Smila Spielmann

Die lichten Reiche


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zu einem Zopf geflochten und um den Kopf gewickelt, doch was andere Frauen streng wirken ließ, betonte nur ihren schlanken Hals und ihre feinen Züge. Thorben gab sich einen Ruck und setzte eine gleichgültige Miene auf. Sie hatte ihn schon zweimal zurückgewiesen und sein Stolz war immer noch gekränkt. Doch wenn er sein Ziel erreichen wollte – Kornthal und Waldstadt zu einen – dann durfte er nicht zulassen, dass Lady Crystal einen anderen erhörte. „Wir haben eben von Euch gesprochen, Lady Joy“, wandte er sich an das kleine Mädchen. „Dein Papa hat mir erzählt, dass du die Schöpfungsgeschichte gelernt hast.“ Joy nickte erfreut; die Aufmerksamkeit gefiel ihr sichtlich. Thorben musterte die Kleine. Sie würde einmal eine große Schönheit werden, hatte sie doch die zarten Gesichtszüge derer von Trenmain geerbt, während ihr Haar ebenso schwarz war wie das ihrer Mutter. Ihrem Alter entsprechend trug sie ihr Haar offen, so dass es ihr über die zarten Schultern bis auf die Hüften fiel. Thorben lächelte, als er merkte, dass sie die Hand ihrer Tante noch immer nicht losgelassen hatte. Es war nur zu offensichtlich, dass das Mädchen Crystal bewunderte. Unwillkürlich strich seine rechte Hand über den sauber gestutzten Bart. Crystal würde eine hervorragende Mutter werden, daran konnte kein Zweifel bestehen. Er kannte sie schließlich schon ihr ganzes Leben lang und daher wusste er, dass es nur eines gab, das sie mit ebensolcher Innigkeit liebte wie ihre Musik – Kinder. Thorben hob seinen Blick zu ihr empor und lächelte sie an. „Welch’ Freude Euch wiederzusehen, Lady Crystal.“

      „Es freut mich ebenfalls, dass Ihr uns so kurz nach Eurem letzten Besuch schon wieder mit Eurer Anwesenheit beehrt“, antwortete Crystal mit einem liebenswürdigen Lächeln. Die Ironie in ihren Worten war niemandem in der Halle entgangen. Rhys hob tadelnd eine Augenbraue, doch Thorbens Lächeln vertiefte sich noch eine Spur. Er kannte Crystals scharfe Zunge. „Ich hatte geschäftliche Dinge mit Eurem Bruder zu besprechen“, erklärte er. „Und außerdem hat mich der Klang Eurer Harfe hergelockt. Wärt Ihr so freundlich etwas für uns zu spielen?“

      „Oh ja, bitte Tante Crys!“, rief Joy begeistert aus. Sie hatte ihre Hand bereits aus der ihrer Tante gelöst und lief mit wirbelnden Röcken auf die Harfe zu, die am anderen Ende der Halle nur darauf zu warten schien, dass Crystals Finger sie zum Leben erweckten.

      „Meister Martim war erst vor kurzem zu Besuch“, schaltete sich Rhys ein; sein Ärger über die unfreundliche Bemerkung seine Schwester schien vergessen. „Er hat gemeint, dass Crys von all seinen Schülerinnen die Talentierteste wäre.“ Thorben sah wie sich ein Lächeln auf Crystals volle Lippen stahl und dass ihre Augen anfingen zu strahlen, als sie die Harfe aufnahm und ihre Finger schließlich die Saiten berührten. In der Halle wurde es still, obwohl immer mehr Menschen hereindrängten. Die Köchin und ihre Gehilfinnen wurden rasch herbeigewunken und auch die Mägde und Knechte wurden gerufen. Es gab auf der Burg keine Arbeit, die so wichtig gewesen wäre, als dass man darüber Crystals Spiel versäumen wollte.

      Der erste Ton der Harfe fiel in die Stille wie ein Stein, der auf einen ruhigen See fällt. Selbst der kleinste Stein zieht im Wasser seine Kreise, doch um seine Wirkung voll entfalten zu können, muss man ihm Zeit geben. Diese Lektion war eine der Ersten, die Crystal von Meister Martim gelernt hatte. Die Bilder aus der Zeit der Lieder waren einfach, doch von einer tiefen Sehnsucht und einem stillen Schmerz erfüllt. Crystals klare Stimme erhob sich über die Melodie, die die Harfe spann und entführte ihre Zuhörer in eine Zeit, in der das Leben einfach und bescheiden gewesen war; eine Zeit, in der das einfache Glück – die Felder zu bebauen, Tiere zu züchten oder Korn zu mahlen – genügt hatte. Eine Zeit, in der die Mittellande noch nicht in Baronien aufgeteilt waren, in der es keine Städte gegeben hatte und jeder Mensch dem Anderen ebenbürtig war. Eine Zeit, in der man die Bedeutung des Wortes Dieb nicht gekannt hatte, da die Menschen ohnehin teilten, was sie hatten.

      Crystal hatte ihre Augen geschlossen. Ihre Stimme wurde eindringlicher als sie von ihrem Schmerz sang – dem Schmerz darüber, dass diese Zeit verloren war. Thorben sah sich um. In Lady Lucias Augen schwammen Tränen und die Köchin wischte sich mit einem Zipfel ihrer Schürze über die Wangen. Die Botschaft des Liedes wurde offenbar gehört. Auch er konnte fühlen wie sein Herz schwer wurde und die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die er nicht erlebt hatte, Wurzeln schlug. Crystals Gesang näherte sich seinem Ende. Ihre Stimme wurde ernster, menschlicher, als sie daran erinnerte, dass diese Zeit noch nicht lange her war und dass sie zurückgewinnen mussten, was ihre Vorväter verloren hatten. Schließlich erstarb ihre Stimme und nur der Klang der Harfe blieb wie ein Leitfaden, der den Weg zurück in die Wirklichkeit wies. Schlanke Finger dämpften dann auch diesen Klang und Crystal hob den Kopf zu ihrem Publikum. Sie blinzelte leicht, als wäre sie eben aus einem Traum erwacht. Thorben fühlte wie sein Herz einen Satz machte. Sie konnte wahrhaftig die Menschen verzaubern!

      Die Lehre des Liedsangs war eine strenge Wissenschaft und die Form der Lieder immer die Gleiche – Bild, Klage, Mahnung. Doch er kannte niemand, der es so meisterhaft verstand die Vergangenheit lebendig werden zu lassen wie Crystal. Das Bild war das Kernstück jedes Liedes. Es gab unzählige Bilder – Texte und Melodien, die aus der Zeit der Lieder stammten; sie wurden von den Barden gesammelt und gelehrt. Klage und Mahnung wurden von dem jeweils Vortragenden selbst ersonnen.

      Thorben beobachtete wie Crystals weiße Finger zum Abschied zart über die Saiten der Harfe strichen. Er würde bekommen, was er wollte. War das nicht immer schon so gewesen?

      Crystal hatte sich leise zurückgezogen. Sie wusste, dass man ihr nun eine Weile Ruhe gönnen würde und so war sie auf einen der Balkone geflüchtet, um die Aussicht auf das Land zu genießen. Die Felder rund um die Burg standen in sattem Gold und wogten, so weit das Auge reichte, in der Abendsonne. Crystal atmete die kühle Luft in gierigen Zügen ein und wartete darauf, dass sich das gewohnte Gefühl der Niedergeschlagenheit legte, das sie jedes Mal erfasste, wenn sie eines der Lieder spielte, um derentwillen die Liedmeister so hoch geachtet waren. Die steinerne Brüstung unter ihren Fingern fühlte sich glatt und fest an, als Crystal gedankenverloren darüber strich. Hier war sie zu Hause und auch wenn die Burg nicht mehr war als ein Haufen Steine – ihr bedeutete sie alles. Crystal war hier aufgewachsen und die Steine waren voller Erinnerungen. Auf diesem Balkon hatte sie mit ihrer Mutter gesessen und ihr auf der Harfe vorgespielt, bis sie schließlich müde wurde und auf deren Schoß kroch. Im Innenhof hatte sie der Köchin geholfen Bohnen auszulösen und mitangesehen wie man ein Schwein schlachtete. Sie erinnerte sich noch an ihr eigenes Weinen, weil ihr das Tier so leid getan hatte. Gemeinsam mit Rhys hatte sie hier gespielt. Lächelnd erinnerte sie sich, dass er sie stets hatte gewinnen lassen, obwohl ihr um ein paar Jahre älterer Bruder sie leicht hätte besiegen können. Ob sie ein einfaches Bauernhaus genauso lieben würde, wenn sie als Bauerntochter auf die Welt gekommen wäre? Entschlossen verdrängte sie solche Gedanken. Sie erinnerte sich an etwas, was Meister Martim vor langer Zeit zu ihr gesagt hatte:

      „Du hast zweifelsohne Talent, Crystal, doch merke dir eins – einen wirklichen Meister erkennt man nicht an seiner Fingerfertigkeit oder seiner klaren Stimme. All das ist wichtig, doch es kann durch Übung errungen werden. Wäre es so einfach, dann wäre das Singen der alten Lieder keine Kunst, sondern nur ein Handwerk. Nein, einen wirklich guten Barden erkennst du an seiner Fähigkeit zur Sehnsucht. Nur wer sich aus ganzem Herzen nach dem Licht sehnt, schafft es Bilder von wunderbarer Eindringlichkeit zu singen, Klagen zu ersinnen, die einem das Herz brechen und Mahnungen zu schaffen, die so deutlich sind, dass keiner sie je vergisst.“

      Crystal hatte den Weg, den sie eingeschlagen hatte, nie bereut. Ohne ihre Harfe fühlte sie sich kaum wie ein ganzer Mensch, doch die Verantwortung, die sie als Liedsängerin trug, lastete manchmal schwer auf ihr. Wie sollte sie den Menschen die Veränderungen erklären, die sie selbst kaum verstand?

      Ein leises Geräusch hinter ihr ließ sie herumfahren. Unwillkürlich versteifte sie sich, als sie Lord Thorben erkannte. Wut stieg in ihr hoch. Er kannte ihren Wunsch nach Einsamkeit, der sie jedes Mal überkam, nachdem sie vorgespielt hatte – warum also respektierte er ihn nicht? Unwillkürlich straffte sie die Schultern. Sie war ziemlich groß für eine Frau und daran gewohnt Andere zu überragen, doch dass sie größer als Thorben war, bereitete ihr stille Freude.

      „Euer Spiel war wie immer bezaubernd“, meinte er und trat näher an sie heran als es schicklich gewesen wäre.

      Crystal versuchte zurückzuweichen, doch das steinerne Balkongeländer