Smila Spielmann

Die lichten Reiche


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in unserer Akademie mit einem ganz hellen Blau und wird immer dunkler. Nach der sechsten Stufe darf man sich als Magi bezeichnen. Die Meisten verlassen danach die Akademie.“

      Crystal warf einen Blick auf Lucthens Robe. Beim Reiten pflegte er sie bis zur Taille aufzuknöpfen, so dass die Hosen darunter zum Vorschein kamen und sie ihn nicht störte, wenn er auf dem Pferderücken saß. Seine Robe war von einem so dunklen Blau, dass sie Crystal anfangs Schwarz erschienen war. „Und ist das die Farbe, die die Magi des blauen Zweiges tragen?“, erkundigte sich Crystal, indem sie mit dem Kinn auf Lucthens Roben wies.

      „Ich trage die Farben der siebenten Stufe“, erklärte Lucthen schlicht.

      „Weil du Lehrer bist?“

      „Nein, man darf ab der sechsten Stufe Lehrlinge ausbilden, das hat damit nichts zu tun“, antwortete Lucthen wahrheitsgemäß und hoffte, dass sie aufhörte weiter nachzubohren. Er wollte vor ihr nicht wie ein Angeber dastehen. Doch Crystal hatte den Kopf schief gelegt und wartete offenbar darauf, dass er weitersprach. Auf ihre stille Art war sie ziemlich beharrlich. In den letzten Tagen, seit er sie zum ersten Mal spielen gehört hatte, hatte er seine Meinung über sie geändert.

      Lucthen grinste, als er daran dachte, dass der Wirt sich geweigert hatte für die Übernachtung Gold von ihnen anzunehmen. „Lady Crystal, es war mir eine Ehre“, hatte er beteuert und dabei Crystals schmale Finger mit beiden Händen festgehalten. „Ihr wart meine lieben Gäste, da werd ich doch kein Gold dafür nehmen, dass ihr uns beehrt habt.“ Lucthen musste gestehen, dass er sie unterschätzt hatte. Nicht nur war ihr Harfenspiel wunderschön und ihre Stimme glockenrein, sondern sie verfügte, wie jeder Liedmeister, auch über ein fundiertes Geschichtswissen. Seit sie ihm anvertraut hatte, was geschehen war, konnte er zudem besser verstehen warum sie meist so schweigsam und in sich gekehrt war. Manchmal allerdings, wenn es ihm gelang sie abzulenken, lebte sie regelrecht auf – so wie gerade eben. Dann gelang es ihm sogar, ihr ein seltenes Lächeln zu entlocken.

      Lucthen gab sich geschlagen. „Die siebte und achte Stufe werden nur für besondere Leistungen verliehen. Die Farbe der achten und höchsten Stufe ist für alle Akademien Schwarz.“

      „Wie viele Magi der achten Stufe gibt es?“

      „Keinen. Es hat noch nie einen gegeben. Acht würde bedeuten, dass du zum Meister der Magie geworden bist, was Theorie und Anwendung betrifft. Wenn du mich fragst, ich glaube nicht, dass es je einen Magi der achten Stufe geben wird.“

      „Das heißt ja, du gehört zu den mächtigsten Magi der Mittellande!“, rief Crystal aus. Lucthen unterdrückte ein amüsiertes Schmunzeln, als er den Stolz in ihren Katzenaugen entdeckte. Der Gedanke, dass sie auf ihn stolz war, berührte ihn angenehm und zum ersten Mal betrachtete er sie nicht nur als Reisegefährtin, sondern als Freundin. „Ich habe die Robe für meine Forschungsarbeit erhalten“, erklärte er. „Ich trage seit Jahren alles zusammen, was wir Menschen über die elfische Sprache wissen und versuche daraus die alte Sprache zu rekonstruieren.“

      „Wie bist du darauf gekommen, ich meine, warum ausgerechnet dieses Thema?“, fragte Crystal neugierig.

      Lucthen zuckte leicht mit den Schultern. „Von den Elfen wissen wir, dass sie mächtige magische Wesen sind, da ist mein Interesse an ihnen doch naheliegend, oder nicht?“

      Einen Moment lang trafen sich ihre Augen und er hatte den Eindruck, dass sich Crystals einen Augenblick lang verengten. Er erwartete schon, dass sie nachfragen würde, doch dann wandte sie sich ab. Lucthen atmete erleichtert aus, es hätte ihm nicht gefallen, sie anlügen zu müssen, doch woher sein lebhaftes Interesse an allem, was mit Elfen zu tun hatte, rührte, wusste er selbst erst seit kurzem – und er war nicht bereit dieses Wissen mit irgendjemandem zu teilen.

      Eine Weile ritten sie schweigend, dann fragte Lucthen: „Und dein Interesse an den alten Liedern, woher rührt das?“

      Crystal schaute ihn lange an, wie um zu prüfen, ob er die Frage nur gestellt hatte um das Schweigen zu brechen oder ob ihn die Antwort wirklich interessierte. „Ich weiß nicht was zuerst da war, meine Liebe zur Musik oder meine Sehnsucht nach der Vergangenheit“, begann sie schließlich, „aber ich wusste immer, dass ich nie etwas anderes sein wollte als eine Liedmeisterin. Ich spüre die Veränderungen, ich mache mir Gedanken, aber ich komme keinen Schritt weiter. Manchmal denke ich, die Anderen spüren die Veränderungen nicht auf die gleiche Weise wie ich es tue – nur wenn sie eines der alten Lieder hören, werden sie für einige Zeit darauf aufmerksam gemacht. Mein Lehrmeister meinte, dass das den Kern der Lehre ausmacht, dass man die Veränderungen merkt und sie nicht gutheißt. Aber ich begreife sie nicht. Habt ihr Magi Theorien darüber?“

      Lucthen schüttelte den Kopf. „Keine Vernünftigen.“ Ihm gefiel die Traurigkeit nicht, die sich in ihre Augen geschlichen hatte. Es war an der Zeit sie abzulenken. Er begann von seinem Vater zu erzählen, um sie abzulenken. Sie war eine gute Zuhörerin und erst als er wieder von dem Mann redete, der sein ganzes Leben beherrscht hatte – zuerst weil er sonst niemanden hatte der ihm zuhörte und ihn liebte, dann durch die Entscheidungen, die er getroffen hatte – merkte er, dass er den alten Mann vermisste und zum ersten Mal verstand er, warum sein Vater so lange geschwiegen hatte. Dass es nicht Bosheit und nicht einmal die Ergebenheit seinem König gegenüber gewesen war, was ihm die Zunge gebunden hatte, sondern die Angst eines Vaters sein einziges Kind zu verlieren.

      Das Zimmer war sauber. Ein schmales Bett, ein Tisch, ein Stuhl. Crystal hatte aufgehört zu zählen die wievielte Taverne das war, in der sie nächtigten. Irgendwie sahen sie alle gleich aus. Überall dasselbe einförmige Essen, überall dieselben Menschen. Bauern, die sich nach der Arbeit bei einem Bier zusammensetzten um ihre Geschichten zu erzählen und die für zwei Fremde nur fragende Blicke und Unverständnis hatten, sonst nichts. Müde löste sie ihr Haar und versuchte es mit den Fingern zu entwirren. Wenigstens konnte sie heute Nacht allein in einem Zimmer schlafen. Nicht immer fanden sie eine Taverne, in der zwei Zimmer frei waren und sie hatte schon mehr als einmal mit Lucthen in einem Raum geschlafen. Anfangs war ihr das schrecklich unangenehm gewesen – immerhin war er ein fremder Mann. Doch der Magus hatte sie stets mit kühler Höflichkeit, wenn nicht gar mit Desinteresse betrachtet, so dass sie ihre Scheu bald verloren hatte. Erst in den letzten Tagen fingen sie langsam an sich besser zu verstehen, schien ihr. Crystal setze sich auf den Stuhl und zog aus ihrer Tasche Papier und Feder hervor. Alle paar Tage schrieb sie an Joy. Sie vermisste das Kind ganz furchtbar und wenn sie ihr erzählte, was sie alles erlebt hatte, fühlte sie sich meist besser.

      Dass sie ein Lied vorgetragen hatte und daraufhin für die Nächtigung nicht zu zahlen brauchten, schrieb sie. Nicht, dass sie in Geldnöten gewesen wären, denn die Talosreiter hatten darauf bestanden, dass sie Gold von ihnen nahm; ziemlich viel sogar. Crystal ging sparsam damit um, denn sie hatte vor den Rest, den sie nicht brauchen würde, wieder zurückzuzahlen. Lucthen hatte scherzhalber gemeint, dass sie öfter für Kost und Logis singen sollte, doch Crystal hatte seinen Vorschlag abgelehnt. Es war vermutlich klüger, wenn sie nicht allzu viel Aufmerksamkeit darauf lenkte, dass sie eine Liedmeisterin war. Sie wollte sich und Lucthen nicht unnötig in Gefahr bringen.

      Auch von Lucthen erzählte sie. Leise nagte das schlechte Gewissen an ihr, als sie daran dachte, dass sie ihn in einem ihrer letzten Briefe als großen, hageren Mann mit Hakennase beschrieben hatte, der ziemlich unnahbar war. Dabei musste sie gestehen, dass ihr anfangs sehr distanziertes Verhältnis vermutlich ihrem eigenen Verhalten zuzuschreiben war. Nach ihrer Audienz bei den Dreien war sie ein paar Tage lang vor Schmerz wie betäubt gewesen. Immer noch dachte sie jeden Tag an Rhys und Lucia, doch ihre eigenen Worte spendeten ihr Trost: die Beiden waren in das Licht Lucis’ eingegangen, es ging ihnen gut – wo auch immer sie jetzt waren. Crystal fühlte, dass die Wunde langsam zu heilen begann, auch wenn sie wohl immer Narben zurückbehalten würde. Sie merkte wie sehr sie sich durch die erlebten Schrecken verändert hatte, wie ruhig und in sich gekehrt sie geworden war. War sie wirklich dieselbe Frau, die Rhys einst lachend als Wildkatze bezeichnet hatte? Manchmal träumte sie von den eigenartig gekleideten Frauen und ihren Waffen, dann wachte sie schweißgebadet auf und hatte Mühe wieder einzuschlafen. Doch je mehr Zeit verstrich, desto schwächer wurde der Schmerz und umso stärker ihre Wut. Diese Frauen hatten sie nicht getötet! Es war Zeit, dass sie wieder anfing zu leben.