N.K. Wulf

Spur der Vergangenheit


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das Licht am Ende des Tunnels. Plötzlich bewegte sich etwas am Ende seines Sichtfeldes und ließ ihn zusammenfahren.

      „Ein schöner Abend heute, findest du nicht?“

      Tom verengte die Augen, aber außer dem Aufleuchten eines Streichholzes und der darauf folgenden Zigarettenglut konnte er nichts weiter erkennen.

      „Feierabend? Nicht sehr viel los heute, oder?“

      „Hör‘n Sie, wer immer Sie auch sind. Ich bin gerade wirklich nicht in der Stimmung für Smalltalk. Also, schönen Abend noch.“

      „Ein Pflegeheim ist bestimmt sehr teuer. Du siehst nicht aus, als könntest du dir das leisten.“

      „Was?“ Entgeistert starrte er auf den Schatten, der sich nun ins Licht bewegte. „Wer zum Teufel sind Sie?“

      Der Mann pustete blauen Zigarettendunst in die Luft und nahm die Kapuze vom Kopf.

      „Erik?“

      „Du erinnerst dich also.“

      „Woher weißt du davon?“

      „Ich habe mich etwas umgehört.“ Er zuckte mit den Schultern. „Lust, dir ein bisschen Geld dazuzuverdienen?“

      „Wenn du damit irgendwelche krummen Dinger meinst … nein, danke.“

      „Na, na. Wer wird denn gleich von schlimmen Dingen reden. Ich habe gehört, du fährst private Autorennen.“

      „Früher mal. Jetzt nicht mehr.“

      „Ich suche jemand, der einfach nur fahren kann. Du hast mit dem eigentlichen Job nichts zu tun. Der finanzielle Aspekt ist nicht der schlechteste.“

      „Lass gut sein. Ich bin nicht interessiert.“

      „Du hast uns gestern belauscht, nicht wahr? Das war nicht nett von dir.“

      „Ich weiß nicht, was du meinst. Ich habe niemanden belauscht und was mich betrifft, ist unser Gespräch hiermit beendet.“ Tom wandte sich zum Gehen, wurde aber unsanft an der Schulter zurückgehalten.

      „Spinnst du? Lass mich sofort los!“

      „Ich habe mir schon gedacht, dass du so reagieren würdest. Nach dem, wie Falk dich beschrieben hat. Trotzdem solltest du dir mein Angebot überlegen.“ Der durchdringende, finstere Blick ließ Tom unwillkürlich zurückschrecken und das, was er nun auf dem Handydisplay vor seinen Augen zu sehen bekam, konnte er kaum glauben. „Wäre doch schlimm, wenn ihr etwas zustoßen sollte? Es liegt in deiner Hand. Du hast Zeit bis morgen Mittag, dich zu entscheiden. Ich melde mich.“

      Unfähig, sich bewegen zu können, starrte Tom immer noch auf die Stelle, wo vor wenigen Sekunden noch das Display seinen Blick kreuzte. Was war hier gerade passiert? Er brauchte einen Moment, um zu verstehen. Er wurde erpresst. Er. Aber warum nur? Er hatte keinen blassen Schimmer, worum es sich hier drehte. Und auf einmal war alles, was er liebte, in großer Gefahr. Falk. Er war der Einzige, der ihm alles erklären konnte. Allerdings hatte er das Café schon vor mehreren Stunden verlassen. Kurz entschlossen zog er sein Handy hervor und wählte Falks Nummer. Mailbox. „Scheiße.“

      „Ruf mich sofort zurück, wenn du das abgehört hast.“ Tom legte auf. Was jetzt? „Nach Hause. Du musst nach Hause. Hoffentlich geht es ihr gut.“

      Fünf

       Freitag, 04. Mai, 10 Uhr 20

      Sein Chauffeur bahnte sich den Weg durch ein Heer von wartenden Reportern und öffnete ihm die hintere Tür der Limousine. Blitzlichtgewitter brach über ihn herein. Er liebte diese Art von Aufmerksamkeit und stieg langsam und elegant aus dem Wagen. Sogleich wurden ein Dutzend Mikrofone wurden auf ihn gerichtet.

      „Herr Mazzoni! Könnten Sie uns eine kurze Stellungnahme geben?“, fragte eine Reporterin.

      „Die Stadt ist Ihnen sehr dankbar für Ihre Unterstützung. Was war der entscheidende Auslöser, dass Sie sich gerade für dieses Projekt entschieden haben?“, ein anderer. Er lächelte in die Menge und knöpfte sein Jackett zu.

      „Kinder sind unsere Zukunft. Ich hatte das unverschämte Glück, einen perfekten Start ins Leben zu bekommen. Dafür danke ich Gott jeden Tag.“ Er war in seiner Rolle angekommen. Ein angesehener Geschäftsmann dieser Stadt, mit dem ambitionierten Ziel, auch in der Politik weiter Fuß zu fassen. Und sein Name war im Bundestag schon längst kein unbeschriebenes Blatt mehr.

      „Die Fusion mit Amnitec ist so gut wie abgeschlossen“, rief ein Reporter von der Frankfurter Allgemeinen. „Eine Menge Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Ihr Vorgehen ist dabei nicht ganz unumstritten.“ Der Mann trat jetzt in den Vordergrund. „Herr Mazzoni. Haben Sie den Spielplatz nur errichten lassen, um die aufgebrachten Stimmen der Bürger zum Schweigen zu bringen?“ Er hielt ihm das Mikro direkt ins Gesicht, gespannt auf eine Reaktion.

      Langsam trat er einen Schritt vor und suchte den direkten Augenkontakt. Mit Entzücken stellte er fest, dass die Hand des Reporters leicht zu beben begann und der Mann schluckte.

      „Dass Amnitec in wirtschaftliche Schieflage geraten ist, hat der bisherige Vorstand zu verantworten. Nicht ich. Und so leid es mir tut. Um die Firma wieder in sicheres Fahrwasser zu geleiten, werden Entlassungen nicht zu vermeiden sein. Immerhin trage ich auch eine gewisse Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern meines Unternehmens. Das hat aber nichts mit der Entscheidung zu tun, die finanziellen Mittel für den Bau des Spielplatzes bereitzustellen. Das können Sie mir glauben. Die Kids dort leben in einem sozial schwachen Gebiet. Ich wollte ihren Alltag nur ein wenig freundlicher gestalten. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen.“

      Das Stimmengewirr nahm wieder Fahrt auf, während ihn Joseph, sein Chauffeur, gegen die aufgebrachte Meute abschirmte.

      „Machen Sie Platz und lassen Sie uns durch“, blaffte er in die Runde. Die Fragen erloschen abrupt, als sich die Glastüren zum Eingangsbereich des riesigen Bürogebäudes schlossen.

      „Menschen lassen sich so leicht manipulieren. Ein, zwei bedachte Worte und sie fressen einem aus der Hand. Nicht wahr?“

      „Sie waren überzeugend wie immer, Sir“, pflichtete ihm Joseph bei und drückte den Knopf zum Aufzug.

      „Ich weiß. Aber dieser Möchtegernreporter von der Zeitung liegt mir schwer im Magen. Ich würde zu gern wissen, wie er an diese Informationen gelangen konnte. Ein offizielles Statement wurde weder von mir noch von Amnitec selbst veröffentlicht. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass der Kerl keine Ruhe geben wird. Jemand sollte ihm einen Denkzettel verpassen. Wenn herauskommt, dass ich in den letzten Jahren einige Leute manipuliert habe, um nach und nach an Amitecs Aufträge zu kommen, dann habe ich ein Problem.“

      „Soll ich mich darum kümmern?“

      „Alles zu seiner Zeit. Ich werde mich der Angelegenheit erst einmal selbst annehmen. Ich kenne da jemanden, der mir noch einen Gefallen schuldig ist.“

      „Darf ich sonst noch etwas für Sie tun?“

      „Danke, Joseph. Fürs Erste nicht. Seien Sie nur pünktlich gegen 16 Uhr wieder hier.“

      „Sehr wohl. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag.“

      Der Lift stoppte in der obersten Etage. Die Türen glitten auf und gaben den Blick frei auf ein lichtdurchflutetes, teuer eingerichtetes Büro. Mit bodentiefem Fensterglas und einem opulenten, aus dunklem Holz gefertigten Schreibtisch, der so platziert davor stand, dass man zu jeder Zeit eine freie Sicht auf die Skyline Frankfurts genießen konnte. Rechts daneben stand ein weißer Betonsockel, auf dem eine schwarze Statue thronte. Zwei fest umschlungene Körper, die auf ewig miteinander verbunden schienen. An der gegenüberliegenden Wand hingen zwei überdimensional große, sehr bunte Gemälde, die auf den Normalsterblichen mit Sicherheit keine besonders hohe Wirkung ausgeübt hätten. Wahllose Pinselstriche, ohne jede Bedeutung. „ Chaos in der Ruhe“