Helge Brühl

New York bis September


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dieses Lachen und ihr Gesicht durchlief eine seltsame Veränderung. Sie war plötzlich fort, entrückt, ihre Augen waren leer und der Blick, den sie ihm zuwarf, war ohne Empfindung. Mit quälender Deutlichkeit lief die letzte Szene zwischen ihm und Anne ab. Ihre letzte Antwort war ein unterdrücktes Schluchzen. Das Handy hatte geklingelt und dann war sie gegangen. Er schaute ihr nach, sie drehte sich nicht mehr um und verschwand um die nächste Ecke. Meg hatte sich schon am frühen Morgen, bevor sie zur Schule ging, von ihm verabschiedet. Sie blieb cool und machte den Abschied nicht schwerer als er war. Trotzdem, so dachte er in diesem Moment, war Abzureisen weit schwieriger, als er es angenommen hatte.

      Frustriert blickte Frank gedanklich auf die letzten drei Jahre seines Lebens zurück und sah darin keinerlei Entwicklung, sondern einfach nur eine Aneinanderreihung von mehr oder weniger enttäuschenden Geschehnissen. Es war eine Zeit gewesen, in der er einen seltsamen Frieden in sich verspürt hatte, wie ein Kranker, der sich langsam von einem langen Leiden erholt und weiß, dass man ihm keine große Anstrengung abverlangen kann. Es war schwer, den Gedanken auszuweichen, das all diese verschiedenen Arten, sein Leben zu betrachten, allem Anschein nach unsinnig waren, oder auch nicht. Er lehnte sich an die Scheibe, schloss die Augen und dämmerte in einen Halbschlaf hinüber.

      Die Maschine flog ruhig und als er munter wurde, schaute er auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten. Horst suchte mit Sicherheit schon einen Parkplatz. Etwas später, als das Flugzeug zur Landung ansetzte, hatte er das Gesicht ans Fenster gepresst und gierig den Anblick der Skyline aufgesogen. Deutlich ragten die gewaltigen Türme des World Trade Centers hervor. Erst da wurde ihm klar, wie sehr er diese Stadt vermisst hatte. Wie sehnsüchtig hatte er sich gewünscht, endlich wieder hier zu sein.

      Vor den US-Immigrationschaltern reihten sich die Menschen zu langen Schlangen. Nach zwanzig Minuten endete für Frank das Warten. Ein übergewichtiger, schwarzer Typ in Uniform, fixierte ihn unfreundlich, gar abweisend, so dass Frank den Eindruck hatte, Ähnlichkeit mit einem Fahndungsfoto zu besitzen. Dann fragte er mürrisch nach seinem Aufenthaltsgrund: >> Privat oder geschäftlich? <<

      Das erste Mal beantwortete Frank die Frage mit einem klaren >> Geschäftlich. <<

      Der dicke Schwarze mußterte ihn nochmals penetrant sorgfältig, schien jede Einzelheit in seinem Gesicht wahrzunehmen, als würde er mit seinen Augen jedes Fältchen, jeden Leberfleck direkt in die Verbrecherkartei des FBI scannen. Dann drückte er endlich seinen Stempel in den Reisepass. >> Welcome to America, << sagte er, und blickte lächelnd auf. Frank dankte und ging weiter. Er war in New York angekommen, aber die wirkliche Herausforderung stand ihm noch bevor.

      Horst und Nancy warteten schon eine geraume Weile fröstelnd vor dem Flughafen.

      >> Willkommen in Amerika, mein lieber Freund, << sagte Horst als er ihn mit strahlender Miene in die Arme nahm.

      Nancy gab ihm einen Kuß auf die Wange. >> Schön dass du da bist, wir freuen uns sehr. Du warst so lange nicht da. << Frank nahm ihre Hand und drückte sie.

      >> Lass dich anschauen. Mal sehen ob du dich verändert hast, << sagte Horst und Frank trat einen halben Schritt zurück, damit er ihn prüfend betrachten konnte.

      >> Gefällt dir was du siehst? << fragte Frank lächelnd.

      >> So einigermaßen, << antwortete Horst im Scherz.

      Das Wetter war winterlich und bitterkalt. Ein eisiger Wind wehte vom Atlantik herüber. Sein langer, schwarzer Lodenmantel tat ihm gut. Er schlug den Kragen hoch und schlang seinen Schal fest um den Hals. Sein Gepäck, bestehend aus drei großen Hartschalenkoffern und einer Reisetasche, wurde in den Jeep gestapelt und schon ging es los zur kleinen Ranch von Horst und Nancy. Frank kannte beide schon über zehn Jahre und viele Stunden hatten sie schon gemeinsam verbracht. Es waren wunderbare Menschen, liebevoll und herzensgut. Auf der Interstate spürte er endlich wieder das Feeling, welches einen Teil von Amerika ausmachte. Breite Highways, die gewaltigen Trucks und immer mal ein alter Cadillac. Während der Fahrt tauschten sie ein paar Belanglosigkeiten aus, lachten viel und redeten hauptsächlich über alte Zeiten. Überall lag Schnee und wie Horst sagte, war der schon fast eine Woche alt, aber er sah noch makellos weiß aus. Fünfzig Meilen durch New Jersey und dann konnten sie zünftig ihr Wiedersehen feiern. Und wie er von Nancy erfuhr, hatten sie vor einer Woche ein Rind geschlachtet und dies ließ einmalige Steaks vom Grill erwarten. Dazu Folienkartoffel und die berühmte Sauercreme. Bei diesem Gedanken lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Im Radio spielte Country-Musik und der Wetterbericht sagte Schneeschauer für den Abend voraus. Die weiteren Meldungen waren eher belanglos, der Verkehrsbericht sehr umfangreich, vermeldete er doch für ihre Route weder Staus noch Hindernisse. Er hatte schon einen langen Tag hinter sich, doch vor ihm erstreckte sich endlos das Wochenende. Erst am Montag würde er dann den Ernst spüren, wenn er in Manhattan seinen Job antrat. Schon auf dem Weg nach New York hatten ihn Ängste beschlichen. Während der ganzen langen Flugreise hatte er sich gefragt, ob er es schaffen würde, diese Herausforderung zu bestehen, die er sich selbst aufgebürdet hatte. Ihm wurde wieder bewusst, dass für ihn selbst ein hoher Einsatz auf dem Spiel stand. Tausend Fragen schwirrten durch seinen Kopf, tausend Fragen die eine Antwort verlangten. Oft ist man im Leben gezwungen zu begreifen, dachte er, dass es keine leichten Antworten gibt. Auch wenn man das je geglaubt hätte.

      Der Montag kam schneller als er dachte. Am Morgen machte sich der Wecker mit penetranten Intervalltönen bemerkbar. Frank hasste dieses Geräusch. Als ob jemand, mit aller Kraft, einen Presslufthammer gegen den Kopf drückte. Sein Schlaf war unruhig, das Bett einfach zu weich, das Kreuz tat weh und seine Wangen fühlten sich heiß an, als käme er gerade von einer Joggingtour. Etwas hatte er geträumt, aber er wusste nicht mehr genau was.

      Hotel Wales, in der Madison Avenue, war jetzt sein zu Hause für die nächsten sieben Monate. Horst hatte ihn gestern Abend hergefahren und Frank war angetan von dem gediegenen Luxus, den das Hotel ausstrahlte. Überall Marmor, glänzender Chrom und edle Hölzer. Die breiten Teppichläufer waren so dick, das die Schuhe fast haften blieben. Sein Zimmer war komfortabel, das große Doppelbett gab ausreichend Platz. Vielleicht gewöhnte er sich noch an den Härtegrad der Matratze. Ein flauschiger, weißer Bademantel und die passenden molligen Slipper lagen im Bad für ihn bereit. Er duschte lange und dachte unentwegt an den heutigen Tag. Was würde ihn heute erwarten? Das Handtuch um die Hüfte gewickelt, suchte er mit filigraner Sorgfalt den passenden Anzug aus. Zum weißen Hemd, wählte er an diesem Morgen eine türkisfarbene Krawatte. Er konnte noch frühstücken, hatte aber keinen Appetit. Vielleicht noch eine Tasse Kaffee oder Tee? Nein, jetzt nicht mehr. Die Nerven spannten sich zu Drahtseilen. Aufregung, die den Körper durchzog und fest im Bann hielt, war schon ein merkwürdiges Gefühl. Künstler bezeichnen dies als Lampenfieber. Das konnte er jetzt nachvollziehen. Ein letzter Blick in den Spiegel sagte ihm, dass alles in bester Ordnung war. Er lächelte verlegen. Das Klingeln des Telefons schrillte plötzlich in Franks Ohr und verpasste ihm den erhofften Adrenalinstoß. Der Portier teilte ihm mit, dass das Taxi für ihn bereit stand. Noch mal tief durchatmen und los. Irgendwie war die Realität etwas unwirklich, das Gefühl im Magen war unangenehm.

      Wenig später setzte ihn das Taxi an einem Hochhaus in Lower Manhattan ab.

      Betont langsam, aber zielsicher mit geradlinigem Gang, begab er sich zum Fahrstuhl und ließ sich in die zwanzigste Etage fahren. Das Adrenalin in seinen Adern ließ sein Herz höher schlagen und sein Atem ging stoßweise. Hier hatte seine Bank eine beeindruckende Niederlassung, genau da, wo die Welt des Kapitals, dichtgedrängt, verteilt in Wolkenkratzern und Bürotürmen aus Stahl und Glas agierte, unweit der Wall Street und dem World Trade Center. Allein das Empfangsportal strahlte Macht und Einfluß aus. Mehrere junge Damen saßen dort und schienen sich weiß Gott nicht zu langweilen. Pausenlos läuteten die Telefone, surrten die Faxgeräte oder wurde Kurierpost in die Ablagen verteilt.

      Frank ging zum Tresen und wurde von einer lächelnden, jungen Frau mit Latinacharme freundlich begrüßt. >> Guten Morgen. Mein Name ist Elena Cortez. Womit kann ich ihnen weiterhelfen, Sir? <<

      Diese Begrüßung hätte die Werbung nicht schöner inszenieren können, dachte Frank. Ihr Lächeln mit den schlohweißen Zähnen erinnerte ihn an ein Werbeplakat von Colgate.

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