Smila Spielmann

Die lichten Reiche


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werden mit der Baronin und dem Magus in die Auen reisen“, erklärte Dawn ruhig.

      „Das kommt ja überhaupt nicht in Frage!“, explodierte Dawns Vater. Maija legte ihrem Mann beruhigend eine Hand auf den Arm.

      „Warum wollt ihr denn weggehen?“, fragte sie sanft und erreichte Dawn damit viel eher, als ihr Vater mit seinem Geschrei.

      „Ich hab’ keine Ahnung, warum Corus gehen will“, erklärte Dawn patzig und warf ihrem Freund einen bösen Blick zu. Sie verstand immer noch nicht, warum er so hartnäckig darauf bestand mit ihr zu kommen. „Aber ich muss gehen, Mama! Ich glaube es ist mein Schicksal.“

      „Und ich werde Dawn nicht alleine lassen“, erklärte Corus entschlossen. „Irgendjemand muss schließlich auf sie Acht geben“, setzte er leiser hinzu.

      „Ah, daher weht der Wind“, stieß Corin hervor. „Fates Prophezeiung. Kind, du solltest es eigentlich besser wissen. Sie redet einfach nur irgendetwas! Sie kann genauso wenig in die Zukunft sehen, wie ich mich unsichtbar machen kann.“ Dawn starrte ihren Vater schweigend an, bis er den Kopf senkte. „Er weiß, dass das nicht stimmt“, dachte sie.

      „Die Auen – müssen es wirklich die Auen sein, Kind?“, jammerte ihre Mutter. In ihren Augen schwammen Tränen und Dawn trat zu ihr um sie in die Arme zu nehmen. „Ich meine, keiner von uns war je in den Auen. Wir wissen gar nicht, ob der König es gutheißen würde, wenn einer von uns einfach so das Reich verlässt.“ Dawn unterdrückte ein Schmunzeln. Sie erkannte schwachsinnige Argumente, wenn sie welche hörte, und das hieß meistens, dass ihren Eltern die Vernünftigen ausgegangen waren und folglich, dass sie kurz davor stand einen Streit zu gewinnen.

      „Mama, ich glaube kaum, dass Talos etwas dagegen hat, wenn ein paar Gaukler in die Auen ziehen.“

      „Aber ich habe vielleicht etwas dagegen, wenn meine Tochter von einem Tag auf den anderen beschließt abzuhauen“, brummte Corin. Dawn lachte und umarmte ihren bärbeißigen Vater.

      „Ach Papa, wir kommen doch wieder! Und es ist ja nicht so als würde ich gehen wollen, weil ich euch nicht mehr lieb habe, verstehst du? Aber ich muss das tun. Ich muss herausfinden, was in den Wäldern auf mich wartet.“ Dawns Vater schloss seine Tochter so fest in die Arme, dass dieser die Luft zum Atmen weg blieb und plötzlich stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie hätte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, ihre Eltern zu verlassen! Doch die Entscheidung war gefallen, das spürte sie und sie würde das Beste daraus machen.

      Als sie Stunden später allein mit Corus in ihrem Zimmer saß, war sie ganz benommen von den vielen Abschiedsworten, die sie mit allen getauscht hatte. Madame Fate war den ganzen Abend seltsam ruhig gewesen, doch bevor sie gegangen war, hatte sie Dawn kurz beiseite genommen. „Um der Weisheit Talos’ Willen, Kind, ich beschwöre dich, tu es nicht, du rennst in dein Unglück.“ Dawn ärgerte sich. Immerhin waren es ihre Worte gewesen, die sie auf die Idee gebracht hatten! Als sich schließlich alle zurückzogen, hatte sie Corus bedeutet noch zu bleiben.

      „Hör zu“, meinte sie jetzt. „Ich weiß das wirklich zu schätzen, dass du mitkommen möchtest… Aber du brauchst das nicht zu tun.“ Es fiel ihr schwer, das zu sagen, denn in Wahrheit wusste sie nicht, ob sie ohne ihn den Mut finden würde wirklich zu gehen, doch sie wollte auch nicht das Gefühl haben, dass sie ihren Freund zu etwas zwang.

      „Schon mal auf die Idee gekommen, dass ich mitkommen möchte?“, fragte er mit seinem schiefen Grinsen. „Du brauchst jemanden der auf dich achtet, auch wenn du das selbst nicht glaubst.“ Dawn boxte ihm vorsichtig in die Rippen, doch dann geriet sie aus dem Gleichgewicht, als er sie plötzlich ganz nah an seinen Körper heranzog und ihre Lippen vorsichtig mit den seinen streifte. „Schlaf gut, Dawn“, meinte er; dann verschwand er so schnell aus dem Zimmer, dass Dawn völlig überrumpelt die geschlossene Tür anstarrte. Langsam hob sie ihre Hand und legte die zitternden Finger an die Lippen. Plötzlich musste sie grinsen. Lange stand sie so da, bevor sie zu ihrem Bett ging. Sie kniete nieder und holte einen Gegenstand heraus, der unter der Matratze versteckt gelegen hatte. Vorsichtig hielt sie es in die Luft – ihr Schwert. Sie hatte nicht einmal Corus von ihrem Schatz erzählt. Nein, dieses Schwert gehörte ihr ganz allein. Es fühlte sich richtig an es zu halten, als sei das der Zweck ihres Seins, als sei dieses Schwert der Zweck ihres Seins.

      Crystal saß gemeinsam mit ihren Reisegefährten auf einer Wiese. Lucthen hatte diesen Platz für eine kurze Rast ausgewählt und Crystal gefiel er ausnehmend gut. Die weite, offene Fläche erinnerte sie an ihre Heimat. Felder waren in dieser Baronie selten; Forstklamm bestand hauptsächlich aus Wäldern und als Crystal früher an diesem Tag eine Bemerkung darüber gemacht hatte, dass es sie bedrückte vor lauter Bäumen den Himmel nicht sehen zu können, hatte Lucthen nur gemeint, dass das nichts war, im Vergleich zu dem, was sie in den Auen erwarten würde. Also genoss sie es, dass ihr hier die Sonne ungehindert ins Gesicht scheinen konnte. Crystal aß einen der saftigen Äpfel, die Corus gepflückt hatte und bewunderte Dawn. Diese lief gerade auf ihren Händen durchs weiche Gras. Fast schien es, als hätte die lebenslustige Gauklerin zuviel Energie; als könne ihr kleiner Körper sie nicht richtig bündeln und als müsse sie ständig in Bewegung bleiben, weil sie sonst bersten würde. Sie reisten nun schon den zweiten Tag gemeinsam und gestern Abend hatten sich die beiden Frauen ein Zimmer geteilt. Dawn hatte pausenlos vor sich hingeplappert und Crystal hatte sich richtig wohl gefühlt. Lucthen war ein angenehmer Reisegefährte und Crystal wollte ihn nicht missen, doch er war immer so schrecklich ernst und vernünftig. Dawn hingegen war erfrischend unvernünftig und das tat manchmal gut. Crystal bereute es nicht, dass die beiden Gaukler sie nun begleiteten, zumal sie auch den blonden Jungen, der Dawn nie aus den Augen zu lassen schien, gut leiden konnte, doch die Stimmung zwischen Lucthen und Corus wurde ständig angespannter. Crystal konnte fühlen, dass ein Gewitter bevorstand, doch sie hatte keine Ahnung, warum die beiden Männer gar so feindselig waren. Als sich Lucthen, der gerade die Pferde in einem nahe gelegenen Bach getränkt hatte, zu ihnen setzte, versteifte sich Corus merkbar. Crystal unterdrückte ein genervtes Stöhnen. Unangenehmes Schweigen senkte sich über die Runde, das sogar Dawn zu spüren schien. Sie hörte damit auf irgendwelche Verrenkungen zu vollführen und setzte sich neben Corus ins Gras.

      „Warum wurdest du nicht ausgebildet?“, fragte Lucthen schließlich mit täuschend sanfter Stimme.

      „Wer sagt, dass ich begabt bin, Magus?“, entgegnete Corus barsch.

      „Ich sage es.“ Corus wirkte daraufhin verunsichert und Crystal runzelte verständnislos die Brauen. Was ging es Lucthen an, warum Corus nicht in einer Akademie gewesen war? Crystal glaubte schon, Corus würde gar nicht mehr reagieren, als er schließlich die Achseln zuckte.

      „Was geht es dich an?“ Crystal hasste es, wenn sich jemand stritt. Sie musste einschreiten.

      „Woher willst du wissen, dass er begabt ist?“, fragte sie an Lucthen gewandt. Dieser hielt seinen Blick jedoch starr auf Corus gerichtet.

      „Alles ist Magie. Luft, Erde, Menschen, Tiere, sogar das Meer. Alles, was existiert, ist Teil des magischen Gewebes; alles was ist, existiert nur durch Magie. Es gibt in jedem Menschen einen Funken Magie, ein Funken, der mit dem magischen Netz verbunden ist.“ Lucthens Stimme klang, als würde er aus einem Lehrbuch zitieren und er ließ Corus dabei nicht aus den Augen. „Bei einem Begabten ist die Magie nicht nur ein Funken. In seinem Körper laufen die Fäden der Magie wie Blut, das durch den Körper zirkuliert, mehr oder weniger, je nach seiner Stärke. Über seinen Körper kann der Begabte in das Netz um ihn herum eingreifen. Ein Begabter ist wie ein Mensch, der in einem See schwimmt: jede seiner Bewegungen wühlt das Wasser auf und wird ans Ufer getragen, denn das Wasser überträgt sie, wie das Netz die Bewegungen eines Begabten überträgt. Das Hauptziel der Ausbildung besteht nicht darin Zauber zu lernen, sondern darin seinen Körper zu Wasser zu machen, so dass man sich darin bewegen kann, ohne Wellen zu schlagen. Vom Standpunkt der Magie aus macht es keinen Unterschied, ob die Fäden in der Luft oder im Körper eines Menschen verlaufen. Jede Bewegung, die ein Begabter macht, hat Auswirkungen auf das Gewebe um ihn herum. Ein Begabter, der nicht ausgebildet wurde, ist gefährlich.“

      „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass ich vielleicht nicht freiwillig auf die Ausbildung verzichtet habe?“,