Helge Brühl

New York bis September


Скачать книгу

sprach ruhig und gedämpft, in schnellem Englisch.

      Ein klares >> Geht in Ordnung <<, kam ihrerseits zurück.

      Na also, läuft doch, dachte er.

      Frank stellte die Kaffeetasse hin und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Langsam legte sich seine Aufregung. Jetzt war er angekommen in der Stadt, die Frank Sinatra besungen hatte, in der Mark Twain und Edgar Allen Poe gelebt hatten, wo Thomas Edison der Welt das elektrische Licht schenkte und die Schauplatz so vieler Romane und Filme war.

      Im Internet klickte er auf seine E-Mail Seite, um Meg und Anne ein paar Zeilen zu senden. Am Wochenende hatte er mit beiden telefoniert. Anne klang noch immer enttäuscht. Klar, unausgesprochene Worte lagen weiter in der Luft. Das nagende Schuldgefühl, das er die letzten Tage zu ignorieren versucht hatte, wuchs zu etwas Umfassenderem, das er aber nicht näher benennen konnte. So oder so, früher oder später musste er ihr es sagen. Je früher desto besser. Irgendwann hatte er mal gelesen, dass Männer ihre Gefühle abspalten und sie dem Verstand unterordnen. Bei ihm schien das leider nicht zuzutreffen. Frank hatte diese Herausforderung gewollt um neue Wege zu gehen, neue Ziele zu erreichen, deshalb war er hier. Und die Hauptsache war, dass er seiner schmerzenden Vergangenheit entfliehen wollte.

      Langsam, zögerlich begann er die Ordner und Akten durchzuforsten, die aufgestapelt, um seinen Schreibtisch verteilt, lagen. Baufinanzierungen, hauptsächlich im Millionenbereich, Planungen, Baugenehmigungen, bestehende Mietverträge, sowie Kalkulationen waren sein Tagesgeschäft, welches er grundlegend zu prüfen oder zu genehmigen hatte. Ab morgen war sein Terminkalender bereits gefüllt mit ersten Kundengesprächen und Kreditverhandlungen. Das winterliche Wetter tröstete ihn, denn er hatte kein Faible, im Zug des Atlantikwindes, durch die Straßen Manhattans zu bummeln. Der Winter beherrschte New York erbarmungslos, eine neuerliche Kaltfront aus Kanada war vorgedrungen, verhieß Schnee mit klirrender Kälte, vielleicht sogar einen Blizzard.

      Nach dem ersten Meeting, stellte er zu seiner Überraschung fest, dass die Atmosphäre in seiner Abteilung sehr angenehm war. Die Leute, die sich zur Besprechung versammelt hatten, waren wieder an ihre Arbeit zurückgekehrt, nachdem Frank sich einen ersten Eindruck verschafft hatte. Sie waren nett, recht locker und schienen ihn auf eine freundliche Art zu akzeptieren. Am späten Nachmittag holte ihn ein Mitarbeiter ab, um ihm seinen Dienstwagen zu übergeben. In der Tiefgarage des Büroturms stand ein schwarzer Mercedes, die Karosserie war hochglanzpoliert und der Stern blinkte ihm vertraut entgegen. Spontan fiel ihm ein alter Werbeslogan des Herstellers ein, “Willkommen zu Hause“. Frank lächelte.

      Dieser erste Tag war anstrengend, erst recht ungewohnt. Viele neue Eindrücke, fremde Gesichter, die Umstellung auf die englische Sprache. Gegen sieben fuhr er völlig erschöpft ins Hotel, aß im Restaurant ein T- Bone Steak und war froh, als er endlich in seinem Zimmer war. Dann lag er noch eine Weile auf dem Bett und sah bei heruntergedrehtem Ton fern. Minuten später schlief er sofort ein.

      Im Verlauf der ersten vier Wochen hatte sich Frank mehr oder minder in seinen neuen Lebenskreis eingelebt, besser gesagt, er hatte sich daran gewöhnt, hatte seinen Alltag gefunden. Selbst die Frau vom Kiosk an der Ecke, grüßte ihn schon, wenn er seine Zeitung bei ihr kaufte. Vor Sieben kam er nie aus dem Büro. Ein Turm aus Ordnern und Papier lag auf seinem Schreibtisch, der täglich, wie ihm schien, immer mehr Zeit in Anspruch nahm. Keine freie Minute! Von der Stadt hatte er noch nicht viel gesehen, er machte keinen Sport, hatte selten Lust auf einen Drink in irgendeiner Bar. Liza Burke hatte ihm zwar ein Fitnessstudio an den Chelsea Piers empfohlen, aber seine Motivation lag bei Null. Ein Tag verging wie der andere. Im übergeordneten Sinne war natürlich kein Tag wirklich wie der andere, aber es kam ihm so vor. In ruhigen Momenten erfasste ihn oft eine schleichende Melancholie. Durch die ständige Einsamkeit schleppte sich die Zeit fast endlos dahin und Frank spürte meistens in den späten Abendstunden, wenn er allein in seinem Hotelzimmer lag, dass die Depression sich wie eine düstere Wolke auf ihn senkte. Er sehnte sich nach Hause.

      Abgesehen von zwei Wochenenden bei Horst und Nancy, blieb er für sich, saß viele Stunden in seinem Hotelzimmer am Schreibtisch, unternahm einsame Spaziergänge am Meer und um den Hafen herum und aß allein in verschiedenen Restaurants. Nach diesen vier Wochen hatte sich der Aktenberg erheblich gelichtet, ein erfreulicher Sachverhalt, den er explizit auf seinen Fleiß zurückführte. Endlich war er mit allen Vorgängen vertraut, stand mitten im Geschäft. Liza Burke war eine große Hilfe, litt ganz sicher unter den vielen Überstunden. Es schien, dass sie jeden Umstand tolerierte, kein Murren, keine Ausreden, eine perfekte Sekretärin, deren Hilfe in den ersten Wochen unersetzlich war. Aber nicht nur das. Sie machte ihm täglich, mit jedem Gang, mit jeder Geste klar, dass sie eine sehr attraktive Frau war. Ihre Mimik unterlag einem ständigen Wechselspiel zwischen bravem Schulmädchen und einem Model von Karl Lagerfeld. Ihre Lippen waren voll und breit, wobei der leuchtend rosa Lippenstift die üppigen Ausmaße noch unterstrich. Es war ein Mund, der jegliche männliche Phantasie ins Kreiseln brachte. Na ja, wenn er ehrlich war, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ihn schon irgendwie erregte. Er mochte Frauen, denn in seinen Augen waren sie die wunderbarste, genialste Idee der Schöpfung, die das Leben und die Liebe zur unvergesslichen Reise durch die Sinnlichkeit machten.

      Durch die Fenster drangen die ersten warmen Sonnenstrahlen. Es zeichnete sich ab, dass der Winter verschwand und der Frühling mit dem ihm zustehenden Anspruch Einzug hielt. Es war der jahreszeitliche Moment, wo der Frühling noch ungeschützt, beinahe behutsam in verfrühter Form hervorschaut; unausgeprägt noch, unfertig, aber zu geladen mit treibender Kraft, um noch länger zu warten. Frank lehnte sich in seinem Sessel zurück und streckte seine Glieder. Vom vielen Sitzen war er ganz steif geworden. Sein Magen knurrte verdächtig, meldete verhalten Hunger an, und er hatte innerlich schon beschlossen, die Mittagspause in der Stadt zu verbringen.

      >> Liza, ich geh was essen, << rief er ihr zu, >> und bin in zirka zwei Stunden zurück. <<

      >> Bei dem Wetter kann ich das verstehen, << scherzte sie. >> Viel Spass und guten Appetit.<<. In ihrem kurzen Rock und den hohen Pumps gab sie ein reizvolles Bild ab. Er lachte ihr zu.

      Frank zog sich seinen hellen Trenchcoat über und verließ gutgelaunt das Hochhaus. Das hatte seinen guten Grund, denn die Temperaturen waren milder, die Sonne setzte sich schon kraftvoll gegen die dunklen Wolken durch. Erste Boten des Frühlings von New York schwirrten durch die Luft an diesem vierzehnten März. Er winkte sich ein Taxi, wollte jetzt zum Time Square. Ein bisschen auf dem Broadway schlendern, hier und dort mal in die Auslagen der Schaufenster schauen, irgendwo eine Kleinigkeit essen, das war es, was er jetzt wollte.

      >> Ist das ein Wetterchen, << sagte der Taxifahrer als Frank in den Yellowcab einstieg.

      >> Oh ja, da kommt richtig Freude auf, << entgegnete Frank lächelnd, >> und lange mussten wir drauf warten. << Kurze Zeit später hielt der Wagen am Time Square. Frank stieg aus dem Taxi und drückte dem Fahrer Geld in die Hand. Ein Auto hupte, als er versuchte die Straße zu überqueren. Franks erste Blicke wandelten auf das Timesbuilding mit der großen „Coca-Cola Werbung“. Bunte Leuchtreklamen, Textbänder mit den aktuellen News, Fastfoodlokale, ein Hauch von Disney prägten das Bild. Tausende von Menschen drängten sich über den Platz, Fotoapperate klickten, Videokameras erfassten jedes Motiv und fingen es ein. Jugendliche standen dicht gedrängt, hielten selbstgemalte Plakate, deren Inhalt er nicht lesen konnte. Gebannt und kreischend schauten sie auf das MTV-Studio um einen Blick durch die Glasscheiben zu erhaschen. Irgendein Idol, vielleicht Superstars wie Puff Daddy, Britney Spears oder Madonna, waren sicher gerade dort zu Gast. Frank schaute vergnügt auf das bunte Treiben der Menschen. Und allen schienen die Sonnenstrahlen, die fühlbare Wärme des aufbrechenden Frühlings, Leben und Fröhlichkeit einzuhauchen. Nur ein leichter Wind vom Atlantik brachte noch etwas Kühle. Er schlug den Kragen hoch, vergrub seine Hände in den Manteltaschen. Gemütlich schlenderte er über den Broadway und fühlte sich einfach sauwohl.

      Geradewegs steuerte er zielsicher auf einen Coffeeshop von Star-Bucks zu, den es in dieser Form wohl in ganz Amerika gab. So machten sie es hier alle, einen Becher Kaffee auf die Hand, oder einen Eiskaffee aus dem Kühlfach, dazu einen Donut oder einen Bagel mit Cream Cheese, schon ging es weiter. In New York herrschte Hektik. Man wurde mitgerissen von dieser Hektik