Smila Spielmann

Die lichten Reiche


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Klingen hatte sie wohl von ihm geerbt und obwohl er ein strenger Lehrmeister war, der nur selten ein Lob aussprach, wusste Dawn, dass er stolz auf sie war. Ihre Mutter Maija war ebenfalls Mitglied der kleinen Gruppe und so war Dawn bei den Gauklern aufgewachsen und kannte kein anderes Leben als das Umherziehen von Ort zu Ort. Die Truppe war ihre Familie. Madame Fate, die die Zukunft vorhersagen konnte; Nadia, die als Tänzerin die Männer verführte und Corus, der Zauberkünstler. Corus reiste erst seit zwei Jahren mit ihnen. Er war davor bei einer anderen Truppe gewesen, hatte jedoch von dort verschwinden müssen. Soweit Dawn wusste wegen eines Mädchens. Doch seit er bei ihnen war hatte es diesbezüglich nie Probleme gegeben und Dawn war froh, dass er mit ihnen reiste. Die anderen waren alle erwachsen; nur Corus war in ihrem Alter und so waren die Beiden gut befreundet.

      „Ich wünschte wirklich, ich könnte dich davon überzeugen, dass du den Schlussteil deiner Nummer änderst“, meinte Maija seufzend, als Dawn von der Bühne gesprungen war und sich alle in einem Hinterzimmer versammelt hatten.

      Dawn entwand sich ärgerlich der mütterlichen Umarmung. „Mama, du weißt genau, dass das der einzige Teil ist, der mir wirklich Spaß macht!“

      „Ja ja, schon gut. Ich meine ja nur, wenn du dich bemühen würdest, könntest du vielleicht etwas weniger Gefährliches finden, das auch Spaß macht.“

      Dawn schüttelte den Kopf. Dieses Gespräch hatten sie schon oft geführt. Ihre Mutter würde nie den Reiz verstehen, den die Gefahr auf sie ausübte. Doch Dawn liebte ihre sanfte, zarte Mutter. Sie wollte nicht streiten und so verließ sie das Zimmer, das ihnen der Wirt zur Verfügung gestellt hatte, nachdem seine Gäste – angeheizt von den Darbietungen – mehr Bier tranken als sonst und ihm die Gaukler so zu einem guten Geschäft verhalfen.

      Dawn hatte vor, draußen ein wenig frische Luft zu schnappen. Die Sonne war schon vor einiger Zeit untergegangen, der Schankraum war jedoch immer noch gut gefüllt. Dawn schlüpfte unbemerkt zwischen den Tischen und Bänken hindurch. Auf den ersten Blick sah sie aus wie ein zu schmal gebauter Junge und so schenkte man ihr nicht besonders viel Aufmerksamkeit. Als sie an einem der Tische vorbeikam, blieb sie jedoch unwillkürlich stehen. Irgendjemand hatte seinen Geldbeutel liegen lassen. Sie zögerte einen Moment lang, dann ging sie weiter. Ihre Finger zuckten unauffällig in Richtung des Beutels und dieser verschwand zwischen den Falten ihrer weiten Leinenbluse. Dawns Herz hatte zu rasen begonnen, doch sie ging unauffällig und scheinbar ruhig zur Tür. Erst als sie draußen war stieß sie den Atem aus, den sie unwillkürlich angehalten hatte und holte ein paar mal tief Luft. Sie entfernte sich von der Taverne und untersuchte den Inhalt des Beutels. Ihre Lippen verzogen sich zu einem glücklichen Lächeln. Vor ihrem geistigen Auge sah sie sich schon wunderbare Dinge kaufen. Entschlossen verdrängte sie das schlechte Gewissen, das sie jedes Mal überkam, wenn sie etwas gestohlen hatte und steckte den Beutel wieder weg. Seit sie vor einiger Zeit herausgefunden hatte, dass sie ihre Geschicklichkeit nicht nur zum Jonglieren von Messern einsetzen konnte, lebte sie wesentlich angenehmer als zuvor – und noch hatte niemand etwas bemerkt…

      Später an diesem Abend schlichen sich Dawn und Corus nach draußen. Gemeinsam erkundeten sie die Gegend. Dawn hatte Corus in Richtung der Felder geführt. Heute Abend hatte sie keine Lust in einem beengten Dorf zu bleiben und als sie schließlich einen Feldweg entlang spazierten, schlug Dawn ein Rad nach dem anderen um mit Corus, der gemütlich den Weg entlang spazierte, auf gleicher Höhe zu bleiben. Nach ein paar Minuten ließ sie sich erschöpft auf den Boden fallen. „Ich kann nicht mehr“, lachte sie.

      Corus setzte sich neben sie mitten auf die schmale Straße. Um diese Tageszeit war es mehr als unwahrscheinlich, dass sie jemandem im Weg sein würden. „Du hast ohnehin länger durchgehalten, als ich dachte.“

      Lachend boxte Dawn ihm in die Seite. „Du solltest mich nicht unterschätzen, Zauberlehrling.“

      Corus nickte lächelnd. Sie hatte Recht. Obwohl Dawn klein und zierlich war, besaß sie eine nicht zu unterschätzende Kraft. Er war um einen ganzen Kopf größer als sie und doch zweifelte er nicht daran, dass sie ihn im Armdrücken jederzeit besiegen würde. Corus war weit davon entfernt Dawns Fähigkeiten zu verkennen. Irgendwie wusste er, dass sie etwas Besonderes war und diese Erkenntnis hatte nichts damit zu tun, dass sie von Tag zu Tag hübscher wurde, nun da ihre Brüste langsam anfingen die richtigen Formen anzunehmen und ihr Gesicht weiblicher wurde. Nein, da steckte mehr in ihr – ihre seltsamen Augen verrieten es. Dawn hatte es sich im weichen Gras gemütlich gemacht und ihren Kopf auf ihre Unterarme gebettet. Gedankenverloren starrte sie in den Nachthimmel. Corus tat es ihr gleich. Eine Weile schwiegen sie Beide, dann begann er ihr verschiedene Sternbilder zu erklären. Dawn lauschte geduldig, lachte nur manchmal, wenn sie nicht erkennen konnte, warum eine bestimmte Formation Bauer hieß oder Hütte. Schließlich stützte sich Corus auf einen Ellenbogen. „Denkst du, dass Madame Fate tatsächlich das Schicksal vorhersagen kann?“, erkundigte er sich gespannt.

      „Genauso gut wie du echte Magie wirken kannst.“

      Corus verzog gekränkt das Gesicht, doch Dawn lachte nur gutgelaunt. Er lauschte dem angenehmen Klang und konnte ihr nicht böse sein. „Ich meine es ernst, Dawn.“

      Sie setzte sich auf, zog die Knie an den Körper und schwieg eine Zeit lang. Das war das Angenehme an ihr – sie trieb den ganzen Tag Schabernack und hatte nur Unfug im Kopf, doch wenn es einem gelang sie zur Ordnung zu rufen, war sie eine ernste und gute Gesprächspartnerin. „Meistens sagt sie den Leuten was sie hören wollen“, meinte Dawn schließlich. „Den jungen Mädchen, dass sie bald heiraten und entzückende Kinder zur Welt bringen werden und einem Schweinebauern, dass seine Schweine die größten und fettesten der ganzen Baronie werden.“

      „Ich weiß“, entgegnete Corus, „aber manchmal scheint es mir, als würde sie tatsächlich in Trance sinken und… und wirklich etwas sehen.“

      Dawn nickte langsam. „Einmal hat sie eine Vorhersage für mich gemacht.“

      Corus setzte sich mit einem Ruck auf. „Was hat sie gesagt?“

      „Ich weiß nicht genau…“

      Ärgerlich runzelte Corus die Brauen. Er kannte Dawn gut genug um zu wissen, wann sie log. Anscheinend bereute sie es, überhaupt etwas erwähnt zu haben. „Was hat sie gesagt?“, wiederholte er.

      „Ach, es war ganz eigenartig“, versuchte sie abzulenken.

      „Komm’ schon…“

      „Also schön, wenn du es unbedingt wissen willst. Es ist schon ziemlich lange her. Angefangen hat sie mit dem üblichen Unsinn. Ewiges Glück und die große Liebe. Na, das kennst du ja. Dann plötzlich ist ihre Stimme tiefer geworden und eigenartig dumpf. Du wirst dem Klang der Harfe nach Osten folgen und dein Schicksal finden, hat sie gesagt. Ich hab keine Ahnung was das heißen soll und wenn du mich fragst, klingt es unsinnig.“

      Corus grinste. Typisch Dawn, alles als Schwachsinn abzutun, was nicht in ihr Weltbild passte. „Irgendetwas verschweigst du immer noch.“

      Zu Corus’ Erstaunen nickte sie. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er noch mehr von ihr erfahren würde. „Plötzlich hat sie meine Hand los gelassen, als hätte sie sich verbrannt. Sie hat entsetzt gewirkt, Corus. Als hätte sie etwas gesehen, das ihr Angst gemacht hat.“

      „Und damit hat sie dir Angst gemacht, nicht wahr?“

      Dawn nickte benommen und ließ es zu, dass Corus sie in die Arme nahm. „Mach’ dir keine Sorgen, kleine Dawn. Ich lass nicht zu, dass dir etwas zustößt.“

      Dawn grinste, obwohl ihr Tränen die Wangen entlangliefen. Gut zu wissen, dass es jemand gab, der auf sie achtete.

      Mittstadt, die Stadt, die sich dicht an den Palast des Elfenkönigs drängte, erschien Crystal riesig. Sie hatte sogar eine Stadtmauer und Wachen, die jeden kontrollierten, der in die Stadt ein- oder ausfuhr. Crystal war selbstverständlich nicht kontrolliert worden; immerhin war sie in Begleitung eines Talosreiters unterwegs. Der Elfenbote hatte sich als schweigsamer Reisegefährte erwiesen, was Crystal jedoch nicht unangenehm war. So hatte sie genügend Zeit gefunden, ihren Gedanken nachzuhängen. Immer wieder wanderten diese zu Joy und sie erinnerte sich daran, wie ihre Nichte geweint hatte, als