N.K. Wulf

Spur der Vergangenheit


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      „Erzähl mir von ihr.“

      „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Nach der Schule hab ich sie komplett aus den Augen verloren. Irgendwann kam sie mit ihrem Verlobten hier ins Café. Wir haben uns ein bisschen unterhalten und sie sagte mir, dass sie bald heiraten wollte. Ich kannte Tobias. Er war auch auf unserer Schule. Die beiden passten wirklich gut zueinander.“

      Tom richtete sich auf. „Ich habe sie nie mit einem Mann zusammen gesehen.“

      Lisas Miene wirkte angespannt.

      „Was ist passiert?“

      „Kurz danach ist Tobias bei einem Unfall gestorben. Chris hat sich davon nie richtig erholt. Deshalb glaube ich, es wäre besser, wenn du sie dir aus dem Kopf schlägst. Im Übrigen hast du ganz andere Probleme.“

      „Die da wären?“

      „Du sollst ins Büro kommen. Phil will dich sprechen. Er hat mitbekommen, dass du gestern schon wieder zu spät zur Schicht erschienen bist.“

      „Na toll. Das hat mir wirklich noch gefehlt.“

      „Wieder Probleme mit Hetti?“

      Er blieb ihr die Antwort schuldig, aber Lisa verstand auch so. „Oh, Mann. Tom, bitte. Wie lange soll das noch so weitergehen? Du verlierst noch deinen Job. Und was willst du dann machen?“

      „Bitte, Lisa, du nicht auch noch. Mit dem Thema habe ich mich bereits gestern ausgiebig auseinandersetzen müssen. Mir brummt heute noch der Schädel.“

      „Ich wollte dich nicht bevormunden. Dir damit einfach nur sagen … wenn du was brauchst, ich helfe dir gern aus. Wir alle. Das weißt du.“

      „Das ist lieb von dir, Lisa. Danke, aber ich komm schon klar.“ „ Irgendwie …“ „Also los. Dann werd ich mich mal in die Höhle des Löwen stürzen.“

      „Warte. Ich verschaff dir noch 'ne kurze Verschnaufpause. Er ist wirklich schlecht gelaunt und vielleicht haben wir ja Glück, dass sich das bis Feierabend noch legt. Sein Lieblingscocktail wird dabei bestimmt helfen.“ Sie zwinkerte ihm mit einem Auge zu. „Ich sag Phil einfach, dass hier vorne der Bär tobt und ich auf dich nicht verzichten kann.“

      „Du bist einfach die Beste!“

      „Ich weiß. Und nun verschwinde. Ich brauche Limetten aus dem Lager, sonst wird das nichts mit dem Cocktail.“

      „Schon unterwegs.“ Tom fühlte sich zwar etwas besser, aber er bekam die Geschichte um Chris einfach nicht mehr aus dem Kopf. Kein Wunder, dass sie so barsch auf seine plumpe Anmache reagiert hatte. Er versprach sich, es beim nächsten Aufeinandertreffen behutsamer angehen zu lassen, und eilte die Treppe hinunter zu dem Lagerraum. Die Kiste mit den Limetten befand sich im hinteren Bereich, also schaltete er das Licht ein.

      Plötzlich irritierte ihn etwas. Stimmen. Von zwei Männern, um genau zu sein. Sie unterhielten sich leise, aber angeregt. „Wahrscheinlich nur unser Falk ... hat es wohl mit der Pause mal wieder nicht so genau genommen.“ Er zuckte mit den Schultern. Falk hatte ihm so oft den Arsch und damit seinen Job gerettet, dass es ihm egal war, wie lange er seine Pausenzeiten überzog.

      Tom suchte weiter nach den Limetten und streifte dabei etwas unachtsam eine weitere Kiste mit Orangen. Mit einem lauten Knall ging diese zu Boden.

      „Scheiße“, fluchte er und machte sich sogleich daran, die zum Teil weit verstreuten Früchte wieder einzusammeln. Durch den Krach aufgeschreckt verstummten die Stimmen und Falk platzte wenige Sekunden später in den Lagerraum, gefolgt von einem Unbekannten.

      „Was ist denn hier los? Was machst du hier?“

      „Lisa braucht Limetten. Und ich Tollpatsch hab die Kiste hier übersehen und umgeworfen. Und was macht ihr hier?“ Er verengte die Augen und betrachtete den Unbekannten. „Wer ist das?“

      „Ein Freund von mir. Erik, das ist Tom. Tom ... Erik.“

      „Nett, dich kennenzulernen, Tom.“ Seine tiefblauen Augen bedachten ihn mit einem abschätzenden Blick.

      „Gleichfalls.“ Der Typ bereitete Tom irgendwie Unbehagen und plötzlich hatte er das Verlangen, diesen Raum schnellstmöglich zu verlassen. Er legte die letzte Orange zurück an ihren Platz und wandte sich um.

      „Ah, da sind sie ja. Ich muss wieder hoch. Lisa wartet. Und keine Sorge. Ich hab euch nie gesehen. Ich weiß ja, was Phil dazu sagt. Nicht während der Arbeitszeit … bla ... bla ... bla.“ Er nickte Erik kurz zu. „Man sieht sich.“ Mit schnellen Schritten hastete er davon und nahm dabei gleich zwei Stufen auf einmal. Falk blickte ihm hinterher.

      „Hat er etwas mitbekommen?“

      „Keine Bange. Der ist harmlos. Tut keiner Fliege etwas zuleide.“

      „Und trotzdem könnte er uns belauscht haben.“ Erik beäugte Falk misstrauisch.

      „Lass ihn zufrieden. Ich kümmere mich darum.“

      „Wie du meinst.“

      Vier

       Mittwoch, 02. Mai, 10 Uhr 15

      „Miau …“

      Ähnlich wie eine thailändische Statue saß die kleine Siamkatze auf einem der vier Küchenstühle und bewegte ihren Schwanz rhythmisch von rechts nach links. Ihre himmelblauen Augen folgten jeder ihrer Bewegungen. In der Hoffnung, vielleicht auch eine Kleinigkeit der Leckereien, die sich dort auf der Anrichte befanden, abstauben zu können.

      Christin, kurz Chris genannt, hatte gerade den frisch gebackenen Marmorkuchen in eine Folie gehüllt und mit blauem und weißem Geschenkband hübsch verpackt.

      „Und? Wie findest du es, Sarami?“

      „Brrrrrr …“, schnurrte sie anerkennend.

      Chris stellte den Kuchen zur Seite und blickte sanft und dabei lächelnd auf ihren Stubentiger herab.

      „Sie müssen sich noch etwas gedulden, junge Dame.“

      Chris öffnete die Tür zum Kühlschrank, nahm zwei Becher Sahne heraus und füllte den Inhalt in einen Messbecher. Nun tänzelte Sarami unruhig auf dem Stuhl hin und her. Chris stellte den Mixer an und schon wenige Augenblicke später hatte die Sahne eine feste Konsistenz angenommen. Um sicherzugehen, dass geschmacklich alles in Ordnung war, holte sie einen Löffel aus der Schublade und probierte.

      „Mhhhhh …“

      Das war zu viel für den Siamesen. Theatralisch ließ sie eine Reihe der unterschiedlichsten Tonfolgen erklingen und hatte mit ihrem energischen Getue auch schnell Erfolg.

      „Schon gut, schon gut!“, gab Chris auf und füllte eine Esslöffelportion in Saramis Napf. Die Katze sprang vom Stuhl, hastete zu ihrem Futterplatz und ließ die Zunge vor- und zurückschnellen, sodass die Sahne in Nullkommanichts verputzt war. Zufrieden verließ sie die Küche, sprang auf ihren Kratzbaum im Wohnzimmer und fing an, sich ausgiebig zu putzen.

      Chris hatte unterdessen die fertige Sahne in eine Dose umgefüllt und zusammen mit dem Kuchen in ihrem grünen Einkaufskorb verstaut. Sie räumte noch schnell das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine und folgte Sarami in den hellen, freundlichen Raum, wo sie nach ihrer Jacke und den Autoschlüsseln griff. Die Katze war immer noch mit der Fellpflege beschäftigt und schaute nur kurz auf, als Chris im Begriff war, die Wohnung zu verlassen.

      „So, Süße, du hältst hier die Stellung. Ich bin gleich wieder da. In Ordnung?“

      „Mauuu …“, antwortete Sarami prompt. Es war typisch für diese Rasse, immer das letzte Wort zu haben. Lächelnd ging Chris zu ihr, nahm den Kopf der Katze zwischen ihre Hände und legte die Stirn sanft auf die ihre. Sie liebte dieses Tier über alles und hätte nicht gewusst, wie sie die letzten Monate ohne ihre kleine Sarami hätte überstehen sollen. Das Gespür, gepaart mit dem Instinkt, einfach da zu sein, wenn es ihr schlecht