Jörg Nitzsche

Das Leben auf der anderen Seite


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sie mich bloß immer gleich als Wessi ausmachten? Besondere Klamotten hatte ich jedenfalls nie an. Die Ostdeutschen dagegen jammerten mir immerzu vor wie schlecht es ihnen drüben geht. Und auch, wie schlecht sie hier behandelt werden. Aber daß es für sie immer noch einer der schönsten Urlaube ist die sie machen können. Da denkt man ja unweigerlich an ein Leben in der Hölle. Ich kam mir schon vor wie so ein Wackeldackel, innerlich schüttelte ich wohl öfter den Kopf als in meinem ganzen Leben vorher, über das was ich zu sehen und zu hören bekam. Aus meiner Selbstverständlichkeit heraus konnte ich mich überhaupt nicht in solch eine Lebenssituation hinein versetzen. Wie man überhaupt so ein Leben im real dahin vegetierenden Sozialismus führen konnte, diese Fragte stellte ich mir immerzu. Auch wenn ich jetzt so überheblich darüber schreibe, sie taten mir immer Leid, denn sie waren alle sehr nett. Es war auch immer sehr angenehm in ihrer Mitte, ich fühlte mich immer zugehörig. Ja, ich gehörte immer zu ihnen. Wenn sie mit rein gekommen sind, dann wurde ich nicht auf einmal wieder ein Fremder für sie. Ich kam mir manchmal schon wie Papa vor, der sich jetzt mal um das Problem hier kümmert. Schön zurechtmachen konnten sie sich aber wirklich, alle Achtung.

      Den Strand entlang Strand bewegte ich mich meistens ziemlich linkisch rauf und runter und wieder zurück und das gleich mehrmals am Tag. Ich kann nicht lange wie ein Braten und auf einem Fleck festgenagelt liegen, das langweilt mich dann auch schnell. Also blieb nur Fratzenschauen. Alleine am Strand rum zu hängen war schon irgendwie komisch aber ganz alleine auch noch Mädels anzuquatschen bedurfte schon einiger Überwindung. Ich machte es aber trotzdem, unter anderem auch 2 Ostberlinerinnen. Sie waren sehr freizügig. So halbnackt, wie sie waren, empfand ich es noch blöder sie anzuquatschen. Konnte ja so rüber komme, als hätte mich ihr Anblick aufgegeilt und nun gehe ich zum Angriff überging. Nun, so ganz falsch ist es ja nicht, wenn ich ehrlich bin. Sie sahen schon sehr attraktiv aus. Ich mußte immer daran denken was die wohl von mir denken wenn ich so behämmert über den Strand pflüge. Am Samstag, meinem 3.Tag, erblickte ich also Petra und ihre Freundin, die Ostberlinerinnen. Petra schoß wirklich den Vogel ab, sie sah sehr sexy aus. Ungehemmt mit freiem Oberkörper war ihre super Figur schon nett anzuschauen. Doch am schon am gleichen Abend hätte ich ihr wahrscheinlich hinterher gepfiffen weil ich sie kaum wiedererkannt habe. Sie war jetzt nicht mal sehr auffällig geschminkt, konnte sich aber komplett verwandeln.

      Beide waren sie sehr aufgeschlossen. Aber ich muß zugeben, worüber wir gequatscht haben weiß heute schon nicht mehr. Es waren wie so oft in diesem Urlaub ganz andere als die sonstigen Gesprächsinhalte. Habe ich sie etwa gar nicht so ausgefragt? Ist jedenfalls nichts bei mir hängen geblieben. Bei den beiden war mein Gefühlserlebnis gar nicht so viel anders als wenn ich sie bei uns am Ostseestrand, z.B. am Timmendorfer Strand, kennen gelernt hätte. Hier am Strand sind alle 100 – 200m solche kleinen, vielleicht 2,5m hohen Wachttürme ohne irgendwelchen Sonnenschutz. An diesen Gebilden hängen sich die Einheimischen und Badewächter ran um ihre Körper zu stählen. Klimmzüge und sowas. Gerade zum Abend hin kann man die Bulgaren gut kennen lernen. Dann sind sie fast an der Überzahl hier am Strand. Blöderweise haben sie, natürlich nur die Männer, dann in ihren Plastikbeuteln nicht nur ihre Badesachen drin sondern, irgendwelche Sachen zum Tauschen. Denken, daß sie uns Wessis mit Kaviar heiß machen können. Diese blauen Dosen kennt ja jeder. Das scheint hier schon so ein tägliches Ritual zu sein. Zurück zu meinen Ostberlinern. Tatsächlich scheinen Ostberliner doch wieder anders zu ticken als der Rest der Ostdeutschen. Ich verbrachte den Nachmittag weitestgehend mit ihnen und wir verabredeten uns dann auch für den Abend. Wir trafen uns vor der Disko wieder. Wir 3 kamen sofort rein und ich hatte ihnen zuliebe 2 Packungen Davidoff-Zigaretten mitgebracht. Eigentlich gehörten sie Manfred Manfred und Thomas, aber weil mir klar war, daß den Sackgesichtern mein Schicksal am A..... vorbei geht, kann ich die Zigaretten auch so verschenken. Wir hatten viel Spaß in dieser Nacht und vor allem vermißte ich meine Kumpels nicht. Verwundert war ich ein bißchen über diese Selbstverständlichkeit mit der sie sich zu allem einladen ließen. Schlimm fand ich es nicht, was kostete mich der Abend schon. Tatsächlich waren die Preise ein Witz. Aber diese besondere Eigenart sollte kein Einzelfall bleiben, wie ich später noch öfters erfuhr. Gut, vielleicht werden die Frauen in der DDR generell eingeladen, es ist also ganz normal für sie. Was mich enttäuschte war eher, daß überhaupt kein Dank rüber kam. Ich traf sie auch am nächsten Tag am Strand und wir hatten einen schönen Tag zusammen. Vor allem Karin hatte es mir angetan, von ihr machte ich sogar ein paar Bilder am Strand. Und ich erfuhr von ihr auch wo in Ostberlin sie arbeitet. Zu dem Zeitpunkt eigentlich unbedeutend, denn daß ich mal nach Ostberlin kommen könnte war völlig abwegig. Ich lernte dann am Montag Abend auch noch 2 weitere Mädels kennen. Spazierten ebenfalls vor mir her und ich sprach sie wieder mal einfach so auf der Straße an. Obwohl ich es hätte ahnen können habe ich wieder erstaunt reagiert, als sie mir ihre Herkunft offenbarten. Genauso erstaunt wie ich über ihre Entscheidung war mit mir mitzukommen. Ich konnte nämlich beide überreden für ein paar Tage mit mir nach Djuni zu fahren. Beide sind aus Leipzig – obwohl, stimmt eigentlich nicht. Sie studieren nur in Leipzig. Wir nahmen uns am nächsten Morgen ein Taxi nach Djuni und so sah ich Burgas das erste Mal live. Also so was Verrücktes von Stadt habe ich noch nie vorher gesehen. Da schien mir selbst die New Yorker Bronx einladender. Riesige Wohnblockhochhäuser in der City, die so aussahen, als würden sie gleich in sich zusammenbrechen. Die Balkons wirkten absolut baufällig, und trotzdem hing überall Wäsche und mittendrin lugte eine runde Fernsehantenne hindurch. Nach der Stadt ging die öde Landschaft weiter. Nichts, was das Auge irgendwie zum Leuchten gebracht hätte. Ich dachte währenddessen über diese merkwürdige Bescheidenheit nach, mit der sich Ostdeutsche immer wieder bemerkbar machten. Mußte ich auch dieses Mal bei den Leipzigern wieder schmunzeln. Da frage ich sie nun schon ob sie Lust haben mich zu meinen beiden Kumpels zu begleiten, und sie fragten mich zurück ob es mir denn recht wäre, wenn sie mich begleiten dürften. Was soll man bitteschön darauf noch antworten? Außer ne etwas schräge Grimasse zu ziehen, ob ich sie jetzt richtig verstanden habe, fiel mir wohl tatsächlich nichts ein. Als ich mit den Mädels in Djuni eintraf waren wir alle 3 wirklich angenehm überrascht von diesem Urlaubsdorf. Ein wirklich schönes Touristendorf westlicher Prägung ist hier aus dem Boden gestampft worden. Das hört sich jetzt sehr gediegen an, das war es nicht. Es war einfach nur sauber und machte einen guten Eindruck. Hochhäuser sucht man hier vergebens. Nur maximal zweistöckige Apartments plus einer Hoteloase. Für Familie mit Kindern wirklich eine ideale Gegend. Für Thomas und Thomas eher weniger passend, denn im Grunde war es hier einfach nur noch öder als bei mir. Es gab hier keine weiteren Singles. Es war alles so überschaubar, aber auch todlangweilig angeordnet, daß wir regelrecht über Manfred und Thomas stolpern mußten. Zum Glück. Ich war direkt ein bißchen erleichtert. Sie empfingen uns beide schon mit heraus hängender Zunge, ich hatte immerhin Corina und Catharina im Schlepptau. Da war in Sunny Beach entschieden mehr Leben vorhanden. Hier sucht man allerdings DDR-Bürger vergebens.

      Die Begrüßung mit meinen Kumpels fiel aus als hätten wir uns gerade an unserer Kieskuhle getroffen. Die Blödmänner mußten aber lachen und machten Scherze über mein Schicksal. Das war ihnen natürlich sofort klar gewesen weil sie ganz woanders gelandet sind. Sie waren gerade dabei sich strandfertig zu machen und so gingen wir alle zusammen an ihren Strand. Natürlich freuten sie sich über meine Leipzigerinnen, denn hier war überhaupt nichts los. „Das ist ja noch bekloppter als bei mir“ kam es gleich aus mir heraus geschossen. Am Strand waren die beiden Mädels ausgesprochen freizügig. War für uns alle 3 direkt ungewohnt, daß Corina und Catharina gleich blank zogen. Meine beiden Leipzigerinnen sind Medizinstudentinnen, und einen Satz von der Kathrin werde ich nie vergessen: "Honecker ist unsere letzte Hoffnung", sagte sie im Zusammenhang über die momentane politische Lage in Ungarn. Meine beiden Kumpels und ich schauten uns nur blöd an, auf diese Aussage war keiner von uns vorbereitet. Aber eigentlich interessiert es weder Manfred noch Thomas was sich da drüben tut. Sich gedanklich mit diesem Thema „DDR-Flüchtlinge in der Deutschen Botschaft in Ungarn“ auseinandersetzen, so wie ich, tun die beiden nicht. Die beiden Leipzigerinnen hätten auch aus Duisburg kommen können, Manfred und Thomas hätten