verspürt hatte. Nicht seitdem ihr leiblicher Vater den Tod gefunden hatte. Ihre Gedanken erhaschend wurde der Ausdruck in den Augen des Riesen gütiger, wobei sie dennoch nie dieses eisige Funkeln verloren.

       »Du und er, ihr seid meine größte Hoffnung. Es ist alles was ich noch habe. Und du bist meine Tochter. Ein Teil von mir ist in dir und war es stets. Sieh her!« Mit einem Fingerzeig bedeutete er ihr, die Augen auf die Klinge des Himmelsschwerts zu richten. »Geschmiedet von einem Menschen aus