Barbara Goldstein

Die Baumeisterin


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ich sie erröten. »Das kann ich dir nicht sagen, Nefrit.«

      Ich war gnadenlos. »Du weißt, was passiert, wenn ich deinen nächtlichen Ausflug der Tempelverwaltung melde?«

      »Das wirst du nicht tun!«

      »Traust du mir das nicht zu?«

      Iya überlegte kurz. »Doch, das traue ich dir zu. Schließlich hast du auch Sethi und seinen Geliebten auf dem Gewissen.«

      Sie konnte mein Gesicht nicht sehen, und ich war froh darüber. Hatte sich herumgesprochen, dass ich die Liebesbriefe befördert hatte? Wer war auf die Idee gekommen, ich hätte die beiden bei der Tempelverwaltung angezeigt? »Wer hat dir das erzählt?«

      »Ramses.«

      Ich hatte zwei Möglichkeiten: Ich konnte meine Beteiligung an dieser Affäre leugnen, aber Iya würde mir nicht glauben. Oder ich könnte meinen Ruf riskieren und ihr das Geheimnis ihrer nächtlichen Eskapaden abtrotzen. Ich entschied mich für Letzteres. Was hatte ich zu verlieren? »Du triffst dich mit Ramses?«

      Sie zögerte, aber ihre Angst vor meiner Anzeige bei der Tempelverwaltung überwog. »Ich treffe mich nicht mit Ramses. Ich war heute Nacht draußen.«

      »Wo warst du?«, fragte ich, fasziniert von dem Gedanken, den Tempel verlassen zu können.

      »Ich war im Haus der Krieger. Ich habe meinen Verlobten getroffen. Bitte erzähle es niemandem, Nefrit!«

      »Nein, nein, natürlich nicht. Unter einer Bedingung.«

      Iya sah mich unruhig an. »Welche Bedingung?«

      »Du nimmst mich das nächste Mal mit.«

      2

      Acht Wochen vor der Priesterweihe verschwanden Iya und ich nach Mitternacht aus dem Tempel. Sie war nicht glücklich, mich mitnehmen zu müssen, aber ich ließ ihr keine Wahl: entweder mit mir oder nie mehr.

      Noch nie hatte ich Mempi bei Nacht gesehen! Die Stadt war mit Fackeln und Öllampen hell erleuchtet. Selbst nach Mitternacht waren die Straßen nicht verlassen, sodass wir uns in einiger Entfernung vom Tempel nicht mehr verstecken mussten.

      Wir gingen eine Weile, bis wir das Haus der Krieger erreichten. Vor dem Tor der Kaserne standen zwei Wachen, die uns widerstandslos durchließen. Mädchenbesuche nach Mitternacht schienen nicht ungewöhnlich zu sein.

      »Bleib ganz dicht bei mir!«, befahl Iya. »Dann wird dir nichts geschehen.« Ich fragte mich, was mir allein geschehen sollte, was nicht uns beiden widerfahren konnte.

      Hinter dem hohen Pylon lagen die Quartiere der Soldaten und Offiziere um einen großen Innenhof. Das Kriegerhaus war wie eine Festung von einer hohen Mauer umgeben.

      »Wo finden wir deinen Verlobten?«, fragte ich Iya.

      »Er ist Streitwagenführer und hat eine eigene Kammer. Aber er wird bei den anderen sein.«

      Wir durchquerten die Kommandantur, ohne aufgehalten zu werden. Überall saßen und standen Krieger herum, manche noch in Rüstung, manche nur mit einem Schurz bekleidet, andere nackt. Je weiter wir in das Kriegerhaus vordrangen, desto lauter wurden das Geschrei, die Gesänge und die Musik. Im großen Hof fand eine ausgelassene Feier statt. Etliche Krieger vergnügten sich mit Liebesdienerinnen – es wurde gelacht, getanzt, gesungen und geliebt.

      Iya nahm meine Hand und führte mich zwischen den Feiernden hindurch zu einem jungen Mann, der auf einer Binsenmatte lag und sich von einem Mädchen Dattelwein nachschenken ließ. Das Mädchen hatte einen Arm um seine Schultern gelegt, sein Kopf ruhte an ihrer Brust. Als er Iya sah, ließ er seinen Becher sinken, aus dem er gerade trinken wollte.

      »Iya!«, rief er erfreut und scheuchte das andere Mädchen mit einer ungeduldigen Handbewegung fort, als wollte er eine Fliege vertreiben.

      »Ich will dir jemanden vorstellen, Geliebter.« Iya schob mich nach vorne, und ich konnte sein Gesicht im Schein der Feuer sehen. Ich überwand meine Überraschung schneller als er. Wie viele Jahre waren vergangen, und doch erkannte ich ihn gleich!

      »Djedef.«

      »Nefrit? Bei Neith, was tust du hier?« Djedef sprang auf und nahm meine Hand, die er zärtlich mit seiner Nase berührte.

      Djedef war ein Mann geworden: Sein Körper war athletisch, als könnte er mit einem Löwen ringen.

      Iya sah verständnislos von mir zu Djedef. »Ihr kennt euch?«

      »Wir kennen uns seit vielen Jahren. Aber ebenso lange haben wir uns nicht gesehen«, antwortete ich.

      Iya und ich setzten uns zu Djedef und erhielten Becher mit Dattelwein gereicht und Brot und geröstete Ente.

      »Was wird gefeiert?«, fragte ich Djedef.

      »Der König hat einen Sohn bekommen.«

      »Das feiert ihr? Dann müsstet ihr ja ständig betrunken sein.«

      Iya sah mich wegen der Lästerung der Majestät sprachlos an. Djedef lachte amüsiert: »Was sollten deiner Meinung nach die Regimenter in Friedenszeiten wohl sonst tun?«

      »Sich für den Krieg üben, nehme ich an.«

      »Das tun sie, dafür sorge ich schon.«

      »Du bist Streitwagenführer, hat Iya mir erzählt.«

      »Ich bin vor Jahren in das Haus der Krieger eingetreten und habe Karriere gemacht. Ich bin jetzt im Rang eines Offiziers und kommandiere eine Hundertschaft Streitwagen.«

      Iya saß gelangweilt und ungeduldig neben uns, als Djedef mir seine Erlebnisse im Heer des Königs während der vergangenen Jahre erzählte. »Djedef, ich bin nicht hergekommen, damit du Nefrit deine Heldengeschichten aus dem Krieg erzählst!«

      Iya ergriff Djedefs Hand und bat ihn, ihr in seine Kammer zu folgen.

      »Bitte entschuldige uns für einen Augenblick, Nefrit. Die Pflicht ruft ...«, grinste Djedef.

      »Viel Vergnügen!«, rief ich ihm hinterher.

      Ich blieb nicht lange allein auf dem Hof, wo sich die Feier mittlerweile zu einem nächtlichen Gelage entwickelt hatte. Die Zeugungskraft des Königs schien sich bei seinen Regimentern einer unerhörten Beliebtheit zu erfreuen, und viele der Krieger taten es ihm nach. Ein betrunkener Soldat mit einem Becher Bier in der Hand ließ sich neben mir auf die Matte fallen. »Hast du noch keinen der Helden des Ptah-Regiments an deiner Seite, der dich heute Nacht beschützt?« Seine Hand wanderte aufdringlich an meinem Bein hoch.

      »Doch, mein Held. Kommandant Djedef wird gleich zurückkehren.«

      Er zog seine Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. »Djedef? Der Kommandant hat ein Glück! Er bekommt immer die schönsten Mädchen.«

      »Immer die schönsten Mädchen?«, fragte ich nach.

      »Djedef schläft keine Nacht allein. Die Mädchen betteln um den Platz neben ihm auf der Matte.«

      »Du musst dich irren!« Ich erinnerte ihn daran, dass Djedef mit Iya verlobt war.

      Der Krieger lachte und deutete an, dass das Djedef nicht davon abhalten konnte, verschiedene Geliebte zu haben.

      »Du meinst, er betrügt Iya?«, fragte ich ungläubig.

      »Wie nennst du es, wenn Djedef drei Geliebte gleichzeitig hat?«

      »Drei?«

      »Oder mehr, wenn du die Gespielinnen für eine Nacht mitrechnest. Meine Freundin hat er mir ebenfalls ausgespannt. Aber was soll ich tun? Er ist mein vorgesetzter Offizier. Er tut sowieso, was er will.«

      Ich musste lange warten, bis Djedef und Iya aus seiner Kammer zurückkehrten. Iya strahlte über das ganze Gesicht und zupfte an ihrem Gewand herum.

      »Hattest du deinen Spaß?«, fragte mich Djedef. »Ich hoffe, meine Offiziere waren dir zu Diensten.«

      »Ich