Smila Spielmann

Die lichten Reiche


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lang. Doch ein Teil von ihr fürchtete sich auch davor. Sie dachte darüber nach, dass sie nicht einmal wusste durch welche Baronie sie gerade ritten und schämte sich. Durfte sie wirklich so gleichgültig sein? Als Lucthen schließlich vor einer Taverne sein Pferd anhielt und abstieg, ließ sich auch Crystal aufseufzend aus Sturmmähnes Sattel gleiten. Es war gut, dass sie heute früher Rast machten. Sie brauchte dringend eine Pause. Gemeinsam führten sie die Pferde in den Stall. Ein Stallbursche, der ihnen geschäftig entgegenrannte und der sich – nachdem er gesehen hatte um welch prachtvolle Tiere es sich handelte – vor Hilfsbereitschaft fast überschlug, nahm ihnen die Zügel ab und bat sie nach drinnen. Sie folgten seinem Rat, dankbar sich nicht um die Pferde kümmern zu müssen. Die Schankstube war ziemlich voll, wie Crystal überrascht bemerkte, sah jedoch ganz einladend aus. Lucthen hatte eine gute Wahl getroffen, wie stets bisher. Irgendwann sollte sie ihm für seine Umsicht danken.

      „Wollen wir nach Zimmern fragen oder essen wir erst einmal?“, fragte er sie. Crystal war nicht hungrig, bemerkte jedoch seinen gierigen Blick, als er den Eintopf förmlich mit Blicken verschlang, den ein Bauer in sich hineinschaufelte.

      „Lass uns gleich etwas essen“, meinte sie deshalb und zeigte auf einen der freien Tische. Lucthen nickte dankbar und sie setzten sich. Sie tranken leichten Wein und aßen den Eintopf, der nicht einmal schlecht war und zum ersten Mal seit Tagen entspannte sich Crystal etwas. In der Schankstube war es wohlig warm und die vielen Stimmen bildeten einen angenehmen Geräuschteppich. Sie musste vom Reiten doch müder sein als sie gedacht hatte, denn sie wäre beinahe eingenickt; doch dann riss sie eine Stimme aus ihrer Benommenheit. Crystal blinzelte und blickte den großen, dunkelhaarigen Mann – ein Bauer wie sie vermutete, denn seine Kleidung war einfach – verwirrt an.

      „Ob Ihr auf der Harfe auch spielen könnt, meine ich?“, wiederholte er und deutete mit dem Kinn zu der Harfe, die neben Crystals sonstigem Gepäck bei ihren Knien stand. „Ich meine, ob Ihr eine Liedmeisterin seid oder einfach nur ein bisschen musiziert?“

      Crystals erster Impuls war zu leugnen. Schließlich gab es in den Mittellanden Menschen die Barden Böses wollten und es wäre vermutlich klug, wenn sie dem Mann erklärte, dass sie die Harfe kaum beherrschte. Doch Crystal brachte die Worte nicht über die Lippen. Sie konnte Meister Martims Ausbildung nicht so herabwürdigen – sie konnte nicht alles verleugnen was sie war! Mit einem Mal bildete sich ein Klumpen Wut in ihrem Bauch. „Ich bin eine Liedmeisterin“, sagte sie selbstsicher. Sie sah wie Lucthen erstaunt die Brauen hob. Ein seltsamer Anblick, fand Crystal. Bisher hatte er stets eine stoische Selbstbeherrschung an den Tag gelegt. Dass er jetzt zum ersten Mal eine Regung zeigte, erboste sie nur noch mehr. Was hatte er gedacht wer sie war?

      Crystal konnte nicht wissen, wie schön sie in diesem Moment wirkte. Ihre Augen sprühten grüne Funken und ihre Wangen hatten sich vor Eifer leicht gerötet. Lucthen sah zum ersten Mal ihr wahres Wesen, nicht nur die leere Hülle, die er bisher kennen gelernt hatte.

      Auch der Bauer war ziemlich eingeschüchtert. Echte Liedmeister waren selten und hoch angesehen. Es dauerte einen Moment bis er sich gesammelt hatte, dann meinte er, „Bitte spielt uns doch etwas…“ Sein Tonfall hatte sich völlig verändert und Crystal begriff, dass seine Frage ursprünglich als Scherz gedacht gewesen war – er hatte sie nicht für eine Liedmeisterin gehalten. Nun, sie würde es ihnen schon zeigen! Sie nickte hoheitsvoll und machte sich daran ihr Instrument auszupacken. Verärgert bemerkte sie, dass ihre Finger zitterten. Sie würde doch jetzt nicht Angst haben zu spielen? Entschlossen schluckte sie. Oh nein, die Angreifer würden sie nicht zum Schweigen bringen, sie nicht. Als sie sich schließlich mit der Harfe in der Hand setzte, hatte sich im Schankraum Stille breit gemacht. Einer Liedmeisterin hörte man zu. Crystal warf Lucthen einen kurzen Blick zu und lächelte, als sie seinen besorgten Gesichtsausdruck bemerkte. Er würde schon sehen… Sie hatte nicht darüber nachgedacht, welches Bild sie spielen würde und wie von selbst stimmten ihre Finger eines der Berühmtesten überhaupt an. Ein Bild, das von der Liebe erzählte. Von einer Frau und einem Mann, die sich trafen und verliebten, davon wie sie Kinder bekamen, alt wurden und schließlich friedlich starben. Crystal hatte den Kopf gesenkt und spielte voller Hingabe. Als das Bild zu Ende war, stimmte sie leise die Klage an und plötzlich brach in ihrem Inneren ein Damm. Crystal sah Rhys vor sich – wie er ihr strahlend erzählt hatte, dass er um Lady Lucia angehalten hatte und erhört worden war. Sie sah Lucia, die voller Stolz verkündete, dass sie guter Hoffnung sei. Ihr ganzer Schmerz ob des Verlustes dieser beiden Menschen floss in ihre Klage mit ein, ihre Wut und ihr Zorn über die Ungerechtigkeit, dass sie sterben mussten und ihre Sehnsucht, sie wiederzusehen. Wie von selbst glitt sie schließlich in die Mahnung die Liebe zu ehren, wo man sie auch fand. Als sie geendet hatte, merkte sie benommen, dass ihre Wangen nass waren von ihren Tränen und dass sie nicht aufhören konnte zu weinen. Sie wehrte sich nicht, als ihr jemand die Harfe aus den Händen zog. Als sie aufsah blickte sie in Lucthens betroffenes Gesicht. Er legte schweigend die Arme um sie und zog sie hoch. Erst wollte sie protestieren, doch sie fühlte sich zu schwach um mit ihm zu diskutieren und so ließ sie zu, dass er sie aus dem Schankraum führte, um das Haus herum und sich schließlich mit ihr auf einer Bank niedersetzte. Er strich ihr sanft übers Haar und ließ sie weinen bis sie keine Tränen mehr hatte. Crystal wusste nicht, wie lange es dauerte, bis sie schließlich wieder anfing die Gegenwart wahr zu nehmen. Dumpf begriff sie, dass es sie nicht störte, dass Lucthen bei ihr war, obwohl sie sonst immer allein sein wollte, nachdem sie gespielt hatte. Es störte sie auch nicht, dass er sie in den Armen hielt wie ein Kind.

      „Es tut mir so leid, Crystal“, hörte sie ihn murmeln. „Ich weiß nicht was passiert ist, doch es tut mir leid.“

      Crystal nickte. Mit einem Mal hatte sie das Bedürfnis ihm alles zu erzählen. Sie wollte, dass er sie verstand, also richtete sie sich auf und löste sich aus seinen Armen. „Du warst sehr freundlich und ich möchte deine Geduld nicht noch weiter strapazieren.“

      Lucthen hörte das unausgesprochene Aber und so meinte er: „Wenn du je darüber reden möchtest was passiert ist, dann werde ich da sein.“

      Crystal musterte ihn schweigend, wie um zu prüfen ob er sein Angebot ernst meinte, dann begann sie mit leiser Stimme zu erzählen.

      Als sie geendet hatte schwieg Lucthen lange Zeit. Sein Gesicht hatte einen nachdenklichen Ausdruck angenommen. Crystal fühlte sich vom Erzählen müde und lehnte den Kopf an die getäfelte Hauswand hinter ihr. „Das ergibt keinen Sinn“, meinte Lucthen schließlich. „Warum sollte ein Magus in den Auen etwas über ermordete Barden in den Mittellanden wissen?“

      Crystal hatte sich das auch schon gefragt. „Ich denke…“, begann sie zaghaft und versuchte dabei jedes Selbstmitleid aus ihrer Stimme zu verbannen, „...ich denke es geht nicht darum, dass sie wirklich glauben, dass dieser Magus uns helfen kann. Ich glaube sie wollten mich loswerden, weil ich eine potentielle Gefahr darstelle.“

      Lucthen schüttelte den Kopf. „Nein, hinter dieser Sache muss mehr stecken. Vielleicht sollten wir uns nicht so viele Gedanken darüber machen. Wir werden es schon sehen, wenn wir da sind. Haben sie dir gesagt, wo genau dieser Magus zu finden ist und wie er heißt?“

      Crystal schüttelte den Kopf. „Sie meinten, dass er in den östlichen Wäldern wohnt, wo genau wissen sie – denke ich – selbst nicht. Aber sie meinten, dass es dort ohnehin nur einen Magus gibt und dass er leicht zu finden sein sollte.“ Lucthen nickte gedankenverloren. „Ich dachte eigentlich, dass du ausgeschickt worden bist um mit ihm zu reden und dass ich dich nur begleite“, erklärte Crystal.

      Lucthen blickte sie überrascht an. „Ich wusste gar nichts von den ermordeten Barden. Ich bin nur zufällig in die gleiche Richtung unterwegs.“ Aber irgendwie klang diese Erklärung selbst in seinen eigenen Ohren nicht sehr glaubwürdig.

      „Das heißt, die Lehrlinge aller Akademien tragen anfangs Weiß?“

      „Ganz genau. Das soll verdeutlichen, dass anfangs alle den gleichen Wissensstand haben. Danach werden für bestandene Prüfungen die Farben verliehen“, setzte Lucthen seine Erklärungen fort. Crystal und er waren an diesem Tag schon seit ein paar Stunden unterwegs und seit sie auf einen breiten Feldweg eingebogen waren, hatten sie die Pferde nebeneinander gelenkt und unterhielten sich, während sie immer weiter Richtung Osten ritten.

      „Und