N.K. Wulf

Spur der Vergangenheit


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mit den Schultern.

      „Also, ich ziehe an Kalb, Julia an mir, Kalb gibt nach und na ja ... wer im Scheißhaufen gelandet ist, könnt ihr euch ja denken.“

      Chris verzog das Gesicht. „Die Entschuldigung lass ich gelten. Dann bleib ich hier und helf euch solange.“

      „Auf gar keinen Fall!“, protestierte Anni. „Du hast zu tun und soweit ich weiß, davon eine Menge. Wie weit bist du eigentlich mit der Umgestaltung deiner vier Wände?“

      Chris vermied es, ihrem Blick zu begegnen, und schaute verlegen zu Boden. „Es geht voran“, antwortete sie leichthin.

      „Wie viel Patienten haben wir noch?“, unterbrach sie Patrick barsch.

      „Noch sechs. Und alle warten nur darauf, von Ihnen persönlich behandelt zu werden, Dr. Weimer.“ Sie rollte mit den Augen und hoffte, er würde sich endlich ein wenig entspannen und wieder verschwinden.

      „Na, wunderbar, was habt ihr eigentlich die ganze Zeit gemacht?“

      Verärgert über diesen überflüssigen Kommentar setzte Anni zur Verteidigung an.

      „Du fährst über eine Stunde in der Gegend rum, nimmst noch Julia mit, obwohl du sonst auch allein unterwegs bist, lässt uns mit einer vollen Hütte zurück und fragst auch noch so blöd, was wir hier gemacht haben?“

      Völlig erschrocken über diese Reaktion ruderte Patrick sofort zurück.

      „Tut mir leid. Es war 'ne Scheißgeburt und ich … ich dachte, es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, Julia auch einmal in die Welt der Großtiere einzuführen. Außerdem mache ich es ihm eh n…“ Er wiegelte ab und schüttelte den Kopf. „Vergiss es einfach. Ich hab´s wirklich nicht so gemeint.“

      „Schon gut. Entschuldigung akzeptiert“, gab sie nach. Patrick war die Situation nun sehr unangenehm. Er fühlte sich wie das fünfte Rad am Wagen, deshalb schaute er noch schnell in der Wartezimmerliste nach, wer der Nächste war, und setzte sich in Bewegung.

      „Kann ich in die Eins?“

      „Klar, hab ich gerade aufgeräumt.“

      „Danke. Lieb von dir“, sagte er und verschwand.

      „Was, bitte schön, war das denn?“, begann Chris, als eine ältere Dame durch die Tür herein kam.

      „Oh, Mann. Heute nerven aber auch wirklich alle. Ich erkläre dir gleich alles.“ Sie schaute auf und lächelte ihr entgegen. „Guten Morgen, Frau Kuhlisch. Geht es Ihrem Hündchen etwa schlechter?“

      Völlig außer Atem blieb die kleine, rundliche Frau an der Anmeldung stehen und musste sich erst mal sammeln.

      „Entschuldigen Sie, meine Liebe, dass ich Sie noch mal belästigen muss“, sagte sie und holte tief Luft. „Aber ich habe doch glatt vergessen, das Diätfutter für meinen Flocki mitzunehmen. Haben Sie vielleicht noch eine Tüte da?“

      „Klar doch. Für Sie immer, Frau Kuhlisch“, antwortete Anni und zwinkerte der alten Dame zu.

      „Ich hol es Ihnen schnell. Einen Zwei-Kilo-Beutel wie immer?“

      „Ja, bitte. Das ist wirklich nett von Ihnen.“

      Erst jetzt bemerkte sie, dass auch Chris an der Anmeldung lehnte und sie freundlich ansah.

      „Ach, hallo, Frau Bachmann. Entschuldigung, ich habe Sie gar nicht bemerkt. Wie geht es Ihnen?“

      „Prima. Danke“, erwiderte Chris, auch wenn das gelogen war. „Ich bin heute in privater Mission hier“, erklärte sie weiter und holte den Kuchen aus dem Korb. Inzwischen war Anni wieder zurück und legte den Beutel mit dem Trockenfutter auf die Ablage.

      „Das ist aber wirklich taktlos von mir. Ich wünsche Ihnen alles Liebe zum Geburtstag, Frau Winter.“

      Anni blieb wie angewurzelt stehen und bedachte Chris mit einem überraschten Blick.

      „Nein, nein, Frau Kuhlisch. Der Kuchen ist für den Chef. Er hat heute seinen Ehrentag.“

      „Aha“, sagte sie erleichtert und fügte hinzu. „Zweiundfünfzig, richtig? Da wird mir allerdings einiges klar.“

      Ratlose Gesichter.

      „Wie meinen Sie das?“, hakte Anni neugierig nach.

      „Na ja, sagen wir mal so. Ihr Chef ist in letzter Zeit nicht so auf der Höhe, oder?“

      „Das ist Ihnen aufgefallen?“

      „Ja klar, ist doch nicht zu übersehen.“ Sie hob ihren wulstigen Zeigefinger in die Höhe und sah aus, als imitiere sie gerade den Lehrer von Max und Moritz.

      „Neulich hat er mich dreimal innerhalb von 10 Minuten nach dem Entwurmungsstatus meines Hundes gefragt. Überhaupt nicht bei der Sache, der Mann. Glauben Sie mir, ich weiß Bescheid, denn das hab ich mit meinem Heinzi, Gott hab ihn selig, auch schon durchgemacht. Ist für Männer halt eine schlimme Sache, so eine … ähm, wie sagt man doch gleich … Midlife Crisis?“

      „Also von der Seite haben wir das noch gar nicht betrachtet, oder Chrissi?“

      „Absolut nicht. Nein.“

      „Und es wird schlimmer, meine Liebe. Erst sind sie ständig schlecht gelaunt und unkonzentriert. Irgendwann legen sie sich dann ein neues Spielzeug zu. Stellen Sie sich vor, plötzlich meinte mein Mann, er müsse unbedingt auch so ein Internet-Dings haben. Dabei hatte er von Computern so viel Ahnung wie mein Hündchen vom Kartenspielen.“

      Chris und Anni nickten knapp und drehten ihre Köpfe zur gleichen Zeit in Richtung Parkplatz, wo ihre Blicke den neuen Dodge fanden, der in der Sonne glänzte. Anni konnte nicht mehr an sich halten und prustete los vor Lachen und die Tränen kullerten ihr über die Wangen.

      „Sie sind wirklich 'ne Marke, Frau Kuhlisch.“

      Die Frau verstand zwar nicht, was so komisch an ihrer Ausführung gewesen sein sollte, ließ sich aber von der Heiterkeit anstecken. Plötzlich wurde es dunkel hinter Anni.

      „Er steht hinter mir, oder?“, fragte sie und rang immer noch sichtlich nach Luft.

      „Mhhh … tut er und ist ganz versessen darauf zu erfahren, warum hier nicht gearbeitet wird und die Damen so viel Spaß haben.“ Mit vor der Brust verschränkten Armen stand Dr. Nikolas Berger, meist Nik genannt, einfach nur da und bedachte die drei mit einem auffordernden Blick. Wie üblich trug der gut 1,90 Meter große Mann legere Jeans, einen grünen OP-Kasack und darunter ein eng anliegendes, weißes Langarmshirt, welches seine muskulösen Arme perfekt zur Geltung brachte. Der moderne Kurzhaarschnitt sowie der akkurat gestutzte Drei-Tage-Bart machten das Bild eines attraktiven Mannes perfekt, auch wenn die mittlerweile ergrauten Haare dem früheren Dunkelbraun den Rang abgelaufen hatten.

      Chris musterte ihn von der Seite und erkannte sofort, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Seine braunen Augen, die sonst so freundlich dreinblickten und damit Lebensfreude pur verströmten, wirkten heute leer und ausdruckslos. Adern und Venen, die über seine kräftigen Unterarme verliefen, traten besonders stark hervor. Chris vermutete, dass er, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, mindestens sechs bis acht Pfund an Gewicht verloren hatte. Sein ganzes Auftreten wirkte angestrengt und gespielt. Wie so oft, wenn es ihm nicht gut ging. Sie machte sich eine Notiz an sich selber, ihn am Wochenende zu sich zum Essen einzuladen.

      „Meinen herzlichsten Glückwunsch, Dr. Berger“, preschte die alte Dame voran, in der Hoffnung, die Situation retten zu können. „Wissen Sie, wir drei haben uns lediglich über Männer und ihre Spielzeuge unterhalten.“

      Sofort kicherte Anni wieder drauflos und vergrub sich unterm Schreibtisch.

      „Spielzeuge?“, wiederholte er und hob dabei eine Augenbraue.

      „Ja, genau. Das ist ja so ein Thema für sich und ich würde Ihnen das auch gerne weiter erläutern, aber leider muss ich mich jetzt auch von Ihnen verabschieden. Ich bin noch mit den Damen von unserem Canasta-Club zum Tee verabredet. Schreiben Sie das Futter