Helge Brühl

New York bis September


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schluckte die Antwort herunter, die ihr auf der Zunge lag. Das war unverfänglich genug, dachte Frank in diesem Augenblick. Er wusste, dass sie ihren Ärger zu unterdrücken versuchte. >> Ich möchte, dass du mir zuhörst, das du mich verstehst, << sagte er nach Momenten des Schweigens. >> Solche Türen öffnen sich nicht jeden Tag im Leben. Ich habe die einmalige Chance erhalten mehr aus meiner Karriere zu machen. Ist das nicht der Preis, den man bezahlen muß? <<

      Sie presste die Lippen aufeinander und lockerte sie wieder.

      >> Wow, ganz schön beeindruckend. Für meinen Geschmack klingt das alles ziemlich weit hergeholt. <<

      >> Wieso? <<

      >> Wieso? Weil in diesem Film nur du die Hauptrolle spielst und für mich der Part eines Statisten übrig bleibt. <<

      Ihre Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln, während eine Pause entstand. Verlegen schaute er auf ihre verwaschene Madrasbluse unter der gelben Lederjacke.

      >> Jetzt übertreibst du aber Anne. Scheinbar willst du mich nicht verstehen. <<

      >> Wenn du fürchtest, dass ich dir auf die Nerven gehen könnte, dann sag es. Ich dränge dir nichts auf. Wennschon. Du kannst tun und lassen was du willst. Genau wie bisher. Du würdest sowieso nicht auf mich hören. Ganz abgesehen davon, dass du deine süße Tochter hier allein zurücklässt, wie der letzte Egoist. Wie ist dir eigentlich zumute wenn du daran denkst? << fragte sie mit erregter Stimme.

      Frank runzelte die Stirn zu einem Faltenpaket. >> Es gibt Situationen im Leben, da hat man wenig Zeit über die Dinge nachzudenken, da muß man handeln. Ich bin überzeugt, dass Meg gut klarkommt und sollte es wider Erwarten nicht funktionieren, dann bin ich sofort wieder hier, in wenigstens zwölf Stunden. Das wird die wesentlichste Bedingung meiner Zusage sein. Ich weiß nicht warum du mir solche Vorwürfe machst. << Er sah an der Stellung ihrer Lippen, das auch dass sie nicht überzeugte.

      >> Wirklich umwerfend, << sagte sie. >> Absolut unglaublich. Schon gut, wenn du nicht willst, dass ich sage, was ich denke, halte ich den Mund. Aber trotzdem finde ich es falsch, was du tust. <<

      >> Anne, >> sagte er freundlich, >> natürlich will ich, dass du sagst was du denkst. Aber ich möchte auch sagen was ich denke. Einverstanden? <<

      >> Zu allem Ja und Amen sagen, meinst du? <<

      >> Das habe ich nicht gesagt. <<

      >> Ich gestehe, ich bin nicht wild begeistert, wenn ich daran denke, dass du für sieben Monate nach New York gehst. Aber ich bin kein Kind mehr, und du auch nicht. Aber bitteschön, tu doch das, was nach deiner Meinung, wichtig für dich ist. Mach deine Fehler allein. << Frank war verärgert über ihr Verhalten, aber auch nicht mehr. Er atmete kurz durch, trank einen Schluck Tee.

      >> Laß mich entscheiden, was für mich wichtig ist und was falsch, Anne, << sagte er mit einer Bestimmtheit, die seiner momentanen Gefühlslage entsprach. Er war überhaupt nicht gewillt, sich in diesem Abschnitt seines Lebens nach den Gewissensgrundsätzen von Anne zu richten.

      Ihr Blick schien sich zu verdunkeln. Als sie ihm antwortete, klang ihre Stimme merkwürdig distanziert. >> Du entscheidest dich auf jeden Fall gegen mich und vor allem gegen dein Kind, weil New York ja tausendmal besser ist als alles andere auf der Welt. Was bist du nur für ein Vater? <<

      >> Hör endlich auf in meinem Gewissen rumzurühren, als wäre der Boden mit Schlamm bedeckt, << sagte er etwas gereizt. >> So ist es doch nun wirklich nicht. Ich glaube, ich bin als Vater so, wie man heutzutage sein muß. Tolerant und loslassend ohne den Überblick zu verlieren. <<

      >> Ist ja gut, beruhige dich wieder. Laß uns nicht streiten Frank, das bringt uns keinen Schritt weiter. Ich glaube es ist besser so. Meinst du nicht auch? <<

      Frank zwang sich zu einem Lächeln und nickte. Sie tat ihm leid, er nahm sie in den Arm, zog sie fest an sich und sagte dann in tröstender Tonlage:

      >> Sieben Monate sind doch so schnell vorbei, jeden Tag können wir lange telefonieren. Ich denke, das werden wir beide schon verkraften. Denkst du nicht? << Zu spät wurde ihm klar, wie idiotisch das klang.

      >> Mir ist jetzt nicht nach Scherzen zumute, Frank. Das Telefon bringt deine Stimme, aber wo bleibt deine Nähe, deine Wärme? Ich werde mich sicher sehr einsam fühlen, << sagte sie und schaute ihn an. Ihre feinen Halsmuskeln bewegten sich kaum, als sie ihr Kinn hob.

      >> Meinst du wirklich, dass ich dich nicht auch vermissen werde? <<

      Es bereitete ihm Schwierigkeiten seine Stimme überzeugend klingen zu lassen. Ein Gefühl breitete sich aus, das die Scherben in alle Richtungen splittern sah.

      >> Nein. Wenn du mich vermissen würdest, dann würdest du nicht nach New York gehen. Deine Empfindungen für mich reichen nicht aus, sind nicht stark genug, um dich aufzuhalten.

      Stattdessen willst du dich selber finden, dich in deinem Beruf entfalten und dein Leben nach deinen Normen führen. Das ist die Wahrheit. <<

      >> Die Wahrheit? Was ist die Wahrheit? <<

      >> Wahrheit, mein lieber Frank, ist leicht zu spüren, aber schwer zuzugeben und noch schwieriger in Worte zu fassen. <<

      Anne wischte sich unsanft über die Augen, trank im Stehen ihre Tasse halbaus, dann griff sie nach ihrer Handtasche und war im selben Augenblick verschwunden. Er machte nicht mal den Versuch sie aufzuhalten. Frank stand auf und ging zum Fenster. Eine kümmerliche Mondsichel erhellte den Abendhimmel. Sie hatte einige Dinge gesagt, die ihn nachdenklich stimmten. Offensichtlich war das gerade ein besonderer Moment in ihrer Beziehung. Hatte sie doch gerade nach seinem schlechten Gewissen tief in der Magengrube gegriffen. Horst seine Meinung war da viel plausibeler, viel logischer, viel toleranter. Ein Teil von ihm wollte es nie wahrhaben, jetzt musste er es einfach wissen. Was fühlte er wirklich? Was bedeutete ihm Anne? Bekam er es heraus, wenn er tausende Kilometer von ihr entfernt war, wenn die Selbstverständlichkeit ihrer Gegenwart nicht mehr gegeben war. Frank wusste es nicht, aber es war ihm klar, dass er es bald erfahren würde. Trotzdem war ihm so, als stünde der Teil seines Gehirns, der für die Gefühle zuständig war, unter Narkose. Es hatte sich in etwas Kaltes und Hartes in seinem Inneren verwandelt, das er unter strenger Kontrolle hielt. Die Vergangenheit hatte ihm diese Gefühle reichlich gegeben, aber als sie erloschen durch Karens Tod, wollte er niemals darüber nachdenken, noch mal zu lieben oder vor allem mit Leib und Seele zu geben. Jeden Tag sah er Karen so deutlich vor sich, als wäre es gestern gewesen. Zuweilen wachte er sogar nachts auf und schrie in unendlicher Qual. Niemand kam wenn er schrie. Niemand hörte ihn. Sein Schrei war lautlos. Da in der Tiefe seines Herzens, da war noch immer Sie, da war noch immer Karen. Irgendwann, so meinte er, würde seine Seele vollständig aufgezehrt sein. Manchmal fühlte er sich hilflos und schwach. Mitten im Leben hatte Frank oft das Gefühl mit sich selber am Anfang zu stehen. Er hatte vergessen was Liebe ist, und er war sich nicht sicher ob er überhaupt noch an sie glaubte. Innerlich gefasst sprach er zu sich: Ich muß es noch einmal erleben - irgendwann. Erneuere dein Leben und das Universum gehört dir, hatte er letztens in einem Buch über griechische Mythologie gelesen. Und vielleicht hatte er jetzt die Chance bekommen, die Gelegenheit beim Schopf zu fassen.

      Es stachelte in seinen Gedanken, und er sann immer wieder, wie er dem Anerbieten nachkommen, seine Träume und Erwartungen in die Tat umsetzen konnte. Er hatte ernsthaft ein paar Tage darüber nachgedacht und entschloss sich dann es zumindest zu versuchen. Weil er motiviert war, fiel es leichter als er geglaubt hatte. Nach einer Woche hatte Frank schließlich von Palmburgs Angebot angenommen und New York nahm somit unweigerlich Gestalt an. Eine neue Aufgabe, die Herausforderung schlechthin, mit dem Hintergrund einer Stadt, die er von Anfang an liebte, die ihn faszinierte. Ein Mythos, eine Metropole, die niemals schlief. In die Höhe musste diese Stadt wachsen, weil an den Seiten kein Platz mehr war, bis an die Grenzen der Statik. New York ist sicher nicht Amerika, aber dort schlägt das Herz dieses großen Landes. New York ist eben einfach New York und mit nichts zu vergleichen. In seinen Gedanken sah er