Smila Spielmann

Die lichten Reiche


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erst vor kurzem den Schankraum betreten hatten. Dawn folgte seinem neugierigen Blick und wusste gleich, was Corus’ Interesse geweckt hatte. An einem Tisch in der Ecke saß ein großer, dunkler Mann in Magiroben; neben ihm hatte eine hübsche, rothaarige Frau Platz genommen. „Jetzt bist du wohl froh, dass der Magus erst aufgetaucht ist, nachdem die Vorführung vorüber war, was?“, fragte Dawn um ihren Freund zu necken. Als sie seinen verletzten Gesichtsausdruck bemerkte, lenkte sie jedoch sofort wieder ein. „Komm, wir setzen uns zu ihnen.“ Corus schien nicht allzu begeistert, doch Dawn zog ihn einfach mit sich. „Guten Abend und möge das Licht eure Wege erleuchten“, grüßte Dawn, als sie bei dem Tisch angekommen waren, an dem die beiden Fremden saßen.

      „Mögen die Lichten ihre schützende Hand über euch halten“, erwiderte der Mann höflich.

      „Können wir uns vielleicht zu euch setzen?“, fragte Dawn. Beide nickten und so setzte sich Dawn ihnen gegenüber auf eine Bank. Corus stand etwas linkisch neben ihr, bis Dawn seine Hand packte und ihn zu sich zog. „Ihr seid wohl auch nicht von hier?“, fragte sie ungeniert.

      „Ich komme aus der Baronie Kornthal“, entgegnete die Frau. Sie hatte eine schöne, sanfte Stimme und Dawn unterzog sie interessiert einer eingehenden Musterung. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, als hätte sie sich in letzter Zeit zuviel zugemutet, doch ansonsten war ihr Gesicht makellos schön; überhaupt hielt sie sich wie eine Königin, fand Dawn. Gerader Rücken, sparsame, grazile Bewegungen und das Haar ordentlich hochgesteckt. Sonst nie um Worte verlegen, fühlte sich Dawn plötzlich unwohl. Überdeutlich wurde sie sich dessen bewusst, dass ihr dunkler Zopf unordentlich über ihre Schultern fiel, dass die Leinenbluse lange nicht mehr gewaschen worden war und dass ihre Beine ungehörigerweise in engen Hosen steckten.

      „Und woher kommt ihr?“, fragte die Frau interessiert.

      „Von hier und da“, erklärte Corus. „Wir sind Gaukler – die haben kein Zuhause.“ Dawn zuckte zusammen. Normalerweise schämte sie sich nicht für das, was sie war, doch in den Augen der Lady wollte sie nicht die Reaktion der meisten Leute sehen, welche ihnen zu verstehen gaben, dass sie ihrer Meinung nach weniger wert waren, als all die ‚anständigen Leute’. Doch die Fremde dachte gar nicht daran Dawns Vorurteile zu bestätigen. Begeistert klatschte sie in die Hände.

      „Wie aufregend! Bestimmt habt ihr schon viel erlebt und gesehen!“ Dawns Augen verengten sich prüfend. Wenn diese Frau sich über sie lustig machte… Doch Dawn konnte nichts als ehrliches Interesse feststellen und tiefe Dankbarkeit erfüllte sie. Kurz wunderte sie sich über die eigenartige Wirkung, welche die Fremde auf ihren Seelenfrieden ausübte, doch dann zuckte sie nur mit den Schultern und grinste über ihre eigene Dummheit. „Wie schade, dass wir die Aufführung verpasst haben. Was macht ihr Beide denn?“, erkundigte sich die rothaarige Frau, der es nicht ganz gelang die Aufregung aus ihrer Stimme zu verbannen.

      „Corus ist Zauberkünstler“, erklärte Dawn. Ihr Freund saß stumm neben ihr und schaute schüchtern den Magus an, der seinen Blick mit unbewegter Miene erwiderte. „Ein ziemlich guter sogar“, setzte sie hinzu. „Und ich selbst jongliere ein bisschen.“

      „Das finde ich aufregend! Ich bin leider schrecklich ungeschickt!“, meinte die Fremde, was dem Magus die erste Reaktion entlockte: eine amüsiert hochgezogene Augenbraue.

      „Du bist nicht ungeschickt, Crystal“, widersprach er leise, aber bestimmt. „Niemand, der dich spielen gehört hat, würde das je denken.“ Die Frau, die anscheinend Crystal hieß, winkte ab.

      „Wenn ich eine Harfe in der Hand halte geht es einigermaßen, das stimmt. Aber sonst…“ Jetzt musste sogar Corus grinsen, auch er schien von der Lady fasziniert zu sein.

      „Mein Name ist übrigens Corus und das freche Gör ist Dawn.“ Die junge Gauklerin stieß ihn mit dem Ellbogen in die Rippen, doch nicht zu fest, schließlich fand sie es gut, dass er endlich den Mund aufbrachte.

      „Die Lady in meiner Begleitung ist die Baronin des Kornthales, Lady Crystal Trenmain, und mein Name ist Lucthen Amortis“, stellte der Magus die Beiden vor und Dawn stockte der Atem. Eine Baronin! Sie hatten sich einfach an den Tisch einer Baronin gesetzt! Einen Moment lang herrschte Schweigen, was der Magus anscheinend befriedigt zur Kenntnis nahm. Dawn hätte schwören können, dass auf seinen Lippen ein kleines, zufriedenes Lächeln lag. Na, der würde sie schon noch kennen lernen, wenn er dachte, dass sie sich von Titeln einschüchtern ließ! Sie stellte beide Füße auf die Bank und umschlang ihre Beine mit den Händen.

      „Würdet Ihr uns etwas vorspielen, Baronin?“, fragte sie keck. Einen Moment lang sah es so aus, als wolle Crystal ablehnen, doch dann meinte sie:

      „Nur, wenn du versprichst mich wieder zu duzen und aufhörst mich Baronin zu nennen.“ Dawn lachte befreit. Die junge Frau war wirklich nett. Rasch nickte Dawn und so holte Crystal ihre Harfe hervor und begann zu spielen. Für gewöhnlich hatte Dawn nicht viel für Musik übrig. Sie war immer zu ungeduldig gewesen um ein Instrument zu lernen und ihre Stimme war nicht gerade als schön zu bezeichnen, doch Crystals Harfe und ihr Gesang schienen direkt zu ihrem Herzen zu sprechen. ‚Du musst nicht so tun, als wenn du alles allein schaffen könntest’, schienen sie zu sagen. ‚Wenn du willst, werden wir dir helfen, wir können Freunde sein…’ Dawn lauschte wie verzaubert und als die Bardin ihr Lied beendete, gab es nicht einen Menschen im ganzen Raum, der ihr nicht Beifall spendete. Crystal erhielt mehr Anerkennung als Dawn selbst, als sie die Messer hatte tanzen lassen. Zu ihrer Verblüffung konnte sie das neidlos hinnehmen und zugeben, dass Crystal die Anerkennung verdiente.

      „Wann reist ihr weiter?“, hörte sie Corus schließlich fragen.

      „Schon morgen Früh“, erklärte Lucthen.

      „Und wohin reist ihr?“ Der Magus verzog unwillig das Gesicht. Offensichtlich wollte er darüber keine Auskunft geben.

      „Nach Osten“, meinte er schließlich barsch. Dawn stockte der Atem. Das konnte doch nicht sein! Sie wandte ihren Blick Corus zu, sah seine entgeisterte Miene und mit einem Mal wusste sie, was sie zu tun hatte.

      „Crystal, nimm doch Vernunft an“, beschwor Lucthen die Frau vor ihm, die mit gelöstem Haar im Zimmer auf und ab schritt. Ihr Haar wehte wie eine Fahne hinter ihr her, doch sie schien sich der Ungehörigkeit ihres Aufzuges gar nicht bewusst zu sein.

      „Ich sehe nicht ein, warum sie uns nicht begleiten sollten“, sagte sie zum wiederholten Mal. „Sie haben eigene Pferde und sie haben angeboten sich an den Reisekosten zu beteiligen. Für mich klingt das alles sehr vernünftig.“

      „Es sind noch Kinder“, warf Lucthen ein. Crystal unterbrach ihre Wanderung und sah ihn verblüfft an.

      „Dawn ist kaum ein Jahr jünger als ich und obwohl Corus zugegebenermaßen nicht unbedingt so wirkt, bin ich sicher, dass er älter ist als ich.“ Sie hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt und sah ihn herausfordernd an. Lucthen unterdrückte ein verzweifeltes Stöhnen. Wer hätte gedacht, dass sich hinter der verschreckten und schüchternen Frau, die er kennen gelernt hatte, eine solch temperamentvolle und eigensinnige Person verbarg?

      „Ich kann sie wohl kaum daran hindern zufällig in die gleiche Richtung zu reisen, in die auch wir unterwegs sind“, knurrte er schließlich verbissen. Crystal lachte und ließ sich auf ihr Bett fallen. „Sie sieht aus wie ein zufriedenes Kätzchen, das gerade eine Schale Milch ausgeschleckt hat“, dachte er. Er konnte nicht verstehen, warum Crystal solch einen Narren an dem burschikosen Mädchen gefressen hatte. Dawn hatte keine Manieren und diese seltsamen Augen! Ein blaues Auge und ein braunes. Und erst dieser Junge! Er bewachte die Gauklerin wie einen kostbaren Schatz und schien ihr all ihre kleinen Frechheiten zu verzeihen. Lucthen wusste nicht, ob der so genannte Zauberkünstler tatsächlich für die Magie begabt war, aber er würde es herausfinden. Schließlich löschte er die Laterne und zog seine Robe aus. „Gute Nacht.“

      „Gute Nacht“, erwiderte sie und er konnte an ihrer Stimme hören, dass sie schon beinahe eingeschlafen war. Lucthen verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte zur Decke, ohne sie wirklich zu sehen. Nachts, vor dem Einschlafen, gestattete er seinen Gedanken zu dem Grund seiner Reise zu wandern und es war immer ihr Gesicht, das er sah, bevor er einschlief.