Smila Spielmann

Die lichten Reiche


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versicherte Prudence ebenso ernsthaft.

      Joy nickte, dann rutschte sie von Crystals Schoß. „Ich würde sie gerne sehen. Kommst du mit?“, fragte sie an ihre Amme gewandt. Prudence nickte glücklich und Hand in Hand verließen die Beiden die Halle. Crystal sah ihnen nachdenklich hinterher. In den letzten Tagen waren das Mädchen und sie keinen Augenblick getrennt gewesen und Crystal ahnte, dass sie die Schrecken jener Nacht ohne die kleine Joy nicht so gut überstanden hätte. Dadurch dass sie für jemanden verantwortlich war, der sich ganz und gar auf sie verließ, hatte sie ihren eigenen Schmerz unterdrücken müssen und hatte weitergemacht.

      „Es tut mir so leid, Crystal.“ Thorben sah sie ernsthaft an. Tiefer Kummer sprach aus seiner Stimme. Crystal nickte. Es war ja nicht seine Schuld, dass er zu spät gekommen war, doch er konnte sich einfach nicht verzeihen. Seit jener Nacht schienen ihn Schuldgefühle zu plagen. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie leicht; dann wandte sie sich ab und ihre Blicke suchten den Magus Horten.

      Sie winkte ihn zu sich und wartete bis er Platz genommen hatte. „Wie geht es Euch, Magus?“

      Horten seufzte und strich sich mit müden Fingern über die graue Robe, die ihm bis auf die Knöchel fiel. „Die Knochen machen mir wieder zu schaffen. Nun ja, wir werden alle nicht jünger, mein Kind.“ Crystal unterdrückte ein Schmunzeln. Magus Horten hatte sich schon über seine Knochen beschwert, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war und er würde wohl nie damit aufhören, sie als Kind zu bezeichnen. Vielleicht fühlt er sich dadurch jünger. „Ich wollte nicht gleich bei deiner Ankunft damit herausplatzen, doch vor ein paar Tagen ist ein Talosreiter zur Burg gekommen. Wir haben ihm ein Zimmer gerichtet, denn er wollte auf dich warten“, erzählte der alte Mann.

      Crystal war nicht sonderlich überrascht. Vermutlich hatte der König gehört, was hier passiert war und der Talosreiter sollte ihr, der neuen Herrin Kornthals, nun die Wünsche seines Herrn übermitteln. „Schickt ihn zu mir“, nickte sie. Einen Talosreiter ließ man besser nicht warten.

      Kurze Zeit später betrat ein Mann die Halle, dessen wehender roter Umhang ihn für jedermann deutlich als den auswies, der er war: ein Bote seines Herrn. Er verneigte sich knapp vor Crystal, die ihrerseits aufgestanden war um den Mann zu begrüßen. „Möge das Licht Eure Wege erleuchten“, richtete sie den gebräuchlichen mittelländischen Gruß an ihn.

      „Mögen die Lichten ihre schützende Hand über Euch halten. Ich möchte Euch mein Beileid aussprechen, Lady Crystal.“

      Crystal nickte kurz. „Ich danke Euch.“

      „Es tut mir leid, wenn ich für neue Unruhe sorgen muss, doch mein Herr befiehlt Euch in den Palast.“ Trotz der höflichen Worte klang der Tonfall des Reiters nicht gerade freundlich, sondern eher streng, fand Crystal; als würden sie eine stumme Warnung enthalten, dass es nicht ratsam wäre gegen den Willen des Königs zu handeln.

      Crystal nickte und ignorierte Thorben, der hinter ihr nach Luft schnappte. Seine Reaktion bestätigte ihr, was sie selbst geahnt hatte: dass es ganz und gar ungewöhnlich war, dass irgendjemand in den Palast gebeten wurde. „Wann…“, begann sie und stockte dann. Der Gedanke die Burg schon wieder zu verlassen, war tatsächlich unangenehm, vor allem da sie dieses Mal Joy nicht würde mitnehmen können.

      „So bald als möglich“, erwiderte der Talosreiter, der ihre Zweifel nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte.

      „Dann werde ich packen und mich von meiner Nichte verabschieden“, seufzte Crystal. Es hatte keinen Sinn das Unvermeidliche hinauszuzögern.

      Kapitel 2

      Der Schankraum war voller Menschen und dem Jungen, der gerade dabei war seine Zauberkunststücke zu zeigen, wurde eifrig Beifall gespendet. Dawn stand am hinteren Rand der Bühne und grinste. Wenn man sich hier von Corus’ Kunststücken beeindrucken ließ, dann bedeutete das wohl, dass hier nicht allzu viele Gaukler vorbeikamen – sie würden hier gutes Geld verdienen. Vielleicht konnte sie ihren Vater sogar dazu überreden ihr einen neuen Satz Messer zu kaufen. Das wäre wunderbar…

      „He Dawn, hast du deinen Kopf mal wieder zwischen den Wolken?“, riss die strenge Stimme ihres Vaters sie aus ihren Tagträumen. „Du bist dran.“

      Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Warum musste sie sich auch erwischen lassen, wenn sie sich wieder mal aus der Wirklichkeit fortträumte. Sie nahm sich zusammen, sprang auf die Bühne und verbeugte sich leicht. Ihre Nummer begann damit, dass sie Bälle jonglierte; eine Übung, die sie in ihrem vierten Jahr bereits bis zur Perfektion beherrscht hatte. Erst drei, dann vier und letztendlich fünf Bälle wirbelten durch die Luft. Sie machte ein angestrengtes Gesicht und tat zweimal so, als würden ihr die Bälle beinahe aus der Hand fallen. Das brachte die Menschen dazu genauer hinzusehen, hatte ihr Vater ihr erklärt. Anfangs hatte sie das nicht verstanden. Warum sollten die Menschen Missgeschicke sehen wollen? Doch mit der Zeit hatte sie begriffen, dass ihr Vater Recht hatte. Dawn beendete den ersten Teil ihres Auftrittes, indem sie die Bälle zu Boden fallen ließ und verbeugte sich hastig. Corus reichte ihr grinsend drei brennende Fackeln und Dawn konnte hören, wie es im Schankraum plötzlich still wurde. Langsam ließ sie ihren Blick über ihr Publikum wandern. Das junge Schankmädchen hatte erschrocken eine Hand auf den Mund gelegt. Dawn konnte Furcht in ihren Augen lesen. Die meisten Männer hingegen wirkten interessiert, der Wirt besorgt. „Wenn das Mädel nicht mal mit Bällen jonglieren kann, wie soll sie dann die brennenden Fackeln unter Kontrolle halten?“, schienen ihre Gesichter zu fragen.

      Dawn unterdrückte ein Grinsen. Sie würde die Taverne nicht in Brand stecken, dessen war sie sich gewiss. Drei Fackeln sausten durch die Luft und Dawn fing sie mit leichten Drehungen ihres Handgelenks mühelos auf und schickte sie gleich wieder in die Luft. „He“, rief ihr Corus vom Bühnenrand aus zu. Er hielt eine weitere Fackel in der Hand und sobald ihm Dawn den Kopf zugewandt hatte, warf er sie ihr zu. Dawn tat, als wäre sie davon völlig überrascht und als würde sie Gefahr laufen, alle vier Fackeln fallen zu lassen. Der Wirt keuchte erschrocken auf. Doch noch war die Feuershow nicht zu Ende. Dawn brachte die vier Fackeln unter Kontrolle. Höher und immer höher ließ sie sie in die Luft fliegen, bis sie schließlich, als sie sich sicher war, dass alle, aber auch wirklich alle Augen im Raum auf sie gerichtet waren, eine fallen ließ. Dawn hörte die Menschen erschrocken aufschreien, doch sie wusste, dass nichts passieren würde. Corus stand mit einem Eimer bereit und hatte die Fackel gelöscht, noch bevor sie wirklich am Boden aufschlug. Achtlos fing Dawn die restlichen Fackeln in einer Hand auf und steckte sie in den bereitstehenden Wassereimer, so dass sie zischend verloschen. Jetzt kam Dawns liebster Teil ihres allabendlichen Auftrittes. Corus reichte ihr fünf Messer, deren Klingen so lang waren wie ihre Hand. Die Messer waren perfekt ausbalanciert und scharf. Dies war der einzige Teil, der wirklich Dawns gesamte Konzentration erforderte, ihre Handflächen vor Aufregung feucht werden ließ und ihr Herz dazu brachte schneller zu schlagen. Sie warf die Messer der Reihe nach in die Luft, bis sie sicher war, einen Rhythmus gefunden zu haben, den sie halten konnte. Geduldig wartete sie auf den richtigen Moment, fing mit ihrer rechten Hand ein Messer auf und schickte mit ihrer linken eines in die Luft. Schneller als irgendjemand schauen konnte, schlug sie unter den wirbelnden Klingen einen Salto, kam wieder zum Stehen und fing das nächste Messer. Tosender Applaus brandete auf und Dawn gestattete sich ein befreites Grinsen. Wieder ließ sie die Messer tanzen bis sich ihr Herzschlag beruhigt hatte, dann fing sie in ihrer Linken zwei Messer und in ihrer Rechten drei. Noch bevor jemand merkte, dass sich die Klingen nicht mehr in der Luft befanden, warf sie die fünf Messer fast gleichzeitig in die Höhe. Im selben Moment sprang Dawn nach hinten ab, bog ihren Rücken, so dass sie mit den Händen auf dem Boden landete, stieß sich mit aller Kraft ab und kam schließlich auf beiden Beinen zum Stehen. Einen Augenblick später schlug das erste Messer ein und blieb knapp neben Dawns rechtem Bein im Boden stecken. Dawn hielt die Augen geschlossen, bis sie auch das letzte Messer einschlagen hörte. Dann war die Gefahr vorbei. Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass die fünf Klingen einen perfekten Kreis um sie herum bildeten. Dawn grinste glücklich. Dieser Teil ihres Auftrittes gelang ihr nicht immer fehlerfrei, wie eine lange Narbe an ihrem linken Oberarm bewies. Doch heute war alles gut gegangen. Dawn verbeugte sich so schwungvoll, dass ihr dunkler Zopf in hohem Bogen nach vorne und wieder zurück