Helge Brühl

New York bis September


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aus dem Hupen der Autos, dem Rattern der U-Bahnzüge, dem Zischen der Bustüren und dem Wimmern der Polizeisirenen, drang schon in seine Ohren. Vor seinen Augen wimmelte es im Central Park von Joggern, Rollschuhläufern, Spaziergängern und Eltern mit Kinderwagen Er würde bald ein kleiner Teil dieser Stadt sein, ein Zahnrädchen, das einfach in diesem Molloch mitmischte und an irgendeiner Ecke, einen Hot Dog verspeiste. Mit hochgeschlagenem Kragen würde er durch die City schlendern, vielleicht irgendwann eine Musicalkarte erwerben oder am Wochenende am East River spazieren gehen. Frank Bender wird ein New Yorker, ein Sandkorn unter Millionen, wenn auch nur für sieben Monate.

      Zwei Wochen später waren die Koffer gepackt, Pass, Ticket bereitgelegt und Frank wartete auf den nächsten Tag. Er saß allein in der Küche, hatte ein Bier geöffnet und rauchte eine Zigarette. Ab und zu schaute er zur Uhr an der Wand und sah zu, wie sie langsam die Minuten abzählte. Draußen trommelte der Regen leise gegen das Fenster. Er war aufgeregt und etwas unruhig, aber trotzdem vom Willen gepackt, diese Aufgabe anzugehen, diesen Schritt als wichtige und wahrscheinlich notwendige Veränderung für sein Leben zu betrachten. Und genau das brauchte er jetzt. Karens Tod hatte ihn hart getroffen und verändert, hatte ihn unzugänglich gemacht, manchmal verschlossen wie eine Auster. Noch immer tauchten in seiner Vorstellung zu viele Bilder auf, als dass er sich klar war, welche Gefühle ihn eigentlich heute bewegten. Über die Jahre hatte er gelernt, seine Trauer zu verstecken, doch die Seelenqualen hatten nie aufgehört. Die Zeit hatte zwar langsam den Schmerz gedämpft, doch manchmal kam er mit solcher Wucht zurück, dass Frank seine ganze Kraft benötigte um nicht im Strudel der Depressionen zu ertrinken. Glücklich war er nicht darüber, aber er wusste, dass ständiges Wühlen in der Vergangenheit letztlich lähmend und unproduktiv war. Frank war sich sicher, die Vergangenheit durfte nicht länger die Gegenwart bestimmen und die Zukunft trüben. Nach den letzten drei Jahren hatte er das Bedürfnis, dieser Sache endlich auf den Grund zu gehen. Und eins war ihm vollends bewusst, dass es wichtig war, dass der Mensch eine Herausforderung hatte, und er gestand sich ein, dass es für ihn persönlich nie wichtiger war als jetzt.

      Frank beobachtete seine Zigarette, als wolle er aus der Art, wie sich der Rauch kräuselte, die Zukunft lesen. Dann zerdrückte er sie im Aschenbecher. Die Kippe entsandte immer noch einen dünnen Rauchfaden, und sein Magen fing etwas zu schmerzen an.

      Besonders viel Zeit hatte er sich in den letzten Tagen für seine Tochter genommen. Beide gingen ins Kino, aßen Pizza oder schauten stundenlang Videos. Meg schien mit jedem Tag erwachsener zu werden. Unbekümmert sah sie alles wie ein großes Abenteuer, obwohl beide noch nie so lange getrennt waren. Das war die Leichtigkeit eines Teenagers, abends einzuschlafen mit dem Vertrauen, ausgeruht und hellwach, den neuen Tag zu erobern. Herrlich.

      Trotzdem weckten seine Gedanken an Meg, eine Besorgnis, die in seinem Unterbewusstsein immer gegenwärtig war. Ihm war immer noch unbehaglich zumute, so schien es. Er hatte das Gefühl, als würde er das Mädchen im Stich lassen.

      >> Ich mute dir wirklich ganz schön was zu, stimmt`s? <<

      >> Daddy, wie oft wollen wir noch über dieses Thema diskutieren? Mach dir keine Sorgen, es wird schon gehen. <<

      >> Ich hoffe, dass du mit allem klarkommst mein Schatz und das mir keine Klagen kommen, << sagte er mit einem Augenzwinkern.

      Mit betont kindlicher Mimik antwortete sie:

      >> Ich verspreche, ich werde ein braves Mädchen sein, <<

      >> Mein Schatz, du bist jetzt für dich selbst verantwortlich, nur du. Vergiß das nicht. <<

      >> Das hab ich schon begriffen, außerdem ist Anne ja auch noch da. <<

      >> Und wenn du dir ein paar Freunde einlädst, so habe ich nichts dagegen. Ich war ja schließlich auch mal jung, weiß wie das ist. Hauptsache es artet nicht in einer wilden Party aus, die die Nachbarn oder die Polizei auf den Plan ruft. <<

      Meg`s Gesichtsausdruck war einen Moment verständnislos, dann krauste sie die Stirn, bevor sie energisch antwortete: >> Dad! Wie schätzt du mich denn ein? Ich weiß doch genau, welche Regeln in unserem Hause gelten. Mach dir einfach nicht so viele Sorgen. Auf mich ist Verlass und das weißt du auch. << Frank dachte bei sich: Sie ist wirklich furchtbar tapfer, denn sie machte einen ziemlich entschlossenen Eindruck. >> Schon gut, Kleines, << sagte er mit lächelnder Miene. >> Ich kenne dich und ich vertraue dir. << Er war sicher, dass er sich auf sie verlassen konnte. Er sah auch keinen Grund, warum sie das nicht tun sollte. Und das machte die Sache erheblich leichter.

      Frank lag auf seiner Couch und atmete noch mal ganz tief durch. Aus der Küche hörte er entfernt, das Klappern von Geschirr. Anne musste wohl grad die Spülmaschine leeren. Als sie fertig war, hörte er sie rufen: >> Ich geh mal eben ins Bad, das kann dauern. <<

      Er hörte wie sie die Dusche aufdrehte, dann starrte er in die schwache Glut des Kamins, die in den letzten Zügen lag. Eine halbe Stunde lag er noch wach, hörte das Ticken der Uhr auf dem Kamin und die Regentropfen die ans Fenster prasselten. Schließlich fielen ihm die Augen zu, er fiel in einen Schlaf aus dem er immer wieder kurz aufwachte, einschlief und wieder aufwachte. Anne weckte ihn kurz vor Mitternacht, er folgte ihr wortlos ins Schlafzimmer.

      Sofort schlief er wieder ein, diesmal tief und traumlos. Seine letzten Gedanken eilten dem morgigen Flug weit vor raus. New York, ich komme!

      2.Kapitel

      Fasten seat belts, bitte anschnallen, las er am nächsten Tag, dem neunten Februar, auf der kleinen Anzeige über ihm. Er saß am Fenster der Economy Class einer Boeing 747. Sein Gepäck hatte zweifelsohne Übergewicht und die Nachlöse war ganz schön happig. Doch schließlich machte er keine Urlaubsreise, sondern richtete sich für sieben Monate auf die Weltmetropole New York ein. Sein Nachbar zur Linken, ein aufgeschwemmter, verlebt aussehender Mann, wischte sich den Schweiß von der Stirn und Frank hatte Mühe seine linke Hand auf der Armstütze zu platzieren. Seine Atmung hatte etwas kratziges, das in Frank den Wunsch erzeugte sich zu räuspern. Außerdem roch er wie ein Bauarbeiter, der es noch nicht unter die Dusche geschafft hatte. Ganz außen saß ein junger Managertyp mit Nickelbrille, der unverdrossen auf die Tastatur seines Laptops einhämmerte und den nichts zu stören schien.

      Das kann ja was werden, dachte er. Es ärgerte ihn, aber sein Geist sagte, dass es ihm letzten Endes gleichgültig war. Seine Gedanken und Vorstellungen waren weit voraus und hatten mit diesem Flug nichts mehr zu tun. Die schwindelerregenden Wolkenkratzer in New York warteten auf der anderen Seite des Ozeans schon auf ihn. Jedenfalls redete er sich das ein. Die Maschine bewegte sich langsam auf die Startbahn zu. Frank lehnte sich zurück und spürte die Vibrationen, die gewaltige Kraft der Triebwerke. Als ob sie noch mal tief durchatmen müssten, um dann mit Volldampf in die Lüfte zu schießen. Als das Flugzeug abhob, war Frank plötzlich von ungeheurer Erregung erfüllt. Er flog in eine völlig unbekannte Zukunft, aber mit dem Gefühl auf dem richtigen Weg zu ein.

      Er nahm sich die neueste „Financial Times“ und fing an zu lesen. Als er merkte, dass er nicht fähig war sich zu konzentrieren, faltete er die Seiten wieder zusammen. Ab und an sah er gedankenversunken auf die dicken Wolkenkissen, die am Fenster vorbeischwammen.

      Anne hatte ihn Mittag auf den Flughafen gefahren und bis zum Check In begleitet. Sie war traurig, aber gefasst. Eine Weile hatte er sie angeschaut und überlegte, wie schon so oft, was er für diese Frau empfand. Er merkte, dass sie den Tränen nahe war, und berührte mitfühlend ihren Arm. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und getröstet, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Er begnügte sich damit, ihr schnell und diskret die Hand zu drücken. Ihre Stimme war ganz leise, als sie sagte:

      >> Alles Gute Frank und bleib gesund. << Man hörte an ihrer Stimme, wie ihr zumute war.

      >> Pass auf dich auf Kleines, und nimm es nicht so schwer! << sagte er ohne nachzudenken. Lächelnd berührte er noch einmal ihre Hand und murmelte: >> Bis später. <<

      >> Richtig, << erwiderte sie, >> bis später. << Ihre Augen musterten sein Gesicht, scheinbar auf der Suche nach Verständnis.