N.K. Wulf

Spur der Vergangenheit


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ein rechteckiges Stück Papier heraus, welches er aufmerksam begutachtete. Wie vom Blitz getroffen hielt er inne und richtete seinen Blick in die Runde.

      „Habt ihr den Verstand verloren?“

      „Ähm, na ja … wir ... arbeiten … für … Sie? Also ja, ich denke, ganz dicht sind wir wirklich nicht, oder?“ Chris verpasste Anni einen Seitenhieb mit dem Ellbogen.

      „Au, verdammt!“

      „Wir hatten alle das Gefühl, ein Tapetenwechsel würde dir mal ganz guttun“, warf Patrick ein.

      „Und als die Paarung für das Finale feststand, hat unser lieber Dr. Weimer seine Beziehungen spielen lassen und noch eine Karte für dich besorgt. Du fährst also zum Pokalfinale nach Berlin“, fügte Chris hinzu.

      „Und ich fang an zu grillen.“

      „Anni!“, schallte es im Chor.

      „Was denn? Bin ich denn die Einzige, die hier vor Hunger umkommt?“

      „Aber ich habe Notdienst.“

      „… den ich für dich übernehme. Und du kannst deine neue Karre mal so richtig einfahren.“ Patrick verschränkte die Arme vor der Brust und genoss es sichtlich, seinen Chef so richtig sprachlos zu erleben.

      „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Er hielt seine Karte fest in beiden Händen und betrachtete diese immer noch eher ungläubig.

      „Moment, bevor ich es vergesse …“ Patrick zog einen weiteren verpackten Gegenstand aus seiner Jacke.

      „Damit du auch standesgemäß dort aufläufst. Nochmals alles Gute zum Geburtstag.“

      Nik schüttelte den Kopf und öffnete eine Seite des Geschenkpapieres. Mit zwei Fingern zog er einen rot-blauen Fan-Schal des FC Bayern München heraus und hielt diesen etwas skeptisch in die Höhe.

      „Das ist jetzt nicht dein Ernst.“ Anni ließ die flache Hand gegen ihre Stirn prallen. „Sag mir nicht, dass du dieses Ding da gekauft hast. B für Borussia, nicht für Bayern. Ich glaub es einfach nicht, was für ein Holzkopf.“

      Amüsiert warf Patrick seinen Kopf in den Nacken und fing herzhaft an zu lachen. In der anderen Hand baumelte ein schwarz-gelber Schal mit der Aufschrift „Dortmunder Jungs“. „Ein kleiner Scherz, den ich mir nicht verkneifen konnte. Das ist mein Schal.“

      „Im Ernst? Ich wusste ja immer, dass du ein dunkles Geheimnis hast.“

      „Ich hoffe wirklich, dass du einen tollen Tag hast, aber gewinnen werden leider nur die Bayern. Sorry, Chef.“

      Nik zog einen Mundwinkel nach oben.

      „Abwarten, mein Freund. Die Jungs haben noch nie verloren, wenn ich im Stadion war.“

      „Irgendwann ist immer das erste Mal.“

      „Und bevor die Herren sich noch die Köpfe einschlagen, wie wär‘s mit essen?“ Das erste Steak fiel auf den Grillrost und augenblicklich ertönte ein zischendes Geräusch. Triumphierend hob Anni die Grillzange in die Höhe.

      „Ich weiß immer noch nicht, was ich sagen soll. Das ... das ist wirklich der Hammer.“

      „Schon okay. Hab einfach 'ne schöne Zeit.“ Chris zwinkerte ihm mit einem Auge zu.

      „Danke. Wirklich. Dank an euch alle. Und damit meine ich nicht nur das hier“, sagte Nik und hielt die Eintrittskarte in die Höhe. Auch ohne weitere Ausführungen wussten alle, was gemeint war. Das war eben seine Art, sich bei ihnen für sein Verhalten der letzten Wochen zu entschuldigen. Ein Augenblick der Ruhe und Wärme legte sich über sie nieder und vergessen waren all die Spannungen, die sich zuletzt aufgebaut hatten.

      „Gern geschehen, Chef. Über die Gehaltserhöhung sprechen wir dann später, ja?“

      „Übertreib es nicht, Dr. Weimer. Und jetzt lasst uns essen.“

      „Mir gehört das erste Stück Fleisch.“

      „Oh, Anni.“

       Freitag, 04. Mai, 22 Uhr 16

      Angespannt ließ Tom seine Zeigefinger rhythmisch gegen das Lenkrad prallen, ohne dabei den Blick von der Straße zu nehmen. Er hatte in den vergangenen Nächten kaum ein Auge zugetan. Seiner Großmutter ging es zum Glück gut. Noch, denn er wusste, dass sie von da an unter ständiger Beobachtung standen.

      Der Hausarzt hatte gute Arbeit geleistet und nach ihrem Gespräch sofort alle notwendigen Schritte eingeleitet, um schnellstmöglich den so dringend benötigten Platz in einem adäquaten Pflegeheim zu sichern. Dass man ihn bereits zwei Tage später vergeblich versucht hatte zu kontaktieren, hatte Tom überhaupt nicht gewusst. Wahrscheinlich hatte einer seiner dämlichen Kollegen die Nachricht einfach nicht weitergeleitet. Zum Glück gab er für solche Notfälle immer auch die Nummer seiner Nachbarn, Heinz und Gerda, an. Die beiden waren Gold wert und mit keinem Geld der Welt zu bezahlen. Sie hatten sich gekümmert und Granny bereits am Nachmittag in die Einrichtung gebracht. Als er nach diesem für ihn noch immer völlig unfassbaren Vorfall zurück in seine Wohnung kam, wäre er vor Sorge beinahe durchgedreht. Sie war leer und von Granny nirgends eine Spur. Sein Herz raste wie verrückt und beruhigte sich erst wieder, als Gerda in der Tür stand und ihm die guten Nachrichten überbrachte.

      Er hätte eigentlich erleichtert sein müssen, doch kurz nachdem sie gegangen war, fand er das Foto mit einer weiteren Nachricht für ihn auf dem Küchentisch. Ein weiteres Indiz dafür, dass sich jemand Zutritt zu seiner Wohnung verschafft hatte und dass es ab jetzt keinen Ort mehr zu geben schien, an dem sie sicher waren. „Mein Angebot steht noch.“ … und … „Überleg dir genau, was du tun willst“, hatte auf dem Zettel gestanden, und das Bild zeigte Granny, wie sie friedlich in ihrem Zimmer schlief.

      Tom hatte verstanden. Egal was er auch unternommen hätte, dieser Typ war ihm immer eine Nasenlänge voraus. Und die Polizei? Hätte ihm mit Sicherheit auch kein Wort geglaubt. Was hätte er auch schon vorbringen können? Wozu man ihn rekrutiert hatte, wusste er ohnehin erst seit etwa einer halben Stunde. Somit hatte er also keine Wahl gehabt und sich darauf eingelassen, bei diesem Job mitzuwirken. „Ich bin ja nur der Fahrer. Niemand wird zu Schaden kommen.“

      Ein Informant hatte Erik gesteckt, dass dieser Juwelier eine größere Menge an teuren Uhren und anderen Schmuckstücken erhalten hatte. „Wir gehen einfach rein, holen die Klunker und verschwinden wieder.“

      Er hatte Falk und Erik direkt vor dieser dunklen Gasse aussteigen lassen und danach den schwarzen BMW nur wenige Meter weiter in einer Parkbucht angehalten. „Außerdem sind die ganzen Wertsachen bestimmt versichert. Keiner wird zu Schaden kommen.“ Immer und immer hallte der Satz in seinem Kopf wider. Damit versuchte er sich und sein Gewissen zu beruhigen.

      Die Hauptstraße schien wie leergefegt. Lediglich die Ampelanlagen auf der Kreuzung verrichteten präzise ihre Arbeit und das wechselnde Licht der einzelnen Phasen war alles, was noch an Leben erinnerte. Keine Passanten, keine Autos. Und das schon seit geraumer Zeit. Bis jetzt.

      Tom erspähte die ihm entgegenkommenden Scheinwerfer eines Wagens. Nervös begannen seine Zeigefinger wieder, gegen das Lenkrad zu klopfen. „Was machen die bloß so lange?“ Das Auto wurde langsamer und ihm drehte sich förmlich der Magen um, als er die blau-weiße Aufmachung mit dem Schriftzug Polizei auf dem Kombi lesen konnte. „Komm schon … fahr weiter.“ Doch der Beamte drosselte weiter die Geschwindigkeit. „Nicht anhalten, bitte nicht anhalten.“ Das Blaulicht wurde eingeschaltet. Der Streifenwagen machte auf der Straße kehrt und kam direkt hinter ihm zum Stehen. „Oh, bitte nicht.“ Seine Karriere als Krimineller war bereits zu Ende, bevor sie richtig angefangen hatte. Er hörte förmlich die Handschellen klicken. Nur mit Mühe konnte er das Bild in seinem Kopf beiseiteschieben, um sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren.

      Tom blickte in den Rückspiegel. Ein Beamter stieg aus, schaute sich kurz um und kam langsam auf ihn zu. „Ganz ruhig. Du wartest nur auf einen Freund, den du hier treffen solltest. Genau. Und dieser Freund scheint dich versetzt