Arno von Rosen

Exlux


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nicht mehr herbeiführen können. Sie hatte nur noch undeutliche Erinnerungen, an den Schusswechsel im Büro ihres Vaters. Sarah griff sich unbewusst an die Stelle, wo sie die Kugel getroffen hatte, und sie verspürte einen ziehenden Schmerz, der nur langsam abebbte.

      Sie wusste, dass ihr Vater reich war, aber sie hatte sich nie dafür interessiert, wie viel Geld er besessen hatte, und welchen Geschäften er nachgegangen war. Sicher erwarb niemand ein Vermögen, wenn er nicht die nötige Härte besaß, sich durchzusetzen. Heute sah sie die Feste, die ihr Vater ausgerichtet hatte, in einem anderen Licht. Es ging immer nur um Einfluss und Macht, auf beiden Seiten. Man nützte sich gegenseitig, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

      Ministerpräsidenten, Wirtschaftsmächtige in aller Welt, sogar Polizeipräsidenten. Alle profitierten davon, Karl Koenig zu kennen. Sogar sie, und Frank Kremer, gehörten zu den Gewinnern, gewollt oder nicht. So erklärte sich auch der Ärger ihres neuen Vorgesetzten Kurt Weiler, der offensichtlich nicht zur erlesenen Scharr der Profiteure zählte, und auf jeden sauer war, der aus diesem Kreis an ihm vorbeizog.

      Für wen sollte sie das Unternehmen weiter leiten? Für sich? Für ihre Mutter? Für die Geschäftspartner ihres Vaters?

      Und was würde sie finden, wenn sie sich auf die Suche nach der Milliarde Euro machte? Wäre es nicht besser, alles abzustoßen, um wieder Frieden zu finden?

      Ihre Mutter war versorgt, sie verdiente ihr eigenes Geld, und das bereits seit mehr als fünf Jahren. Sie ahnte, dass die Abfindung von 1 Million Euro nur eine Geste war, oder vielmehr, ein Hinweis auf ihre Verpflichtung gegenüber ihrem Erbe. Bestimmt hatte ihr Vater nicht geplant, dass sie unter diesen Umständen die Firma übernehmen sollte, auch wenn er immer wieder auf ihre Nachfolge gedrängt hatte.

      Sie erschrak, als Frank sie am Arm berührte. Sie hatte sich unwillkürlich an den Armlehnen festgeklammert, bis ihre Knöchel weiß hervorgetreten waren. Er lächelte sie an, und Sarah entspannte sich ein wenig, konnte sich aber nicht wirklich auf den Vortrag ihres Anwaltes konzentrieren.

      Sie würde eine Entscheidung treffen müssen, und hoffte, dass Frank ihr dabei helfen konnte. Nur langsam durchdrang die Stille ihre lauten Gedanken, und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder zurück zu Bernhard von Mühlen, der ihr das Testament ihres Vaters entgegen hielt. Sarah lächelte verkrampft, und nahm das Schriftstück entgegen.

      Der Anwalt nahm sich eine Pfeife aus der Schublade, stopfte diese bedächtig, und zündete sie mit einem Streichholz an, indem er das brennende Zündholz in den Pfeifenkopf steckte, und mehrmals am Mundstück sog. Die Haut seiner Finger sah aus, als ob sie aus dünnem, braunen Papier bestehen würde, das jeden Moment selber Feuer fangen konnte.

      Anschließend lehnte er sich in seinem Sessel zurück, stieß ab und zu kleine Wolken aus, und beobachtete Sarah beim Durchlesen des Testamentes. Als sie am Ende des Schriftstückes angekommen war, legte Bernhard von Mühlen die Pfeife zurück in den Ständer, und schloss die Schublade wieder.

      „Nun, hast du Fragen zum letzten Willen deines Vaters?“

      Sarah nickte langsam, als ob sie sich noch darüber klar werden müsste, was sie wissen sollte, aber sie vermutete auch, dass ihre drängendsten Fragen nicht durch ihren Anwalt beantwortet werden konnten.

      So klärten sie anschließend die vielen technischen Details, wie Sarah über das Geld verfügen konnte, und ab wann sie unterschriftsberechtigt war, und vieles mehr. Erst am Nachmittag verließen sie die Kanzlei, und fuhren zu ihrer Wohnung.

      Frank starrte an die Decke. Durch einen kleinen Spalt im Vorhang, fiel ein schwaches Mondlicht, das durch die gläserne Deckenlampe, fahle Muster ins Zimmer warf. Er lag seit Stunden wach in seinem Bett, und beobachtete wie die Schatten sich im Laufe der Zeit veränderten. Er dachte über die letzte Woche nach, vor allem über Sarah. Er vermisste sie, obwohl sie erst seit wenigen Tagen zusammen waren, aber es fühlte sich an, als ob sie sich schon seit ewigen Zeiten kennen würden.

      Sie hatte sich entschlossen, die Firma ihres Vaters nicht kampflos untergehen zu lassen, oder sie an die Geschäftspartner zu verhökern. Mit dem Privatjet ihrer Familie war sie, zusammen mit Freddie, nach Asien geflogen, um sich mit den Produzenten zu treffen. Die Bank hatte ihren Kreditrahmen um 5 Millionen Euro aufgestockt, mit dem Jet als Sicherheit.

      Frank hatte sie in der Entscheidung bestärkt, wollte aber nicht mitfliegen, da er morgen seinen Sohn für ein paar Tage für sich hatte, und er die Zeit nutzen wollte, bevor andere Umstände seinen Zeitplan wieder änderten. Zudem wollte er Philipp vorsichtig an den Gedanken gewöhnen, dass sein Vater wieder eine Beziehung hatte. Sarah rechnete damit, dass sie ungefähr drei bis vier Tage unterwegs sein würde. Eine Meinung, die er nicht teilte, aber das behielt er lieber für sich.

      Sarah würde bereuen, wenn sie nicht wenigstens versuchen würde, dass angeschlagene Unternehmen zu retten. Danach hatten sie immer noch Zeit, weitere Nachforschungen über den Verbleib der Milliarde Euro anzustellen, oder nach weiteren Hinweisen, des entsorgten Killers, zu suchen.

      Er hatte die Verlesung des Testaments als Kriminologe betrachtet, und ein paar beunruhigende Beobachtungen gemacht, die er Sarah nicht mitteilen wollte. Sie hatte mit Sicherheit nicht genug Abstand, die Vorgänge um Karl Koenig aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Er selber traute Bernard von Mühlen nicht. Er machte den Anschein eines väterlichen Freundes, aber er kannte Sarah nicht wirklich, und über die Transaktionen mit ihrem Vater wusste weder Sarah, noch ihre Mutter Carola genug, um die Gesamtsituation einzuschätzen.

      Ihm war aufgefallen, dass die Aktenmappe mit dem Testament stark nach Pfeifenrauch roch, jedenfalls zu stark, wenn man bedachte, dass das Testament schon vor Jahren verfasst wurde, und der Anwalt angeblich erst seit ein paar Tagen aus Italien zurück war.

      Er vermutete, dass sich der Winkeladvokat schon länger mit der Akte befasst hatte. Dazu kam, dass der Aktenumschlag zu ausgebeult war, für den Umfang des vorhandenen Testaments, und die Stahlklammern der Mappe außerdem zuvor an einer anderen Stelle gebogen worden waren, als ob sie früher mehr Dokumente beinhaltet hätte.

      Aber warum sollte der Anwalt Teile des Testamentes verschwinden lassen? Um Sarah und ihre Mutter zu schützen?

      Das klang jedenfalls besser als die Alternative, die Frank einfach logischer erschien. Habgier! Vielleicht ging es um Geschäftsanteile, oder noch wahrscheinlicher, der Anwalt wusste möglicherweise doch, wo sich die Milliarde Euro befand. Er schätzte, dass eine so hohe Summe auch dem reichsten Rechtsverdreher noch unerfüllte Phantasien durch den Kopf gehen ließ. Er hatte in seiner Karriere oft mit Habgier zu tun gehabt, und festgestellt, dass selbst vor Mord nicht zurück geschreckt wurde, um an das Geld, selbst der eigenen Familie, ranzukommen. Mindestens eben so oft, wie Verbrechen aus Leidenschaft.

      Die Frage war dann nicht, ob der Anwalt eine solche Summe benötigte, oder noch ausgeben konnte, sondern einfach nur, ob die Beschaffung des Geldes den Aufwand des Verbrechens lohnte. Wer sollte das besser beurteilen können, als jemand der sich mit dem Gesetz bestens auskannte, und damit umgehen konnte. Es würde sicher wenig bringen, von Mühlen durchleuchten zu lassen. Selten taten Anwälte etwas Dummes, dass sich nicht doch irgendwie mit dem Gesetz vereinbaren ließ, und wenn doch Fehler passierten, war es für sie ein Leichtes, diese Taten zu vertuschen.

      Es wäre sicher besser, Bernhard von Mühlen beschatten zu lassen, und Frank hatte auch schon eine Idee. Ein ehemaliger Kollege, hatte sich nach einer Verletzung im Dienst, als privater Ermittler selbstständig gemacht. Er würde am nächsten Morgen die Nummer von Thorsten Teves raus suchen, und sich mit ihm treffen, bevor er Philipp abholte.

      Frank stand auf, und zog sich an. Er würde hier kein Auge zu machen, und hatte keine Lust, sich noch stundenlang in seinem Bett zu wälzen. Er wollte fit und ausgeschlafen sein, um mit seinem Sohn etwas zu unternehmen, und klar im Kopf, wenn er mit Thorsten sprach. Er fuhr zu ihrer Wohnung, und stellte den Wagen auf dem angemieteten Tiefgaragenparkplatz ab.

      Sobald er die Wohnungstür öffnete, konnte er den Duft von Sarah wahrnehmen, der noch in der Luft lag.

      Er hatte die Schlüssel, um nach dem Rechten sehen zu können, und sie hatte ihm angeboten, in der Wohnung zu bleiben, bis sie zurück war, aber er hatte natürlich erst einmal abgelehnt. Vielleicht