Jörg Nitzsche

Das Leben auf der anderen Seite


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diesen ganzen uniformierten Auftritts- und Blödsinngelabber-Schnickschnack, von antiquierten Auslagen der Schaufenstern bis hin zu bröckelnden Hausfassaden. Tatsächlich kam es nie vor, daß man bewundernd über etwas über die da drüben redete, sondern eher wie grausig da drüben alles ist. Wie ist das dort zu leben und zu arbeiten? Das habe ich mir schon hin und wieder gedacht, denn wir haben ja auch Verwandte dort drüben. Schon in diesen kurzen Momenten wurde mir klar, wie anders Westdeutsche über ihr Leben erzählt hätten, und wie überraschend klar die Menschen drüben ihr Schicksal beim Namen nennen. Dabei spüre ich keine Abgestumpftheit bei ihnen um solche Entbehrungen ertragen zu können. Nein, die beiden sagten mir frei heraus wie traurig das Leben bei Ihnen bestellt ist, wie wenig ihnen geboten wird. Sie erzählten mir sogar über die permanente Angst, irgendeiner könnte der Stasi angehören. War das vielleicht so eine Art Wink mit dem Zaunpfahl? Tatsächlich – ich konnte mir beim Zuhören einen Lacher nicht verkneifen als sie mir anvertrauten, daß sie nicht ganz sicher seien ob ich nicht einer von der Stasi sein könnte. Ich, einer von der Stasi? Ich mußte schon wieder lachen. Tja, bin wohl wahrscheinlich der einzige der hier so behämmert ganz alleine rum hängt und Frauen auf der Straße anquatscht. Meine Gehirnwindungen liefen derweil heiß, mit dieser Angst konfrontiert zu werden, ich hätte ein IM von der Stasi sein können das ist schon echt abgedreht. Wenn wir West­deutschen Bulgarien belagern und den DDR-Bürgern unsere Übergröße vorleben, weil wir die begehrten Devisen mitbringen, sind wir da nun andere oder bessere Deutsche? Für die Bulgaren allemal. Doch auch die Ostdeutschen sprechen deutsch, denken deutsch und leben bestimmt auch deutscher als andere Staaten und sind doch komplett andere als wir Westdeutschen. Nur wie anders? Bei allen Gesichtspunkten, wie vorzüglich (na ja?) wir hier und wie unerhört beleidigend die anderen Deutschen behandelt werden, sollte man einmal Honecker demonstrieren. Die Frage, ob er sein blöddreistes Gequatsche von Freundschaften zu den anderen Sozialistischen Brüderstaaten selbst überhaupt ernst genommen hat, kam mir bei meinen bisherigen Eindrücken in den Sinn. Mir fiel zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich viel Intelligentes ein. Ich mußte das Erlebte auch erstmal verdauen. Ich habe mich nicht lange mit den beiden unterhalten können da ihr Bus in wenigen Minuten abfährt, und so kam etwas Panik bei den beiden auf. Meine gut- aber nicht ernstgemeinten Sprüche wie "... ihr könnt notfalls bei mir pennen, wenn ihr den Bus verpaßt", zeigten wenig Resonanz, leider. Schade, denn nun war ich wieder alleine, mit mir und meinen Gedanken über diesen blöden Urlaubsanfang. Ihr Camping­platz lag irgendwo bei Burgas. Bei meinen geographischen Kenntnissen war es wenig verwunderlich wenn ich schon nicht mal mehr wußte ob Burgas westlich oder östlich von hier aus lag. Den Bus erreichten wir aber locker, ich begleitete sie. Der Kathrin gab ich noch meine Visitenkarte. Auch nach ihrer Abfahrt beschäftigte mich das Gespräch noch, aber gleichzeitig schlug mir die Unauffindbarkeit meiner beiden Kumpels fürchterlich auf das Gemüt. Und dann diese ungewohnte Umgebung, wie eingesperrt fühlte ich mich. Meine Hoteladresse hatte Manfred wenigstens, beruhigte ich mich etwas. Jetzt beobachtete ich die Menschen noch bewußter und war noch sprachloser, denn nun murmelte ich immer wieder vor mich hin, „man, das sind alles Ossis“. Ich bekam Hunger, und bequem und verwöhnt wie man als Westeuropäer ist, ging ich recht locker in das erstbeste Restaurant hinein, zumindest was man als solches ausmachen konnte. Völlig farblos war das Innere dieser Lokalitäten hier, Kellner und Kellnerinnen hatten wenig Gespür für Service. Na ja, selbst gerade in der Hotelfachausbildung, kann ich das wohl einschätzen. Überall bekleckerte Tischtücher und überhaupt keine typische Restaurantatmosphäre. All das fiel mir sofort auf. Und dann stand man meistens irgendwo in einer Warteschlange – na ja, nicht ganz. Das eigentlich noch viel Unangenehmere daran war, daß man mich jedesmal aus dieser Schlange heraus pickte und ich vor allen anderen einen Tisch zugewiesen bekam. Das war echt der Alptraum. Es war ja immer voll.. Es war durchgehend und überall so wie auf einer Kur wo alle zu einem festgesetzten Zeitpunkt die Kantine stürmten. Man, kam ich mir blöd vor als ich zu den anderen Tischen hin schaute. Aber irgendwo mußte ich ja hingucken, und weil die meinen Blicken alle so merkwürdig auswichen mußte ich nun andauernd an diesen Stasi-Scheiß denken. Die anderen Tage probierte ich völlig entnervt auch mal die Imbißbuden aus, von allem ein bißchen eben. Also eine Freude wurde die Fresserei für mich den ganzen Urlaub nicht. Aber das Schlimmste war für mich immer noch die Scheißerei. Die wurde für mich echt zu einem Fluch. Nirgends Klos, und wenn, dann wieder ewig in einer Schlange rumstehen. Und auf was habe ich dann in der Schlange gewartet, auf völlig versüffte Plumpsklos. Ich glaube ich habe mehr Zeit damit verbracht die Stellen zu reinigen die ich möglicherweise berühren konnte, als mein eigentliches Geschäft zu verrichten. Nur ein einziges Mal konnte ich es nicht mehr aushalten und die Natur mußte herhalten. Alles ist hier gewöhnungsbedürftig. Überhaupt beobachtete ich alles mit Argwohn. Richtig wohl fühlte ich mich, glaube ich, den ganzen Urlaub nicht. Hier passierte überhaupt nicht mal etwas Spontanes. Daß vielleicht mal irgendwo spontan gelacht wurde, überall nur liebe, artige Pärchen. Ein bißchen gespenstig war das. Ich suchte dann noch eine Bar auf, die man bei uns so wohl nicht als Bar bezeichnen würde und beendete damit meinen ersten Tag und Abend. Ich schlenderte zurück zu meinem Hotelkomplex. Das waren mir für den 1.Tag genügend Eindrücke. Aber oh graus, von schlafen konnte ebenfalls keine Rede sein. Die hoteleigene Disko geht bis vier Uhr früh, und die machte einen Wahnsinns Lärm. Irgendwie ging es dann doch. Am nächsten Morgen dann Frühstück, wieder eine Katastrophe. Ein Büffet, aber jede Stulle mußte extra bezahlt werden. Umständlich, Erholung für die Gäste bzw. der Gast ist König – ich glaube, das kennen die hier nicht, muß ein Fremd­wort sein. Und dazu dieses elende Kindergeschrei. Vielleicht haben die Kinder noch am ehesten gespürt, was das hier für ein Alptraum ist. Für mich auch etwas peinlich, das war nie zu übersehen, wie sich die Bundies (Bundesrepublikaner) manches Mal aufspielten. Als seien sie in einem First-Class-Hotel. Um mir das „Continental“ allerdings auch nur ansatzweise als solches vorstellen zu können hätte man mich schon unter Hypnose stellen müssen. Jedenfalls, hier haben unsere Jungs genug Geld, um auch mal die Sau raus lassen zu können. Gut, ich finde ja auch, und das kann man keinem verübeln, jeder soll so leben dürfen wie es ihm gefällt. Aber bitte mit Respekt und Anstand und Rücksicht auf andere Urlauber, und nicht auf gleiche Weise zurückzahlen, wie man vielleicht selber als kleiner Angestellter zu Hause behandelt wird. Leider ist das hier eine alltägliche Show gewesen und nicht wert tiefgründiger behandelt zu werden. Nun, der Freitag verging ähnlich wie der Donnerstag, mit zwei Ausnahmen allerdings. Einmal stand eine Erkundungsfahrt mit anschließendem Essen auf dem Programm. Das war ganz nett, zeigte mir aber nur noch deutlicher wie trostlos selbst die Natur hier ist. Wo ist die Natur jemals reizlos, doch hier ist selbst die Natur ein Reinfall. Ich weiß noch, in Griechenland, wenn ich da ein wenig auf Abwege ging zeigten sich plötzlich Reliquien vergangener Jahrtausende. Einmal war ich sogar dabei als in einer X-beliebigen Gegend auf Kreta ein tönernes Gefäß vorsichtig ausgegraben wurde. Das fesselte mich, regte meine Fantasie an. Aber hier ist nichts außer einer kargen Steppenlandschaft, die einfach nur trostlos aussieht. Die andere Ausnahme an diesem zweiten Tage war nun die endgültige Gewißheit, daß meine beiden Kumpels ganz woanders gelandet sind als ich. Und zwar in das achtzig Kilo­meter entfernte Düni. Da stand ich nun in meinem bescheuerten Kaff, hatte keine Sau mit der ich reden konnte. Ich hätte fast noch zu heulen ange­fangen, so mies fühlte ich mich für einen Moment. Verlorener bin ich mir noch nirgends vorgekommen. Und dabei habe ich noch die ganzen zwei Wochen vor mir, die mir mit einem Mal tödlich lang erschienen. Der Bewegungsspielraum war gleich null, eine traurige Situation, der ich mich ausgesetzt fühlte. Ich murmelte permanent irgendwelche Flüche vor mir her, oder machte verkrampfte Scherze wie: „verdammt, jetzt bin ich eingesperrt wie in der DDR“, während ich tatsächlich ein bißchen diese trostlose Landschaft erkundete. Unterhaltungsmäßig fühlte ich mich auch ziemlich eingeengt. Die Disko­theken waren ein Witz, na ja, ich gewöhnte mich dran. Öffnungszeiten kannte man hier nicht, also konnte man 24 Stunden in die Disko gehen. Und dann die Ostdeutschen die oftmals in langen Schlangen davor standen um eingelassen zu werden. Und das eigentliche Dilemma war, daß ich ihnen nie auf Augenhöhe begegnen konnte. Immer wieder wurde ich mit so einer unangenehmen Bescheidenheit angesprochen, ob es mir denn recht wäre wenn sie sich mir zugesellten. Sie wollten ja gerne auch hinein kommen in die Disko. Und ich kam ja immer sofort rein, und das, obwohl ich meisten nicht mal rein wollte in diese Kaschemmen. Wollte mir eigentlich nur die Leute angucken die da rein wollten. Rein aus Unterhaltung und Zeit totschlagen. Auf so eine blöde Beschäftigungsidee kann natürlich nur ich kommen, aber viel Aufregendes gab es für mich dort