Jenny Kutzner

Vergeben und Vergessen


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gut ging, ließ er alles stehen und liegen. Er machte Zukunftspläne, wollte so schnell wie möglich eine Familie gründen. Auf einmal war ich seine Nummer Eins. Und ich? Noch vor kurzem hätte ich vor Glück Purzelbäume geschlagen, doch ich war ganz und gar nicht glücklich. Statt einer Stelle als Redakteurin nahm ich einen Job als Kellnerin in einer Bar an und ließ mich für jede Spätschicht einteilen, nur um nicht in seiner Nähe sein zu müssen. Das Schlimmste jedoch war, dass ich Peter einfach nicht mehr in die Augen schauen konnte. Jedes Mal, wenn sich unsere Blicke trafen, stieg eine Welle des Zorns und der Enttäuschung in mir auf und ich verstand einfach nicht warum. Nach unserem Umzug hatte ich anfänglich noch versucht diesen Gefühlen auf den Grund zu gehen. Ich beschloss mich mit einer alten Freundin zu treffen, ich musste mich und mein Gefühlschaos einfach jemandem anvertrauen. Mit Peter konnte und wollte ich nicht reden. Außerdem, was ihn anging, hatte der 18. Juli nie stattgefunden. Als ich ihm von dem bevorstehenden Treffen erzählte, war er alles andere als erfreut darüber. Er redete mir eindringlich ins Gewissen, dass wir mit dem Umzug doch alles zurücklassen und einen kompletten Neuanfang beginnen wollten. Ich versuchte ihn zu beschwichtigen, doch als er keine Ruhe gab, sagte ich das Treffen ab. Doch schon mein Opa sagte immer, dass es sich nicht lohnen würde davonzulaufen. Die Vergangenheit wäre ein verdammt flinkes Biest und würde einen immer einholen, egal wie schnell und weit man laufen würde. Und das traf auch auf uns zu. Am 22. November war es dann so weit. Die Vergangenheit hatte uns nicht nur eingeholt, sie überrannte uns förmlich. Rückblickend betrachtet war das der Tag an dem mein Leben sich ein weiteres Mal veränderte – grundlegend und endgültig. Ich lernte John kennen.

      6.

      Der 22. November war eigentlich ein Tag wie jeder andere auch. Es war bitterkalt und es regnete schon seit Tagen ununterbrochen. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag im Bett geblieben. Der Wind pfiff durch die Spalten der Mauer unseres Hauses und der Regen trommelte auffordernd gegen die Scheiben. Doch ich wollte nicht aus dem Bett vertrieben werden. Ich hatte diesen Tag frei, also kuschelte ich mich noch fester in meine Decke und zog sie bis über die Ohren. Ich lauschte meinem Herz, wie es langsam und stetig vor sich hinpochte. So eingepackt blieb ich noch eine ganze Weile liegen, bis sich ganz langsam ein mir nur allzu bekanntes Geräusch in meine Träume schlich. Peter rief an und mein Telefon klingelte unaufhörlich direkt neben mir auf dem Nachttisch, obwohl ich mir sicher war, es gestern Abend lautlos gestellt in der Küche zurückgelassen zu haben. Ich war der Versuchung nahe, ihn wegzudrücken oder das Telefon zumindest wieder auf lautlos zu stellen. Ich wollte nicht mit ihm reden und wenn ich ehrlich bin, wollte ich es weder jetzt noch irgendwann. Bei dem Gedanken daran überkamen mich wieder diese schrecklichen Schuldgefühle. Warum war ich nur so abweisend zu ihm? Er war mein Ehemann, ich müsste ihn doch lieben. Ich konnte mir nicht erklären, wie sich meine Gefühle für Peter so verändert haben konnten. Besonders weil er, nach allem was geschehen war, so liebevoll und fürsorglich zu mir war. Aber genau das war, glaube ich, der Punkt. Ich wollte nicht, dass er so war und deswegen nahm ich das Gespräch auch an, bevor er aus Sorge um mich noch hergekommen wäre. Da war ein Telefonat die wesentlich bessere Alternative. Ich atmete also tief ein und begrüßte ihn so liebevoll ich konnte.

      »Hi, mein Schatz.«

      »Oh, habe ich dich geweckt? Das wollte ich nicht! Ich rufe nur an, um zu fragen ob bei dir alles in Ordnung ist.«

      »Alles bestens! Und geweckt hast du mich auch nicht. Ich bin schon seit einer halben Stunde wach. Ist gestern wieder spät geworden.«

      »Du hättest mich ruhig wecken können! Wir haben uns seit Tagen kaum gesehen. Weißt du, ich..., ich vermisse dich!« Es entstand eine kleine Pause und mir wurde klar, dass ich ihm eigentlich sagen sollte, dass ich ihn auch vermisste. Doch ich konnte nicht.

      »Weißt du was, ich mache heute eher Feierabend und dann gehen wir zwei mal wieder aus. Was essen, ins Kino und vielleicht…«

      »Das hört sich wirklich nett an, aber es geht nicht«, unterbrach ich ihn, bevor er den Satz zu Ende bringen konnte. »Weißt du, Maggie ist krank geworden und ich hab versprochen einzuspringen.«

      Lüge! – blinkte es in grellen roten Buchstaben in meinem Kopf auf. Gott sei Dank konnte er mich jetzt nicht sehen.

      »Kannst du nicht absagen?«

      »Das geht nicht, ich hab`s versprochen, und zur Zeit ist die Hölle los!«

      Lüge! In Wirklichkeit, war am Monatsende nie etwas los. Aber um das Gespräch zum Ende zu bringen versprach ich ihm, dass wir den Abend bald nachholen würden. Er war absolut nicht glücklich mit meiner Absage, aber er nahm sie hin.

      »Hannah, ich liebe dich!«

      »Ich dich auch, Peter.«

      Und damit war das Gespräch beendet. Ich stellte das Handy auf lautlos und legte es auf den Nachttisch zurück, bevor ich mich wieder ins Bett fallen ließ. Gott, was war ich nur für eine schlechte Ehefrau! Wie oft hatte ich ihn während diesem einen Telefonat angelogen? Ich zog das Kissen unter meinem Kopf hervor und drückte es mir ins Gesicht, bis mich diese schrecklichen Gefühle verließen und die Welt begann zu verschwinden.

      Als ich gegen 17 Uhr in die Kälte trat, um eine Schicht anzutreten, die ich gar nicht antreten musste, überkam mich Wut und Traurigkeit. Es war erbärmlich und feige und ich wusste, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Dieses ständige aus dem Weg gehen war weder für Peter noch für mich erträglich. Ich musste irgendwann mit ihm darüber reden. Aber was sollte ich ihm sagen, wie es ihm erklären? Für gewöhnlich lief ich die paar Kilometer. Doch an diesem Tag rief ich mir ein Taxi. Ein Schauder lief mir den Rücken hinunter und daran war nicht nur der eisige Regen schuld. Anfänglich war es nur ein leichter Nieselregen. Doch als ich endlich bei der Bar ankam, war er bereits in einen kräftigen Regenschauer übergegangen. Ich rannte den kurzen Weg vom Taxi bis zur Tür und als ich die trockene, warme Zuflucht erreichte, meldete das Glöckchen über der Tür gehorsam mein Eintreten. Marti, mein Chef, der hinter dem Tresen mit dem Rücken an das Schnapsregal gelehnt stand und las, blickte über seine Brille hinweg schielend auf. Die Bar hatte bereits seit einer Stunde geöffnet, doch bis auf eine kleine Gruppe im hinteren Bereich, war der Laden leer. Als Marti mich erkannte, wirkte er sichtlich irritiert.

      »Was machst du denn hier?«, schoss es etwas barsch aus ihm heraus und ich musste schmunzeln. Es sah wirklich zu komisch aus, wie dieses 38 Jahre alte Muskelpaket, das die Sonnenbank liebte und fast täglich ins Fitnessstudio ging, mit seiner Lesebrille auf der Nase so dastand und las. Er legte die Zeitung weg und kramte nach etwas in der Schublade unter der Kasse.

      »Hab ich dich etwa für die Schicht eingeteilt? Also wenn es so ist, dann tut´s mir echt leid, dass muss ein Fehler gewesen sein. Siehst ja selber, was hier los ist.«

      »Ich weiß, ich bin heute zur Abwechslung mal hier, um deinen Umsatz ein bisschen anzukurbeln.« Marti hörte auf zu suchen und schaute mich eine ganze Weile an. Seine fragenden Blicke schienen mich zu durchbohren, als ich mich auf einen der Hocker am Tresen setzte.

      »Hattest ´nen scheiß Tag, was?«

      »Einen? Ne ganze Reihe!« Als ich mit dem Kellnern anfing, war eines der ersten Dinge, die mir Marti beibrachte, ein Gespür dafür zu entwickeln, wann es angebracht war, sich dem Gast als Gesprächspartner und Hobbytherapeut anzubieten und wann lieber nicht.

      »Einen Whiskey Sour für die Dame?!« Ich nahm das Glas in die Hand und setzte es an. Den ersten Schluck nippte ich nur, um mir im zweiten Anlauf das komplette Glas die Kehle hinunterzustürzen. Ich konnte den Whiskey den ganzen Weg, bis hinunter in meinen Bauch, spüren. Kaum dort angekommen, schoss er mir in den Kopf, aber irgendwie genoss ich auch diese Wärme in mir. Es fühlte sich gut an und ich wollte mehr.

      »Hey Marti, machst du mir noch so einen?«

      Marti sah auf einmal besorgt aus. Ich kannte den Ausdruck auf seinem Gesicht von Peter und ich hoffte, dass er mir einfach nur meinen Drink bringen würde, doch ich wurde enttäuscht.

      »Also, ähm...wenn du darüber...«

      Mein Blick schien zu genügen und er sprach nicht weiter. Ich nahm ihm das neue Glas aus der Hand und überlegte,