N.K. Wulf

Spur der Vergangenheit


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sagte er sanft und ohne Umschweife.

      „Die Party steigt heute Abend. Ich hoffe doch, du wirst anwesend sein?“

      „Um nichts in der Welt werde ich mir das Ereignis entgehen lassen.“ Er hob einen Mundwinkel, während er zufrieden auf die Dächer schaute.

      „Es wird viel Aufsehen geben.“

      „Wahrscheinlich, ja.“

      „Ich …“

      Er hörte einen kurzen Seufzer. „Du hast Zweifel?“

      „Nein. Nicht, was uns betrifft.“

      „Aber?“

      „Es ist nur … was ist, wenn alles auffliegt, noch bevor es begonnen hat? Ich habe ein ungutes Gefühl, was diesen Erik betrifft. Außerdem …“ Wieder eine kleine Pause. „Es wäre mir einfach lieber, wenn du jemanden mit etwas mehr Erfahrung für diesen Job eingeteilt hättest.“

      Er lachte leise auf. „Du machst dir zu viele Gedanken. Ich dulde keine Fehler, das weißt du. Bereits morgen beginnt für dich ein neues Leben. Du wirst sehen.“

      „Ich kann es kaum erwarten.“

      „Mir geht es ebenso.“

      „Ich würde mich nur besser fühlen, wenn wir bereits alles hinter uns hätten.“

      „Sei nicht ungeduldig. Schon morgen um diese Zeit komme ich dich holen, versprochen.“

      „Dann sehen wir uns heute nicht mehr?“

      Er hörte die Enttäuschung gepaart mit Nervosität in der Stimme.

      „Nun, vielleicht lasse ich mich ja doch noch umstimmen und komme auf ein Tänzchen vorbei. Wer weiß das schon.“

      „Ich will dich zu nichts überreden, was du nicht möchtest. Verzeih mir, wenn ich dich bedrängt haben sollte.“

      „Es gibt nichts zu verzeihen. Wenn ich Lust auf das Spielchen habe, dann tue ich das aus freien Stücken.“ Seine Stimme wurde sinnlicher. „Du bist stark und ich vertraue dir. Aber wenn du dich besser fühlst, werde ich kommen.“

      „Womit habe ich dich nur verdient?“

      „Du wirst noch genügend Zeit haben, das herauszufinden. Aber jetzt habe ich noch etwas zu erledigen. Und du musst dich vorbereiten. Ich denk an dich. Immer. Und ich rufe dich an, wenn die Zeit reif dazu ist.“

      „Danke. Das bedeutet mir sehr viel.“

      „Du bedeutest mir sehr viel. Ich liebe dich.“

      „Ich liebe dich auch.“

       Freitag, 04. Mai, 20 Uhr 11

      Chris eilte über den Parkplatz hinüber zum Praxiseingang, dessen Türen in einem ehemaligen Scheunentor eingefasst waren. Sie mühte sich mit einer Hand und ihrem Schlüsselbund ab. Unter dem anderen Arm trug sie eine große Schüssel mit dem von Anni gewünschten Nudelsalat. Sie hatte sich etwas verspätet und das stank ihr gewaltig. Denn Unpünktlichkeit war eigentlich überhaupt nicht ihr Ding. Vor der Tür angekommen fand sie endlich den richtigen Schlüssel, der sich aber zwischen zwei weiteren verkeilt hatte.

      „Komm schon …“, murrte sie genervt und schüttelte den Bund so lang hin und her, bis sich der von den anderen löste. „Mann!“

      Chris drückte ihn in das Schloss, als sich die Eingangstür wie von selber öffnete. Anni stand im Türrahmen und trocknete sich gerade die Hände mit einem Geschirrtuch ab.

      „Alles in Ordnung?“

      „Tut mir leid. Ich hab mich etwas verspätet.“

      „Jetzt bist du da und das ist alles, was zählt.“

      Sie machte einen Satz nach vorne und zog Chris so fest an sich, dass sie fast die Schüssel hätte fallen lassen.

      „Ich bin stolz auf dich“, flüsterte sie ihr ins Ohr und verpasste ihr in ihrer gut gelaunten Art einen Boxhieb auf den Oberarm.

      „Aua! Spinnst du? Das tat weh.“

      „Du wirst es überleben“, spottete sie. „Geh doch schon mal nach hinten. Der Boss ist schon im Garten und lässt die Kohlen heiß laufen. Ich komme mit dem Geschirr sofort nach.“

      „Und die anderen beiden?“

      „Auch gleich so weit. Patrick versorgt noch schnell einen unserer neusten Stationsgäste und Julia hilft ihm.“

      „Ach so. Soll ich schon mal etwas mit nach hinten nehmen?“

      „Mhhhh … Mal überlegen …“ Anni tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze.

      „Du bist da, der Nudelsalat natürlich. Nö. Alles bestens!“

      „Sehr witzig, Fräulein Winter.“ Chris drehte sich um und ging in Richtung des kleinen Gartentores, das direkt an das Ende des Gebäudes angrenzte. Der Kies unter ihren Füßen gab bei jedem ihrer Schritte nach und ließ ein rasselndes Geräusch ertönen.

      Am Zaun angekommen drehte sich Chris um und drückte das Tor mit ihrem Hinterteil schwungvoll auf. Grundsätzlich war es so gut wie nie verschlossen. Dafür gab es auch keinen Grund, denn das ganze Anwesen lag so weit abseits von der Straße, dass sich nur Patientenbesitzer oder Freunde und Bekannte der Bergers hierhin verirrten. Sie ging den schmalen Trampelpfad entlang und achtete dabei akribisch genau darauf, wo sie hintrat, um nicht ins Straucheln zu geraten. Der Weg war übersät mit kleinen Wurzeln und anderen Hölzern, die von den umliegenden Obstbäumen stammten. An ihrem Lieblingsbaum angekommen gönnte sich Chris einen Augenblick der Ruhe und schwelgte in Gedanken. Hier hatte sie schon als Kind viele schöne und unbeschwerte Stunden zusammen mit Maximilian und Tobi verbringen dürfen. Sie würde niemals den Tag vergessen, an dem Nik und sein kleiner Sohn in ihr Leben getreten waren.

       20 Jahre zuvor

      Heute war der erste Schultag und Chris wurde der Platz neben Maximilian zugeteilt. Jeder Schüler durfte sich nun vorstellen und etwas über sich und seine Familie erzählen. Irgendwann war auch ihr Tisch an der Reihe. Max nannte seinen Namen. Er erzählte über seine Hobbys und fügte voller Stolz hinzu, dass sein Papa der hiesige Tierarzt war. Auf die Frage hin, was sein Vater den ganzen lieben langen Tag so erlebte, ratterte Max eine Reihe der lustigsten Geschichten herunter.

      Chris hing an seinen Lippen, war geradezu fasziniert von seinen Ausführungen und wünschte sich auch so einen Papa. Nun war sie an der Reihe. Sie nannte ihren Namen, ihr Alter und die Lehrerin fragte, ob sie auch etwas über ihre Eltern erzählen wolle.

      „Meistens verbringe ich die Zeit bei meiner Tante, da meine Eltern tagsüber oft schlafen.“

      „Dann müssen deine Eltern aber einen harten Beruf haben, wenn sie nachts arbeiten. Sind deine Eltern vielleicht auch Ärzte? Bestimmt arbeiten sie im Krankenhaus, richtig?“, forschte sie weiter nach.

      „Nein.“ Chris schüttelte entschlossen den Kopf. „Tante Doris sagt immer, dass sie von Berufswegen Alkoholiker sind.“

      „Was soll denn das für ein Beruf sein?“, ätzte ein Mädchen aus der hinteren Reihe. Die Lehrerin war fassungslos und rang um Selbstbeherrschung. Ihr dummes Gesicht würde sich auf ewig in Chris‘ Gedanken einbrennen. Da sie nicht wusste, wie sie mit der peinlichen Situation umgehen sollte, entschied sie kurzerhand, nicht näher darauf einzugehen, und nahm den nächsten Schüler an die Reihe. Chris war unendlich wütend und traurig zugleich. Sie sollte erst sehr viel später verstehen, was ihre Worte bedeutet hatten. Sie merkte nicht einmal, dass Max voller Neugier ihren Ausführungen gelauscht hatte. Nie zuvor hatte er von so einem Beruf gehört und konnte es kaum erwarten, mehr darüber zu erfahren.

      „Ist bestimmt richtig wichtig, was deine Eltern machen“, flüsterte er ihr ins Ohr, und sie fühlte sich gleich besser. Nach Schulschluss verließen sie gemeinsam das Gebäude. Nik stand bereits auf dem Schulhof und wartete auf seinen Jüngsten.

      „Schau,