Smila Spielmann

Die lichten Reiche


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als er plötzlich nach ihren Händen griff. „Was ich Euch sagen möchte wird nicht lange dauern.“ Crystal hatte Mühe die Augen nicht gequält zu verdrehen. Nicht schon wieder! Thorben strich mit seinen Daumen über ihre Handflächen, in einer Geste, die – wie Crystal vermutete – zärtlich sein sollte. Die Wirkung wurde allerdings verdorben, da sie spürte, dass seine Hände vor Aufregung feucht waren. Sie versuchte ihm ihre Hände zu entziehen, doch er hielt sie fest und zog sie nur näher zu sich. „Lady Crystal, Ihr müsst mich anhören. Ihr wisst, was mein Herz begehrt.“ Er stand jetzt so nahe bei ihr, dass sein Atem ihre Wange streifte.

      Panik erfasste sie. „Lasst mich gehen, Lord Thorben.“ Zu ihrer Schande merkte sie, dass ihre sonst so sichere Stimme zitterte.

      „Crystal“, raunte er in ihr Ohr. „Deine Musik spricht direkt zu meinem Herzen. Ich weiß, dass du noch sehr jung bist, doch du musst keine Angst haben.“

      Crystal zuckte erschrocken zusammen, als sie seinen Mund an ihrem Ohr spürte. „Ihr missversteht mich!“, rief sie aufgebracht. Sie hatte sich seine Unverfrorenheit jetzt lange genug bieten lassen. Erbost stieß sie ihn von sich und eilte mit schwingenden Röcken in Richtung ihres Gemaches davon.

      Über den Feldern Kornthals versank die Sonne und tauchte den Weizen in sanftes, rotes Licht, doch Thorben hatte keinen Blick für die Schönheit der Natur, als er – wie von den Dunklen gehetzt – in den Stall lief und dort einen der Stalljungen anfuhr, dass er ihm sein Pferd satteln sollte. Er konnte sehen, wie ihn der Junge einen Moment lang erstaunt und verschreckt ansah, bevor er sich davonmachte um den Befehl auszuführen. Thorben bebte vor unterdrückter Wut. Er hatte sich zum Narren gemacht. Was hatte sie nur an sich, das ihn wieder und wieder seinen Stolz vergessen ließ? Als der Junge zurückkehrte, riss er ihm ungeduldig die Zügel aus der Hand und schwang sich in den Sattel seines Wallachs. Das Tier spürte die Aufregung seines Herrn und begann nervös zu tänzeln. Thorben zog unsanft an den Zügeln und brachte sein Pferd mühsam unter Kontrolle. Er ließ den ratlosen Stalljungen zurück, als er seinem Pferd die Sporen gab und in Richtung Feldstadt davon ritt. Thorben ließ die Zügel schießen und erlaubte seinem Pferd in einen schnellen Galopp zu fallen. Er würde Rhys erklären müssen, warum er so überstürzt abgereist war, dachte er ärgerlich. Andererseits konnte sich sein Freund den Grund vermutlich denken. Immerhin kannte er Crystals unbändiges Wesen besser als irgendjemand sonst. Thorben war so in seine Gedanken versunken, dass er die drei Gestalten, die den Weg verstellten, erst bemerkte als es beinahe schon zu spät war. Er riss scharf an den Zügeln und brachte sein Tier zu einem abrupten Halt. Die Hufe seines Pferdes wirbelten Staub auf, so dass die Gestalten für einen Moment seinem Blickfeld entzogen waren. Wer waren sie und warum um alles in der Welt standen sie mitten auf dem Feldweg? Thorben schnaubte wütend, doch als sich der Staub etwas lichtete und er die drei Menschen, die vor ihm standen, genauer in Augenschein nehmen konnte, verflog seine Wut und machte maßlosem Erstaunen Platz. Er hatte noch nie so eigenartig gekleidete Frauen gesehen, denn dass sie Frauen waren nahm er an, obwohl er eigentlich wenige Anhaltspunkte dafür hatte. Alle drei trugen Hosen, die jedoch mit nichts zu vergleichen gewesen wären, was er in den Mittellanden je gesehen hatte. Und dass obwohl er weit gereist war! Er hatte sechs der dreizehn Baronien besucht – dessen konnten sich nur wenige rühmen. Die meisten Menschen kamen in ihrem Leben nie über die Grenze der eigenen Baronie hinaus. Wer also waren diese Frauen, die schweigend vor seinem Pferd standen und keine Anstalten machten den Weg freizumachen. Thorben schien, als würden auch sie ihn mustern. Er kniff die Augen zusammen. Ja, jetzt war er sich ganz sicher, dass es sich um Frauen handelte, denn unter den Oberteilen zeichneten sich ihre Brüste deutlich ab. Sie trugen Tücher über dem Mund und eigenartige Stoffgebilde um den Kopf geschlungen. Das Schweigen zog sich in die Länge und Thorben merkte, wie seine Hände anfingen zu schwitzen und er die Zügel fester fassen musste um sie nicht zu verlieren.

      „Wir wollen Euch helfen, Lord Thorben“, hörte er schließlich. Er fand es schwierig festzustellen, welche der Frauen gesprochen hatte, da er nicht sehen konnte, welche von ihnen den Mund bewegte. „Wir wissen, was heute passiert ist. Kein Mann sollte je von einer Frau so gedemütigt werden.“ Die Stimme klang einschmeichelnd und Thorben fühlte, wie ihm vor Scham das Blut in die Wangen schoss.

      „Eure Lady ist zu hochmütig“, fuhr die Stimme fort. Er war sich fast sicher, dass jetzt die Frau sprach, die auf der linken Seite stand, doch konnte er es nicht mit Sicherheit sagen, weshalb er gehetzt zwischen den Dreien hin und her sah. „Was sie brauchen würde ist eine Lektion, die sie lehrt, einen Mann zu respektieren.“

      „Einen Mann wie Euch…“ Thorbens Blick flog nach rechts. Hatte sie eben gesprochen? „Wir können Euch dabei helfen. Wir könnten Ihr eine Lektion erteilen.“

      Thorbens Verstand arbeitete hektisch. Diese drei Frauen waren ihm nicht geheuer, doch was sie sagten klang verlockend. „Wer seid ihr überhaupt und was wollt ihr hier?“, fuhr er sie an.

      „Wir sind Reisende auf dem Weg nach Süden; wir sind nur zufällig in der Gegend.“

      Misstrauisch kniff Thorben die Augen zusammen. Irgendwie glaubte er ihnen nicht, doch er beschloss die Erklärung vorerst einmal hinzunehmen. „An was für eine Lektion habt ihr gedacht?“

      „Wir könnten ihr einen Schrecken einjagen, sodass sie erkennt, dass das Leben an der Seite eines Mannes durchaus seine Vorteile hat.“

      Unwillkürlich hob Thorben seine Hand und begann hektisch seinen Bart zwischen den Fingern zu zwirbeln. Instinktiv wusste er, dass es klüger wäre sein Pferd zu wenden und auf dem schnellsten Weg zur Burg zurückzureiten, doch seine Hand weigerte sich den Befehl zum Wenden zu geben und er starrte die Frauen stumm an. Schließlich gab er sich einen Ruck. „Was wollt ihr dann von mir?“, stieß er hervor.

      „Um den Plan zu verwirklichen, bräuchten wir Informationen über die Burg. Schließlich wollen wir nicht aus Versehen in das falsche Schlafgemach stolpern.“

      Thorben runzelte unwillig die Augenbrauen; das Ganze gefiel ihm nicht. Doch was war schon dabei, wenn er ihnen verriet, in welchem Gemach Crystal schlief? Immerhin waren es nur Frauen. „Und ihr wollt ihr wirklich nur einen Schrecken einjagen, sonst nichts?“, erkundigte er sich betont gelassen. Im Geiste sah er die völlig verängstigte Crystal schon in seine Arme fliehen. „Ich meine, ihr wollt ihr doch nichts antun, oder?“

      Ein leises Lachen ertönte und Thorben war sich ziemlich sicher, dass es aus allen drei Kehlen stammte. „Aber Lord Thorben, was würde Euch eine tote Braut nutzen?“

      Es war schon ziemlich spät geworden, als Crystal endlich ihr Gemach betrat, die Wildlederschuhe achtlos beiseite schleuderte und mit den Zehen in dem weichen Teppich versank, der vor der Feuerstelle lag. Sie hatte gemeinsam mit Lucia für Joy eine Gutenachtgeschichte erfunden und da sich Lucia und sie selbst mit immer tolleren Einfällen überboten hatten, war Joy nicht müder geworden, sondern im Gegenteil immer aufgeregter. Crystal lächelte ihrem Spiegelbild zu, als sie vor ihrem Schminktisch Platz nahm. Der Schrecken des Nachmittags war vergessen und als sie jetzt die schweren Locken löste und geduldig begann ihr Haar auszubürsten, fühlte sie ein fast unerträgliches Glücksgefühl in ihrer Brust. Sie zweifelte nicht daran, dass ihr Bruder ihre Entscheidung billigen würde, dafür würde Lucia schon sorgen. Rhys’ Frau war ihre beste Freundin und Hüterin ihrer geheimsten Gedanken. Lucia wusste, dass Crystal davon träumte zu den Liedsängern des Nordens zu reisen, um dort neue Lieder zu lernen – und Crystal wusste, dass sich Lucia nichts sehnlicher wünschte als ein zweites Kind.

      Ein leises Klopfen schreckte Crystal aus ihren Gedanken. Ruckartig hob sie den Kopf und als sich die Bürste in ihren Locken verfing, schrie sie vor plötzlichem Schmerz wütend auf. Anstatt einer Antwort auf sein Klopfen erhielt Rhys also einen wütenden Aufschrei, was ihn aber nicht daran hinderte das Gemach zu betreten. „Alles in Ordnung?“

      „Komm herein, Rhys“, seufzte Crystal resigniert und legte den Kamm beiseite. Ihr Bruder durchmaß mit raschen Schritten den Raum und nahm ganz in ihrer Nähe auf der Bettkante Platz. „Ich nehme an, dass du der Grund für Thorbens überstürzten Aufbruch bist“, begann er ohne Einleitung.

      Crystal musterte ihren Bruder. Er wirkte eigentlich nicht wütend, nur neugierig. Vermutlich hatte Lucia schon mit ihm gesprochen.