N.K. Wulf

Spur der Vergangenheit


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ihn nun auch Chris, kam um die Anmeldung herum und drückte ihn fest an sich. „Wünsch dir alles Gute, Nik.“

      „Danke, lieb von dir.“ Er löste langsam die Umarmung.

      „Sag mal, ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst irgendwie angespannt.“

      „Alles bestens.“ Sein Blick erspähte den Marmorkuchen und er hob einen Mundwinkel. „Ich hoffe doch, nach Tante Hannas Rezept?“

      „Aber natürlich!“, antwortete sie und tat dabei so, als wäre sie empört über diese Frage. „Für unseren Lieblingschef nur das Beste.“

      „Also, soweit mir bekannt ist, habt ihr ja auch nur einen. Oder ist mir da was entgangen?“ Seine Haltung blieb unverändert.

      „Nein. Genauso ist es. Und deshalb müssen wir Sie ja auch pflegen“, fügte Anni frech hinzu und verspürte sogleich einen leichten Klaps auf dem Hinterkopf.

      „Aua! Verdammt, das tat weh. Das nennt man aktives Mobbing am Arbeitsplatz.“ Natürlich tat es gar nicht weh, dennoch rieb sie sich übertrieben mit der rechten Hand über ihren Schopf. „Was wollten Sie eigentlich hier vorne?“

      „Ich suche die Bestelllisten.“ Er beugte sich vor, um in der Ablage danach zu suchen.

      „Na, die werden Sie hier aber nicht finden“, bemerkte Anni, ohne ihn dabei anzusehen.

      „Sondern?“ Er ließ genervt den Kopf nach vorne fallen und hatte keine Lust darauf, seiner Helferin jedes Wort aus der Nase ziehen zu müssen. Wieder ein Stimmungswandel, den man so von ihm nicht gewohnt war.

      „Na, in Ihrem Büro. Da, wo sie immer liegen. Zweiter Stapel von links, oben drauf. Soll ich sie holen?“

      „Nein, nicht nötig. Ich kümmere mich noch eben um unseren Mr. Snuggles. Danach mach ich die Bestellung. Patrick soll bitte weiterbehandeln. Und sag ihm, dass ich ihn später noch sprechen will.“ Er richtete sich wieder auf. „Danke noch mal, Chris. Wir sehen uns Freitag?“, sagte er und begegnete ihrem fragenden Blick.

      „Was ist Freitag? Braucht ihr meine Hilfe?“

      „Ah, sorry, Chef, bin noch nicht dazugekommen, es ihr zu sagen.“

      „Na, dann besprecht das noch mal. Mach´s gut, Kleine.“ Er drückte sich von der Ablage ab, lächelte ihr freundlich zu und verließ die Anmeldung in Richtung eines der drei Behandlungsräume.

      Sie hörten eine Tür ins Schloss fallen und waren wieder allein.

      „Der Boss hat uns alle am Freitagabend eingeladen“, begann Anni. „Nichts Wildes, nur ein bisschen was vom Grill, ein, zwei Bier zusammen trinken, und das war´s. Das Wetter soll ja etwas besser werden.“

      Die Heiterkeit, die kurz zuvor noch geherrscht hatte, war plötzlich wie weggefegt. Anni blickte angespannt auf ihre Finger.

      „Anni? Was ist los? So schlecht drauf hab ich ihn nicht mehr erlebt, seit … seit …“

      „Seit Maximilian weggegangen ist“, beendete Anni den Satz. „Am Montag gab sich Madame Pompadour mal wieder die Ehre. Kein guten Morgen, kein auf Wiedersehen. Rannte gleich in sein Büro und machte ihn mal wieder rund.“ Der sorgenvolle Tonfall in ihrer Stimme gefiel Chris überhaupt nicht.

      „Diesmal war es echt schlimm, Chris. Ich hatte wirklich Schwierigkeiten, den Streit von unseren Kunden fernzuhalten. Man hat zwar nicht viel mitbekommen, aber das Wort Scheidung war allgegenwärtig. Seitdem ist er wie ausgewechselt und deshalb glaube ich, es würde ihm guttun, wenn wir Freitag einfach alle da sind. Du kommst doch?“

      In einer Geste des Unbehagens rollte Chris die Schultern und ließ den Kopf in den Nacken fallen.

      „Ich kann noch nicht sagen, ob ich es schaffen werde“, log sie bereits zum zweiten Male an diesem Vormittag.

      „Verdammt, Chris, ich weiß auch, was für ein Tag Freitag ist. Mensch, gib dir einen Ruck, du kannst dich nicht ewig vergraben!“ Über den anklagenden Ton hätte sich Chris normalerweise sehr geärgert, aber komischerweise konnte sie ihrer Freundin einfach nicht böse sein. Sie hatte ja recht.

      „Ich weiß.“

      „Fräulein … Ich kann Sie auch abholen und hierher schleifen!“

      „Ich versuch´s, okay?“

      „Noch was … Bringst du einen Nudelsalat mit?“ Annis Stimme war nun wieder sanfter und Chris einfach überwältigt von ihrer Fähigkeit, eine schier aussichtslose Situation in etwas Positives, etwas Gutes zu verwandeln. Sie spürte die Wärme in ihrem Herzen und wusste in diesem Moment, dass sie nie allein war.

      „Einfach nur Nudelsalat?“

      Geschmeidig wie eine Katze war Anni aufgesprungen und hatte bereits Stellung neben ihr bezogen. Sie legte eine Hand auf ihre Schulter und mit der anderen berührte sie sanft ihre Wange.

      „Es ist in Ordnung, wieder am Leben teilzunehmen, und ja, einfach nur Nudelsalat. Ich werde es nicht schaffen, einen zu machen.“

      „Schon gut. Ich bin da. Ist zwanzig Uhr in Ordnung?“ Mit einem verlegenen Lächeln wollte sie sich schon abwenden, als sich ein Mann mit einem Rottweiler der Anmeldung näherte.

      „Guten Morgen, die Damen.“

      „Was kann ich für Sie tun?“, fragte Anni freundlich und besetzte wieder den Platz vor dem Computer.

      „Ich bin gerade hergezogen und auf der Suche nach einem Tierarzt. Dr. Berger wurde mir wärmstens empfohlen.“

      „Haben Sie einen Termin?“

      „Leider nein. Ich hatte gehofft, ich könne einfach warten. Spike hat einen nervösen Magen und gestern Abend ist ihm der Mülleimer zum Opfer gefallen. Das Ergebnis hat er mir heute Morgen im Wohnzimmer präsentiert.“

      „So ein Schlingel“, bemerkte Chris, ging vor dem schwarzen Hund in die Hocke und kraulte ohne Furcht seine Ohren. Der angsteinflößende Hund genoss die Streicheleinheit sichtlich und legte den Kopf zur Seite.

      „Ich denke, da können wir was machen. Haben Sie denn etwas Zeit mitgebracht?“

      „Selbstverständlich. Wäre es wohl möglich, dass Dr. Berger sich den Hund persönlich anschaut? Ich habe gehört, er kann besonders gut mit … na ja … sogenannten Kampfhunden.“

      „Bestimmt. Ich frag ihn gleich. Nehmen Sie doch bitte schon mal im Wartezimmer Platz. In der Zwischenzeit wäre es nett von Ihnen, mir das Anmeldeformular auszufüllen. Wenn Sie fertig sind, einfach hier vorne ablegen.“

      „Gern. Vielen Dank.“ Der Mann nickte ihnen knapp zu und zog den schweren Hund mit sich ins Wartezimmer.

      „Der Typ ist irgendwie unheimlich, findest du nicht?“

      „Was meinst du? Ich fand ihn eigentlich ganz nett“, antwortete Anni.

      „Hast du bemerkt, wie angespannt der Rotti auf jede seiner Bewegungen reagiert hat? Und diese blauen Augen … richtig angsteinflößend.“

      „Ich glaube, du siehst zu viele Horrorfilme.“

      „Wie dem auch sei. Ich muss los. Wir sehen uns Freitag.“ Chris war schon fast am Ausgang, als sie sich noch mal umdrehte und die linke Hand hob. „Quäl dich langsam.“

      „Du dich auch.“

       Mittwoch, 02. Mai, 11 Uhr 04

      Mr. Snuggles lag seelenruhig auf dem Behandlungstisch und schnurrte. Wie immer ließ er die Nachsorge seiner Bisswunden in einer heroischen Ruhe über sich ergehen. Er war der heimliche Star der Praxis. Alle liebten diesen Kater. Freundlich und immer gut gelaunt. So präsentierte er sich meistens dem Menschen gegenüber. Er hatte nur ein Problem. Er konnte einfach keinem Artgenossen aus dem Wege gehen. Kerben an Ohren und Nase zeugten von unzähligen Revierkämpfen, in denen er zuletzt vermutlich oft den Kürzeren gezogen hatte. Und auch diesmal hatte es ihn übel erwischt. Sein Hinterteil war übersät