Jean-Pierre Kermanchec

Belon-Austern


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vor der D785. Dort nahm er die erste Abfahrt in die Rue de Combrit und bog dann, am Ende der Straße, in die Route de l‘Île-Tudy ein. Als er bei Marcel Daumas ankam, stellte er seinen Wagen hinter dem Lokal auf dem kleinen Privatparkplatz seines Freundes ab, direkt vor dessen Auto. So war ihm immer ein Parkplatz sicher.

      Île-Tudy war im Sommer ein einziger voller Parkplatz, und eine Lücke war ein echter Gewinn.

      Guy kam um die Ecke und sah Marcel bereits an seinem Tisch stehen, mit dem Pastis in der Hand.

      „Du hast mich wohl gesehen?“, fragte Guy und trat an den Tisch.

      „Na klar, ich achte doch auf meinen Stammgast. Zum Wohl, Guy!“ Marcel reichte ihm seinen Pastis. Guy setzte sich und nahm einen Schluck. Die Sonne stand hoch, und Guy trug seinen Panamahut. Die Krempe tiefer ins Gesicht gezogen, blickte er über die Bucht Pouldon auf die kleine Insel, Île aux Rats.

      „Verzeihen Sie, Monsieur, aber dürfte ich mich zu Ihnen setzten, leider sind alle anderen Tische schon belegt.“

      Guy de Moros wurde regelrecht aus seinen Gedanken gerissen. Er schob seinen Hut nach hinten und blickte in das Gesicht einer sehr hübschen jungen Frau. Er schätzte ihr Alter höchstens auf Ende 20.

      „Aber bitte, Mademoiselle, ich fühle mich geschmeichelt.“

      „Haben Sie vielen Dank. Ich versuche schon seit einer halben Stunde, einen Platz in einem Restaurant zu finden, um eine Kleinigkeit zu essen. Aber alle Tische scheinen auf Île-Tudy, bereits besetzt zu sein.“

      „Mein Tisch ist immer frei, der Chef ist mein Freund.“

      In diesem Augenblick trat Marcel Daumas an den Tisch. In der Hand hielt er eine Platte Austern.

      „Voilà, deine Belon Austern, mein lieber Guy! Lass sie dir schmecken. Was kann ich deiner netten Begleitung Gutes tun?“ Marcel wusste nur zu gut, dass Guy immer alleine am Tisch saß und keine Begleitung mitbrachte.

      „Entschuldigen Sie, aber ich bin nicht in Begleitung des charmanten Herrn. Wenn Sie mir bitte die Speisekarte bringen würden und eine Flasche Evian.“

      „Darf es auch ein Plancoët sein, Mademoiselle? Ich führe nur bretonisches Mineralwasser.“

      „Aber natürlich, ein Plancoët ist auch gut.“ Nachdem Marcel gegangen war wandte sich die junge Frau an Guy.

      „Verzeihen Sie, falls ich Sie in Verlegenheit gebracht haben sollte. Mein Name ist Claudine Lebrun, ich komme aus Rennes und verbringe einige Urlaubstage in dem Domaine du Dourdy, in Loctudy und wollte heute den kleinen Ort besuchen, den ich von meinem Hotelzimmer aus sehen kann. Ich wusste nicht, dass Île-Tudy so überlaufen ist!“

      „Es ist die Hölle im Sommer, wenigstens für mich. Aber nur hier bekomme ich die besten Austern der Bretagne serviert. Die Belon Austern von Daumas ziehe ich allen anderen vor.

      Ich heiße übrigens Guy de Moros und wohne ebenfalls in Loctudy in meinem Haus. Schauen Sie“, Guy zeigte auf ein Anwesen genau gegenüber von Île-Tudy, „dort können Sie mein Haus sehen.“

      „Oh, Sie wohnen aber sehr schön. Sie sind nicht zufällig der Schriftsteller de Moros?“

      „Nun, wenn Sie den Krimi-Autor meinen, dann bin ich das wohl.“ Guy fühlte sich geschmeichelt, dass eine so junge Frau seine Bücher kannte.

      „Ich liebe Sie, Verzeihung, ich meine natürlich, ich liebe Ihre Bücher. Ich kenne alle ihre Romane. Ihre Bücher sind so einfühlsam und so authentisch. Man hat das Gefühl immer mit dabei zu sein, wenn Sie einen neuen Fall beschreiben. Sie werden es mir jetzt bestimmt nicht abnehmen, aber ihre Bücher haben mich dazu gebracht, nach Loctudy zu fahren und hier meinen Urlaub zu verbringen. Ich wollte die Gegend kennenlernen, in der all ihre Fälle spielen. Deshalb wohne ich auch in dem Hotel Domaine du Dourdy. Ihr vorletzter Roman spielte in dem Haus.“

      „Ich kann mich gut erinnern. Ich habe einige Tage in dem Haus meines Freundes Alain Dourdy zugebracht, um alle Einzelheiten zu studieren und mir anzusehen, wie die Arbeit in einem solchen Etablissement abläuft. Alain hatte mich noch gebeten, das Haus auf keinen Fall schlecht aussehen zu lassen. Was ich auch nicht tat, da es das nicht verdient hätte. Die drei Morde, die dann dort begangen worden sind, konnten ja erfolgreich aufgeklärt werden.“

      „Aber alle Fälle werden doch aufgeklärt, wenn ich ihre Romane gut in Erinnerung habe.“ Claudine Lebrun sah Guy fragend an.

      „Die Speisekarte, meine Dame“, unterbrach Marcel das Gespräch der beiden. „Wenn Sie noch etwas essen möchten, dann sollten Sie mir möglichst rasch sagen was Sie wünschen, die Küche schließt in einer halben Stunde.“

      Claudine Lebrun nickte und sah auf die Karte.

      „Wenn ich Ihnen etwas empfehlen darf, dann sollten Sie entweder die Austern probieren oder aber seinen Saumon im Lambig-Dampf.“ Guy de Moros sah Claudine an.

      „Dann nehme ich den Saumon!“, sagte sie zu Marcel.

      „Sehr wohl, einen Saumon für die Dame.“ Damit verließ Marcel den Tisch und ging in seine Küche.

      Sein Kellner war ernsthaft erkrankt, und Marcel musste alleine für die Küche und den Service aufkommen. Sein Restaurant hatte nur wenige Tische, und so war es durchaus möglich, einmal ein oder zwei Tage alleine zu arbeiten. In der Küche lehnte er jede Unterstützung ab.

      „Wenn der Gast für meine Küche zu mir kommt, dann soll er auch bekommen, was ich zubereitet habe und nicht das, was mein Koch fabriziert hat.“ So pflegte er immer zu sagen, wenn er gefragt wurde, ob er nicht einen zweiten Koch einstellen wollte.

      Marcel Daumas war, in gewisser Hinsicht, ein Unikum. Er lebte in aller Bescheidenheit, obwohl er ein Vermögen verdienen könnte, wenn er im Sommer auf seiner Terrasse, anstelle der vier Tische, vielleicht zwanzig aufstellen würde. Der Platz war vorhanden und die Nachfrage auch. Sein Restaurant war immer ausgebucht, Sommer wie Winter. Auch hätte er ohne Schwierigkeiten einen Anbau an sein Restaurant realisieren können. Das Tischangebot wäre von acht auf dreißig zu steigern gewesen. Als er diesen Vorschlag hörte winkte er nur ab.

      „Mehr als Essen und Trinken und mit meinen Freunden Boule spielen will ich nicht, wofür soll ich dann soviel Geld verdienen? Mir reicht es, wenn ich so viel verdiene, dass ich für das Alter etwas zur Seite legen kann.“

      Die Küche war mittags von 12 bis 14 Uhr geöffnet und am Abend von 19 bis 22 Uhr. Marcel machte keine Ausnahmen. Kam ein Gast auch nur eine Minute später, dann vertröstete er ihn auf den nächsten Tag. Wer übergewichtig war kriegte auch noch zu hören, dass es ihm bestimmt nicht schaden würde, einen Tag zu fasten. Dennoch war sein Lokal immer gefüllt. Auch so Abgewiesene ließen sich davon nicht beeinflussen und kamen am nächsten Tag etwas pünktlicher. Einen Tisch zu reservieren, war schon fast ein must, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, umsonst gekommen zu sein.

      „Was machen Sie denn so den ganzen Tag in ihrem Hotel?“ Guy de Moros sah Claudine gespannt an.

      “Nun, ich lese, mache Strandspaziergänge, sehe mir die kleinen Geschäfte an, was man halt so macht, wenn man sich erholen möchte.“

      „Das könnte ich nicht, ich müsste immer etwas zu tun haben. Schreiben, Angeln, Schwimmen oder aufs Meer hinausfahren. Aber nur Geschäfte zu besuchen oder zu lesen, das wäre für mich nichts.“

      „Nun, aufs Meer hinausfahren kann ich nicht, ich besitze kein Boot. So fällt das schon einmal flach.“

      „Voilà Madame, mein Filet de Saumon, in Lambig-Dampf gegart. Dazu neue Kartoffeln in der Schale und einen gemischten Salat. Lassen Sie es sich schmecken. Und du Guy, noch einen Nachtisch, die paar Austern können einen Mann wie dich doch nicht sättigen?“

      „Marcel, du solltest wissen, dass ich bei einem Nachtisch nicht nein sagen kann. Bring mir dein Tagesdessert und gleich noch einen Espresso dazu.“

      Marcel ging wieder in seine Küche, und Guy schien die Gesellschaft von Claudine sehr zu schätzen. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass er diese