Arno von Rosen

Exlux


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und er hatte sich überreden lassen, noch selber zu fahren, obwohl er ein Taxi nehmen wollte. Aber seine Studenten und Kollegen boten ihm Geleitschutz an, und so waren sie im Konvoi mit ihren Autos gefahren. Es wurde gehupt und aufgeblendet, und immer wieder überholten sie sich gegenseitig.

      Es war, wie zu seiner Studentenzeit, aber ausgelassener als damals, als er nur das Lernen, und den wissenschaftlichen Fortschritt, im Kopf gehabt hatte. An diesem Abend wollte er die vielen Jahre der Arbeit, und des Verzichtes auf Freizeitspaß, vergessen machen.

      Sie waren bereits in den Außenbezirken der Stadt angekommen, als er den Schlag am Fahrzeug wahrnahm, und eine Vollbremsung hinlegte. Die anderen Wagen der Gruppe hatten auch alle gehalten, und standen am Straßenrand, als er auf die Scheinwerferlichter der anderen Autos zuging, zu der Gruppe, die am Graben neben der Straße stand.

      Keiner sagte ein Wort. Er drängte sich durch die Menschentraube, und blieb wie erstarrt stehen. Im Graben lag ein Mann, mit abgetragenen Klamotten, die er in mehreren Schichten am Körper trug. Der Kopf war eine einzige blutige Masse, und die Gliedmaßen des Fremden waren seltsam, auf unnatürliche Weise, verdreht.

      Einer der neuen Kommilitonen beugte sich herab, und fühlte den Puls an der Halsschlagader. Er wischte sich das Blut von seinen Fingern an dem alten Mantel des Mannes ab, und stand wieder auf. Mit tonloser Stimme teilte er den Umstehenden mit, „der Mann ist tot“, und wieder trat Schweigen ein, nachdem zuvor noch ein Murmeln zu vernehmen gewesen war.

      Der junge Mann hatte sich zu ihm umgedreht, ohne ihm direkt in die Augen zu sehen.

      „Dr. Miles, sie können nichts dafür. Der Landstreicher ist einfach auf die Strasse gelaufen. Ich hab es gesehen. Außerdem riecht er nach billigem Alkohol.“

      Die anderen nickten stumm, obwohl die meisten den Fremden gar nicht gesehen haben konnten. Sie schrieben das jedoch ihrem eigenen Alkoholpegel zu. Eine junge Studentin weinte, und fragte flehendlich.

      „Was machen wir denn jetzt? Wir können ihn doch nicht so liegen lassen.“

      Der junge Student hatte keine Sekunde gezögert.

      „Ich habe fast nichts getrunken. Ich bringe ihn mit meinem Fahrzeug ins Krankenhaus, und werde auch die Fragen der Polizei beantworten, soweit es möglich ist. Alle anderen sollten so schnell wie möglich nach Hause fahren, auch sie Dr. Miles. Jeder von uns könnte seinen Studienplatz verlieren, und unsere Karrieren wären beendet, wenn das heraus kommt. Zwei Mann helfen mir, ihn in meinen Wagen zu legen, und dann verschwindet ihr alle, bevor uns noch jemand sieht.“

      Preston Blanket hatte den Mann unter den Armen genommen, und ein paar der anderen Studenten nahmen die Beine, und stützten den Körper. Zusammen wuchteten sie ihn auf die Rückbank von Prestons Wagen.

      „Macht das ihr weg kommt, los!“

      Blanket hatte die Gruppe regelrecht angefaucht, und wie nach einem Startschuss waren alle zu den Fahrzeugen gesprungen, und eingestiegen. Die Wagen brausten schon davon, als Burton wie in Trance zu seinem Auto gegangen, und sich hinters Steuer gesetzt hatte. Er war nicht mehr betrunken, aber alles passierte wie in Zeitlupe. Blanket und die anderen waren schon in der Dunkelheit verschwunden, als sich sein havariertes Fahrzeug in Bewegung setzte, und er sein Haus, in den Vororten von Massachusetts, angesteuert hatte.

      Was sollte er seiner Verlobten, Lydia erzählen?

      Wo sollte er mit dem Wagen hin?

      Konnte er ihn einfach in der Garage stehen lassen?

      Der rechte Kotflügel, der Scheinwerfer, und die Stoßstange waren kaputt. Wie sollte er das erklären? Er war damals nach Hause gefahren, konnte sich aber nicht mehr daran erinnern. Er war ausgestiegen, hatte sich auf dem Rasen vor dem Haus übergeben, sich auf das Sofa im Wohnzimmer gesetzt, und war gegen morgen eingeschlafen, bis ihn Lydia geweckt hatte, mit einem vorwurfsvollen Blick, und mit einem mahnenden Tonfall.

      „Mein lieber Herr Dr. Miles, da haben sie aber einen Haufen Ärger angerichtet. Herr Lampkin, vom Eckhaus, ist bereits da gewesen, nachdem ich den Schaden an deinem Auto gesehen habe. Du bist ihm letzte Nacht auf sein Fahrzeug gefahren, und hattest dann die Nerven, deinen Wagen einfach in die Garage zu stellen!“

      Burton hatte völlig verwirrt aus der Wäsche geguckt, und keinen Ton gesagt.

      War alles nur ein böser Traum gewesen?

      Was war letzte Nacht geschehen?

      „Du siehst ja furchtbar aus Burton. Was hast du denn alles getrunken?“

      „Ich weiß es nicht mehr, Lydia. Ist Herr Lampkin noch da?“, fragte er zögerlich.

      „Nein, natürlich nicht, aber ich habe ihm gesagt, er soll sein Fahrzeug reparieren lassen, und uns die Rechnung schicken. Die Autowerkstatt hat bereits beide Wagen abgeholt.“

      Mit einem Ruck hatte er sich aufgesetzt, und Lydia war erschrocken zwei Schritte rückwärts getaumelt.

      Das damalige Wochenende war ein einziger Albtraum gewesen, der daraus bestanden hatte, dass jeden Moment die Polizei an seine Tür klopfen würde, um ihn wegen fahrlässiger Tötung, mit Fahrerflucht, für immer einzusperren.

      Aber es passierte nichts. Es gab keinen Bericht im Fernsehen, oder eine Schlagzeile in der Tageszeitung. Am Montagmorgen las er im Lokalteil seiner Zeitung, dass ein Student der ansässigen Elite Uni einen Mann in das Städtische Krankenhaus eingeliefert hatte, bei dem nur noch der Tod festgestellt werden konnte.

      Es wurde kein Täter gesucht, nur Zeugen, die eventuell den Mann gesehen hatten, oder den Unfalle. Der Fundort war der nahe gelegene Highway, was nicht stimmte, wie Burton wusste, aber so stand es im Polizeibericht. Ganz im Gegenteil. Man bedankte sich bei dem selbstlosen Studenten, der den abgerissenen Landstreicher ins Krankenhaus gebracht hatte.

      Burton musste sich damals übergeben, und Lydia hatte ihn mit Tee versorgt, und ihm Vorhaltungen gemacht, nie wieder so viel zu trinken. Er war dann zur Uni gefahren, und hatte die erste Vorlesung vor einer, zumeist schweigenden, Studentengruppe abgehalten. Keiner konnte ihm in die Augen sehen, von denen, die gekommen waren. Ein paar waren erst gar nicht zum Unterricht erschienen, und blieben eine ganze Woche, oder sogar noch länger, dem Campus fern.

      Bei den meisten, seiner Kommilitonen und Mitarbeiter, legte sich die Anspannung nach der ersten Woche, und sie waren erleichtert, noch einmal so davon gekommen zu sein. Er hatte angefangen sich dafür zu hassen, nicht die Verantwortung für sein Handeln übernommen zu haben, aber jetzt musste er mitspielen, wollte er nicht noch weitere Personen ins Verderben ziehen.

      Als er schon überlegte, die Universität zu wechseln, und mit Lydia wegzuziehen, hatte ihn ein Fremder vor dem Unigelände angesprochen, als er sein Büro verlassen wollte. Er hatte ihn ohne große Umschweife gesagt, dass er ihm ein sehr interessantes Angebot mache könne, ohne viele Fragen über seine Vergangenheit zu stellen. Jeder konnte im Leben mal Pech haben, aber es wäre schade, wenn die Wissenschaft auf ihn würde verzichten müssen.

      Burton nahm damals an, man sei ihm auf die Schliche gekommen, denn der Mann trat auf wie ein Regierungsbeamter, auch wenn das offiziell nicht bestätigt wurde. Er grübelte eine Woche, was er tun sollte, und letztendlich nahm er die angebotene Position an, ohne die Details zu kennen. Er hatte seine Stellung bei der Uni gekündigt, ohne das Gespräch, mit seinem Mentor und Förderer, zu suchen, löste die Verlobung mit Lydia, und überlies ihr das Haus.

      Eine Woche später, landete er bereits in Südamerika, auf dem Buenos Aires Flughafen. Das war jetzt mehr als sechs Jahre her, aber es kam ihm vor, wie eine Ewigkeit.

      Er hatte nie wieder den Kontakt zu seiner Heimat gesucht, und sich mit der Situation am Südpol abgefunden, bis Julie Renard in sein Leben getreten war. Erst jetzt hatte er wieder begonnen zu Leben, wenn auch sehr vorsichtig, um das neue Glück nicht zu gefährden.

      Aber wie lange konnte er sein Geheimnis bewahren? Für immer? Nein, er musste es Julie sagen, aber wann?

      Bald, aber jetzt noch nicht. Er konnte es noch nicht. Seine Angst sie zu verlieren war größer, als sein Drang ihr seine Geschichte zu erzählen. Auch bei Julie gab es eine Geschichte,