Marianne Christmann

Doppeltes Spiel


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gegangen und ich wurde zu seiner Nachfolgerin ernannt. Ich bearbeite nun diesen Mordfall, der gestern geschehen ist. Du hast ihn doch obduziert, oder nicht?“

      Fragend schaute Caro ihre Schwester an. Julia nickte und kramte die Unterlagen hervor.

      „Die Todesursache ist Erstechen, ein einziger Stich, der aber genau ins Herz ging. Der Mann war sofort tot. Der Täter muss großes Geschick im Umgang mit Stichwaffen haben.“

      „Warum?“

      „Normalerweise trifft man mit einem einzigen Stich nicht gleich das Herz. Jedenfalls nicht tödlich. Dieser Stich wurde präzise geführt, so als ob der Täter genaue Kenntnisse hätte, wo er ihn setzen muss.“

      „Du meinst, er ist ‚vom Fach‘?“

      „Es muss jemand sein, der anatomische Kenntnisse hat, z.B. ein Arzt oder ein Chirurg. Aber auch ein Metzger oder jemand, der Tiere zerlegt, käme in Frage.“

      „Und die Tatwaffe?“

      „Kein haushaltsübliches Messer. Die Einstichwunde ist sehr schmal, scharf und glatt. Ich würde auf ein Skalpell tippen, aber das ist meine private Meinung.“

      „Kannst du etwas zum Todeszeitpunkt sagen?“

      „Den kann ich bis auf zwei Stunden eingrenzen. Todeszeitpunkt war zwischen Mitternacht und zwei Uhr früh.“

      „Na gut, wenigstens etwas.“

      „Hast du schon einen Anhaltspunkt, wer ihn ermordet haben könnte? Und warum?“

      „Nein, da tappe ich noch vollkommen im Dunkeln.“

      Caro sah sich im Raum um.

      „Hier zu arbeiten wäre nichts für mich. Da fühlt man sich ja wie ein Maulwurf unter der Erde. Macht dir das nichts aus?“

      „Man gewöhnt sich daran. Dieser Arbeitsplatz ist so gut wie jeder andere. Ich möchte nicht in einem Büro sitzen und nur Papier vor mir haben.“

      „Na, dann hat ja jede von uns den richtigen Beruf ergriffen. Übrigens, dein Chef, Dr. Ritter, hat mich gefragt – als er meinen Namen gehört hat, ob ich mit Julia Sommer aus der Pathologie verwandt sei. Er war sehr zufrieden, als ich ihm das bestätigt habe.“

      Julia lachte.

      „Da hat er wieder etwas, worüber er nachdenken kann. Wenn meine Kollegen dir über den Weg laufen, werden sie versuchen, dich auszuquetschen.“

      „Ganz schnell kann aber daraus werden, dass ich sie ausquetsche“, meinte Caro lächelnd. „Ich muss wieder an die Arbeit“, verabschiedete sie sich und gab Julia einen Kuss auf die Wange. Dann war sie verschwunden.

      Kapitel 9

      Nachdem Caro gegangen war, hing Julia erneut ihren Gedanken nach. Verena blieb in Ulm und sie verbrachten ihre erste gemeinsame Nacht als Liebespaar. Sie liebten sich, erst noch etwas zögerlich aber dann immer stürmischer. Sie versanken in einem Meer aus Leidenschaft. In dieser Nacht hätte die Welt untergehen, eine Sturmflut hereinbrechen oder sonst irgendeine andere Katastrophe geschehen können, keine der beiden hätte davon auch nur ansatzweise etwas mitbekommen.

      Beim Frühstück am nächsten Morgen sagte Verena: „Ich fahre nicht ins Ausland, ich bleibe bei dir.““

      Julia setzte ihre Tasse ab, aus der sie gerade hatte trinken wollen.

      „Nein, Liebes, das machst du nicht. Das Auslandssemester gehört zu deinem Studium, dann musst du es auch machen. Sonst bekommst du deinen Abschluss nicht. Du wolltest doch immer Journalistin werden. Irgendwann würdest du es bereuen.“

      „Aber dann sehen wir uns ewig nicht. Das halte ich nicht aus.“

      „Meinst du, mir geht es anders? Ich hätte dich auch lieber hier. Jeden Tag. Jede Nacht. Immer. Das halbe Jahre kriegen wir rum. Sechs Monate können wir überbrücken. Bestimmt. Für welches Land hast du dich denn entschieden?“

      „Entschieden habe ich noch nichts. Aber Mailand würde mich interessieren.“

      „Dann mach das. Italien ist nicht so weit entfernt. Wir können uns trotzdem sehen. Und wir telefonieren regelmäßig. Was meinst du?“

      Julia gelang es schließlich, Verena davon zu überzeugen, das Auslandssemester zu machen. Auch wenn es ihr selber sehr schwerfiel.

      Nach dem Frühstück bummelten sie durch Ulm. Es war ein herrlich warmer Tag. Julia zeigte Verena die Uni, an der sie studierte.

      „Du hast deine drei Jahre Studium hinter dir. Noch das halbe Jahr im Ausland, dann bist du fertig. Ich muss noch drei weitere Jahre studieren und bin dann erst Humanmedizinerin. Dann kommen noch einmal sechs Jahre Facharztausbildung in Rechtsmedizin. Ich bin uralt, wenn ich fertig bin.“

      „Soll ich schon mal einen Krückstock für dich organisieren?“, fragte Verena und lachte schelmisch.

      „Du bist sowas von frech“, erwiderte Julia und küsste sie.

      „Du wusstest doch, wie lange du brauchen wirst, bevor du das Studium angefangen hast. Wenn es dir zu lange dauert, dann solltest du etwas anderes studieren. Oder die Facharztausbildung in Rechtsmedizin weglassen.“

      „Nein, nein, die Rechtsmedizin fasziniert mich. Es ist ein hochinteressantes Gebiet. Ich will das unbedingt machen. Ich meine ja nur.“

      Sie verbrachten den Tag auf dem Campus, kauften dann noch ein paar Lebensmittel ein und gingen dann zurück in Julias kleine Wohnung, eigentlich nur ein großes Zimmer. Dort kochten sie gemeinsam, aßen zusammen und saßen dann noch ein wenig auf dem kleinen Balkon, der zu dem Zimmer gehörte.

      „Morgen muss ich wieder zurück. Mir graut jetzt schon davor.“

      „Aber erst morgen Abend. Dazwischen liegt noch eine ganze Nacht und ein guter halber Tag.“

      Auch in dieser Nacht liebten sie sich, bis sie vor Erschöpfung einschliefen. Der nächste Tag war ein Sonntag und sie blieben im Bett, solange sie wollten, frühstückten dann und schlenderten anschließend noch ein wenig über den Campus. Viel zu schnell wurde es Abend und Verena musste zum Bahnhof, um ihren Zug zu bekommen.

      Julia fuhr sie hin und gemeinsam standen sie auf dem Bahnsteig und warteten auf die Einfahrt des Zuges.

      „Jetzt wird es ernst“, sagte Verena und wischte sich ein paar Tränen ab, „ich hasse Abschiede.“

      „Ich auch“, erwiderte Julia, „vergiss nicht, dass ich dich liebe. Mehr als alles auf der Welt. Ich warte auf dich und vergiss mich nicht.“

      „Das werde ich nicht. Ich will keine andere als dich. Schon immer. Ich liebe dich auch.“

      Der Zug fuhr ein und Verena kletterte hinein. Drinnen suchte sie sich ein Abteil in dem sie allein war und öffnete das Fenster. Als der Zug anfuhr winkte sie und Julia winkte zurück, so lange, bis der Zug aus dem Bahnhof verschwunden war. Dann verließ sie den Bahnsteig, ging zu ihrem Auto und fuhr zurück in ihre kleine Wohnung, die ihr jetzt leer und einsam vorkam.

      Sie warf sich auf ihr Bett, in dem sie noch vor wenigen Stunden mit Verena gelegen hatte und weinte hemmungslos. Sie liebte Verena und wollte sie bei sich haben. Immer. Nur langsam beruhigte sie sich wieder.

      ‚Morgen musst du wieder in die Vorlesung und einen kühlen Kopf haben‘, rief sie sich selber zur Ordnung.

      In dieser Nacht schlief sie fast überhaupt nicht.

      Auch Verena verbrachte eine unruhige Nacht. Nachdem sie wieder zurück in Stuttgart und ihrer kleinen Wohnung war, war auch sie in Tränen ausgebrochen. Sie standen gerade am Anfang ihrer Beziehung und mussten sich für ein halbes Jahr trennen. Aber Julia hatte Recht. Wenn sie das Auslandssemester nicht machte, dann würde sie es früher oder später bereuen. Da mussten sie jetzt durch. Erschöpft ging sie zu Bett aber sie schlief erst im Morgengrauen ein.

      Nach ihrem