N.K. Wulf

Spur der Vergangenheit


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die Wasserflasche und hob herausfordernd eine Augenbraue.

      „Also mal ganz ehrlich. Mein Vater schreibt mir schon lange nicht mehr vor, wann ich ins Bettchen gehen sollte. Ich muss Ihnen wirklich noch einiges beibringen.“

      „Also ich für meinen Teil würde gerne ins Bettchen. Ich bin echt erledigt und Sarami hat mich heute auch noch nicht wirklich zu Gesicht bekommen.“

      „Tja … dann muss ich wohl alleine los.“

      „Soll ich euch noch nach Hause bringen?“, fragte Nik.

      „Nein, ich habe lediglich ein Radler getrunken. Außerdem lässt man seinen Besuch nicht warten.“ Chris zwinkerte ihm zu.

      „Hört, hört. Also macht unser Boss doch noch Party heute Abend. Der Mann ist lernfähig.“

      „Sag Gute Nacht, Fräulein Winter.“ Sie zog Anni am Arm.

      „Gute Nacht, Fräulein Winter“, antwortete Anni spöttisch, und Nik warf den Kopf in den Nacken und musste lachen. „Gute Nacht. Und nochmals vielen Dank. Ich bin immer noch ganz sprachlos.“

      „Lass gut sein. Wirklich.“

      Sirenen tauchten in der Ferne auf und kamen schnell näher.

      „Ich schließe dann gleich ab. Verschwindet jetzt.“

      Chris drehte sich noch einmal zu ihm um. „Viel Glück.“ Ihre Lippen formten diese Worte lautlos und sie ließen ihn zurück.

      Sie hatten bereits den Ausgang erreicht, als Anni gegen ihre Jackentasche klopfte. „Ach, Mist. Hab meinen Schlüssel an der Anmeldung liegen lassen. Moment.“

      Chris schüttelte den Kopf. „Aber mich anmaulen.“

      Die Sirenen waren nun ganz nah und plötzlich bremste ein Wagen so abrupt vor der Praxis ab, dass einzelne Kieselsteine vor die Tür flogen.

      „Na, da hat es aber jemand verdammt eilig.“

      „Vielleicht ist etwas passiert. Ich schaue mal nach.“

      Anni verengte missmutig die Augen. „Oh, Mann. In diesem Job hat man wirklich nie Feierabend. Das war‘s wohl mit Ausgehen.“ Sie zog sich die Jacke wieder aus, als Chris plötzlich aufschrie. Ohne mit der Wimper zu zucken, folgte Anni ihr nach draußen und erstarrte. „Oh mein Gott.

      Nik blieb zurück und ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Er lehnte immer noch vor dem Kühlschrank und hielt die Wasserflasche in der Hand. Er dachte an das Bevorstehende und das Schmunzeln verschwand auf der Stelle. „Gib ihr noch eine Chance.“ „Ich versuche es“, murmelte er und lief gerade wieder Gefahr, eine depressive Haltung einzunehmen, als ein Schuss die Stille durchbrach und er kurz darauf Chris schreien hörte. Vor Schreck rutschte ihm die Flasche aus der Hand und ging scheppernd auf den harten Fliesen zu Bruch. Sein Puls raste und pulsierte bis zum Hals.

      „Aaaahhh.“ Ein weiterer, ohrenbetäubender Schrei. „Anni.“ Er stürmte hinaus, kam aber nur bis zur Rezeption und ein noch größerer Schock traf ihn so unvorbereitet, dass er kaum noch in der Lage war, klar zu denken. Drei Männer. Direkt vor ihm und die Gesichter unter abstrakten Tiermasken verborgen. Er konnte nur Augen erkennen. Tiefblaue Augen, die ihn mit einer Arroganz anstarrten, dass Nik seine aufkommende Wut kaum im Griff hatte.

      „Guten Abend, Dr. Berger.“ Der Mann schien beeindruckt von seiner Körpergröße. „Ich muss mich für die späte Störung entschuldigen.“

      „Was zum Teufel ist hier los? Wer sind Sie?“ Nik funkelte die Männer an.

      „Nun. Das spielt im Augenblick keine Rolle. Aber ich fürchte, Ihr Feierabend wird noch etwas warten müssen.“ Er richtete sich noch etwas mehr auf und verstärkte den Griff um Chris‘ Hals. Verängstigt schloss sie die Augen und begann zu weinen.

      „Was wollen Sie? Hier gibt es nichts für Sie zu holen, Geld schon gar nicht. Davon können Sie sich gern überzeugen. Aber lassen Sie die Mädchen los.“

      Der Mann legte den Kopf schief und grinste ihn an.

      „Er verspottet mich. Arroganter Mistkerl.“

      „Ihre paar Kröten interessieren mich nicht. Ich bräuchte nur ein wenig … na ja, sagen wir, etwas Unterstützung, um meine Freunde da draußen zu überzeugen, uns nicht weiter auf die Pelle zu rücken. Ich darf doch auf Ihre Hilfe zählen?“

      „Du kannst mich mal.“ Nik hatte seine Wut nicht mehr unter Kontrolle und ballte die Fäuste.

      Sein Gegenüber schnalzte mit der Zunge und drehte ganz langsam den Kopf von rechts nach links.

      „Warum seid ihr Sauerländer eigentlich immer so stur? Ich habe doch höflich gefragt, oder etwa nicht?“ Mit einem gewaltigen Ruck stieß er Chris von sich. Sie konnte das Gleichgewicht nicht halten, krachte zu Boden und blieb zusammengerollt dort liegen. Ohnmächtig musste Nik mit ansehen, wie dieser Irre mit der Löwenmaske seine Waffe weiter auf sie gerichtet hielt. Es machte ihn fast wahnsinnig, denn er konnte nichts dagegen tun.

      „Nein!“, schrie Nik und hob beide Hände. „Nicht. Ich mach alles, was Sie wollen. Aber tun Sie ihr nichts. Bitte.“

      Amüsiert lachte der Mann auf.

      „Dachte ich‘s mir doch.“ Er schaute auf Chris herab, dann wieder zu ihm. „So, wie du sie anstarrst, könnte man meinen, du hast was mit ihr. Nicht, dass es mich interessieren würde.“

      „Sie ist meine Tochter. Nicht, dass es dich etwas angehen würde.“

      Das überraschte ihn jetzt allerdings. Eine Ähnlichkeit war nicht erkennbar, aber im Grunde war es auch egal. Er zuckte mit den Schultern. „Wie dem auch sei. Darf ich dann bitten. Es dauert auch nicht lang.“ Der Mann fuchtelte mit der Waffe umher und bedeutete Nik, zu ihm zu kommen.

      Er gehorchte nur zögerlich, konnte den Blick von Chris nicht lösen. Dann durchfuhr ihn ein stechender Schmerz in der Schulter, als der Löwenmann nach ihm griff und seinen Arm so kräftig nach oben drückte, dass Nik unweigerlich ins Hohlkreuz fiel.

      „Beweg dich endlich.“

      Er drückte ihn aus der Tür und schirmte dabei seinen Körper hinter ihm ab. Sofort blendete sie das Scheinwerferlicht der Streifenwagen. Nik versuchte mit der anderen Hand, das Licht vor seinen Augen abzuschirmen, aber erneut wurde der andere Arm so nach oben gedrückt, dass er schmerzhaft das Gesicht verzog und nachgab.

      „Hören Sie auf, so an mir rumzuzerren.“

      „Halt die Klappe oder ich mach noch ganz andere Sachen mit dir.“

      Nik öffnete wieder die Augen. Einige Beamten reagierten entsetzt auf die neue Entwicklung und traten nervös von einem Bein auf das andere.

      „Wie ihr seht, haben wir nun drei Leute in unserer Gewalt. Wenn ich auch nur einen von euch in der Nähe dieser Tür sehe, knalle ich sie ab. Mit ihm fange ich an.“

      „Hören Sie doch auf mit dem Unsinn“, rief ein etwas beleibter Polizist. „Das führt doch zu nichts. Sie kommen hier nicht mehr raus.“

      Ein Schuss krachte und der linke Scheinwerfer des mittleren Streifenwagens ging zu Bruch. Der Beamte blieb wie angewurzelt stehen.

      „Ich meine es ernst. Und im Übrigen unterhalte ich mich nur noch mit jemandem, der etwas zu sagen hat.“ Er drehte den Kopf etwas näher an Niks Ohr. Dieser konnte den heißen Atem in seinem Nacken spüren. „Hast du ein Handy?“

      Nik reagierte nicht und bekam dafür sofort die Quittung. Der Lauf der Waffe wurde nun unsanft unter sein Kinn gedrückt. „Das war‘s. Ich sterbe jetzt.“

      „Ich habe gefragt, ob du ein Handy hast.“

      „Nicht hier. Es liegt im Haus. Aber in meinem Büro gibt es einen Festnetz-Anschluss. Separat von der anderen Leitung geschaltet.“

      „Die Nummer.“ Wieder ging es ihm nicht schnell genug und er bog den Arm noch weiter nach hinten. Nik stöhnte auf und