Jenny Kutzner

Vergeben und Vergessen


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immer höher werdenden Promillewert und spielte immer und immer wieder das anstehende Gespräch mit Peter in Gedanken durch. Mir wurde klar dass, egal wie ich es ihm beibringen würde, es zwangsläufig in einer Katastrophe enden würde. Ich wollte gerade Marti rufen, um meine Rechnung zu bezahlen, als das Glöckchen über der Tür anfing einen Besucher anzukündigen. Aus Reflex drehte ich mich um.

      In der Tür stand ein Mann. Er war groß und hatte braunes, mittellanges Haar, das ihm vom Regen nass im Gesicht klebte. Er schien einige Zeit draußen gewesen zu sein, denn sein Mantel fing an kleine dunkle Pfützen auf dem Holzboden zu hinterlassen. Als mir bewusst wurde, dass ich ihn anstarrte, drehte ich mich abrupt wieder weg. Marti, von der Glocke aus dem Kämmerchen gelockt, schaute den neuen Gast argwöhnisch an, als er sich mit zwei Hockern Abstand zu mir an die Bar setzte. Er zog seinen Mantel aus und legte ihn neben sich. Für diese Jahreszeit trug er ein viel zu dünnes Sweatshirt, das an den Schultern ebenfalls schon durchnässt war.

      »Was darf´s denn sein?«

      »Wodka!«

      Marti holte ein Glas und eine Wodkaflasche aus dem Regal und goss dem neuen, wortkargen Gast ein. Er wollte gerade die Flasche zurückstellen und wieder in seine Kammer gehen, als sich der Fremde noch einmal zu Wort meldete.

      »Noch einen!«

      »Wie wär´s denn mal mit „Bitte“!«, brummte Marti halblaut in sich hinein.

      »Noch einen...BITTE!«

      Es war sonst nicht Martis Art sich wegen fehlender Umgangsformen aufzuregen, aber es war halt einer dieser Tage, an dem er auch wohl besser im Bett geblieben wäre. Marti schenkte ihm nach, blieb aber diesmal mit der geöffneten Flasche vor ihm stehen und wartete. Der Fremde trank auch das zweite Glas in einem Zug leer und Marti schenkte ein weiteres Mal nach, um die Flasche dann neben ihm stehenzulassen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ Marti wieder den Raum. Ich spürte, wie ich nervös wurde und rief nach Marti, um mir nachschenken zu lassen, aber nichts rührte sich. Also beschloss ich, mir meinen Drink selbst zu machen. Eine ganze Weile blieben der Fremde und ich schweigend nebeneinander sitzen. Nachdem er das fünfte oder sechste Glas geleert hatte, unterbrach er die Stille mit einem frustrierten Seufzen. Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht und strich sich die noch immer nassen Haare zurück.

      »Warum ist dieser Mistkerl nur so verdammt stur?!«

      Ich wollte etwas darauf erwidern, doch stattdessen starrte ich ihn wieder nur an, bis sich unsere Blicke trafen. »Oh Gott, bitte entschuldige! Ich wollte dir keine Angst machen!«

      Ich wollte ihm antworten, aber als ich ihn anschaute, fing er an zu lächeln und mir blieben die Worte im Halse stecken.

      »Ich heiße John.« Er streckte mir seine Hand entgegen. Ich zögerte einen Augenblick und stellte mir vor, wie sie sich wohl anfühlen würde. Ich beschloss es herauszufinden und legte meine Hand in seine.

      »Hannah.«

      Es fühlte sich wirklich gut an, sein Griff war fest und warm.

      »Freut mich dich kennen zu lernen...Hannah!«

      Es kam mir wie eine Ewigkeit vor und ich betete, dass dieser Moment nie zu Ende gehen würde.

      Doch dann löste sich sein Griff. Er stand auf, doch nur, um den Abstand zwischen uns zu verringern und setzte sich auf den Hocker direkt neben mir.

      »Was tust du denn hier?«

      »Arbeiten.«

      Er schaute mich verwundert an.

      »Wenn du das Arbeiten nennst... OK!«

      »Also, normalerweise meine ich. Nicht jetzt. Heute trinke ich nur.« Ich kam mir blöd vor, wie ich da so rumstotterte.

      »Ja, das erklärt dann auch die Erstürmung der Theke.« Kleine Fältchen umspielten seine Augen, als er lächelte und ich spürte, wie ich mich langsam entspannte.

      »Und wer oder was hat dich dann heute zum Trinken gebracht?«

      »Mein Mann.« Hörte ich mich sagen und wollte es sofort wieder zurücknehmen. Ich hatte eigentlich gerade überhaupt keine Lust mehr über meine Probleme mit Peter zu reden. Wenn ich ehrlich war, wollte ich nicht einmal, dass John wusste, dass ich verheiratet bin.

      »Hör zu John, sei mir nicht böse, aber ich will wirklich nicht darüber reden!«

      Sein Lächeln erlosch und er wandte sich wieder seinem Glas zu. Vielleicht war es besser so. Ich würde austrinken und morgen mit Peter reden.

      »Dann muss ich deinem Mann wohl dankbar sein.«

      »Wie bitte?« Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich mich nicht verhört hatte.

      »Na ja, ich bin irgendwie lieber zu zweit alleine und ich bin verdammt froh, dass mir kein bierbäuchiger, alter Säufer dabei Gesellschaft leistet!«

      »Alt und bierbäuchig kann ich schon mal ausschließen. Mit dem Säufer hingegen, bin ich mir da noch nicht so sicher«, antwortete ich halbtrocken, während ich an mir hinunter schaute.

      »So lange der Humor stimmt, kann ich damit leben!« John fing wieder an zu lächeln und ich war dankbar.

      Da saßen wir nun, zwei Fremde, die sich an einem verregneten Novemberabend in einer verrauchten Kneipe zufällig über den Weg gelaufen waren. Keiner von uns beiden wollte, dass diese Nacht vorüber ging, obwohl wir beide mit dem Vorhaben in die Bar gekommen waren, den vorhergegangenen Tag so schnell wie möglich aus unserem Leben zu streichen. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so gut gefühlt. Meine Unsicherheit verflog mehr und mehr. Wir scherzten eine Weile herum und allmählich schien sich die Art unseres Gespräches zu verändern und zumindest John gab mit zunehmender Stunde immer mehr über sich und sein Leben preis.

      »Weißt du, in den zehn Jahren, in denen ich nun schon als Agent unterwegs bin, ist mir nur ein Einziger treu geblieben.« Seine Zunge wurde immer unbeweglicher und die Aussprache fiel ihm zunehmend schwerer. »Und er ist wirklich richtig gut und das nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Freund!« Er schenkte sich ein weiteres Glas ein, wobei er das meiste daneben schüttete und ich hinter die Bar ging, um ein paar Papierservietten zu holen.

      »Wo waren wir stehengeblieben?«, fragte John, kaum dass ich wieder saß und warf mir sein bezauberndes Lächeln zu.

      »Ich glaub du wolltest mir gerade erzählen, was dich in diese Bar getrieben hat.«

      »Ja genau!« John ließ plötzlich den Kopf hängen. Er tat mir leid, wie er dort so traurig saß und legte tröstend meine Hand auf seine.

      »Doch dann kam L.A.«

      Ich hatte gerade einen Schluck aus meinem Glas genommen, als mich seine Worte zusammenzucken ließen. »Alles in Ordnung?« John schaute mich besorgt an.

      »Ja, alles bestens. Mir ist nur ein Stück Limette im Hals hängen geblieben.«

      Ich räusperte mich noch ein paar Mal, doch dann ging es wieder. John ließ mich währenddessen nicht aus den Augen.

      »Sag mal kenn ich ihn vielleicht?«, versuchte ich das Thema zu wechseln.

      »Das ist sogar sehr wahrscheinlich! Du liegst laut aktuellen Umfragen genau in seiner Zielgruppe.«

      John begann etwas ungelenk in seinem Mantel zu wühlen und reichte mir ein postkartengroßes Foto, das an den Rändern bereits etwas ausgefranst war. Mir stockte der Atem.

      »Max!«

      »Du kennst ihn also.«

      Ich kannte ihn in der Tat. Er spielte in einer meiner Lieblingsserien mit und ich war ein riesiger Fan. Doch es war nicht der Gedanke an die heile Serienwelt, der meine Finger unbewusst über das Foto dieser ramponierten Autogrammkarte streichen ließ. Vielmehr waren es eigenartig verschwommene Bilder, die plötzlich in meinem Kopf aufblitzten und ein Kribbeln durchschoss meinen Körper. Ich spürte auf einmal einen pochenden Schmerz hinter den Schläfen und eine eigenartige Kälte trieb mir eine Gänsehaut auf meine Arme.

      John hatte in der