Smila Spielmann

Die lichten Reiche


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wisst.“

      Crystal war versucht einfach mit den Schultern zu zucken. Was hatte das damit zu tun und außerdem, woher sollte sie das wissen? Sie hatte bis vor wenigen Tagen die Baronie, in der sie geboren worden war, nie verlassen. Crystal nahm sich zusammen und blieb ruhig stehen; Respektlosigkeit war den obersten Talosreitern gegenüber – und Crystal vermutete, dass es sich bei den drei Männern um ‚die Drei’, die obersten Boten des Elfenkönigs, handelte – wohl nicht angebracht. „Ich weiß davon nichts, meine Herren. Mein Lehrer, der Meister Martim, ist zweifelsohne einer der bekanntesten und besten Liedmeister des Mittellandes.“

      Der Grauhaarige nickte. „Er spricht nur in den höchsten Tönen von Euch.“ Er seufzte. „Meister Martim konnte ja nicht wissen wie sehr er Euch dadurch schaden würde.“

      „Ich verstehe nicht…“, begann Crystal, doch der kleinste der Männer fiel ihr ins Wort. „Im letzten halben Jahr wurden in den Mittellanden bereits drei Liedmeister ermordet.“

      Crystal keuchte erschrocken auf; sie konnte sich bei allem Licht der Welt keinen Grund denken, warum jemand so etwas tun sollte – und dann verstand sie plötzlich, was diese drei Herren ihr zu sagen versuchten. Tränen stiegen in ihre Augen und Crystal hatte nicht die Kraft sie wegzublinzeln. Lucia, die dunkelhaarige Schönheit, und ihr geliebter Bruder waren ihretwegen gestorben! Sie und sie allein war das Ziel dieses Angriffs gewesen. Crystal schlug die Hand vor den Mund. Wirre Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Wenn Rhys an jenem Abend nicht in ihrem Gemach gewesen wäre, wenn sie Thorbens Antrag angenommen hätte... dann wäre ihr Bruder nicht bei ihr gewesen, dann hätte Lucia in seinen Armen geschlafen und Beide wären noch am Leben.

      „Euch trifft keine Schuld, Lady Crystal“, riss eine strenge Stimme sie aus dem Strudel der Verzweiflung, in dem sie zu versinken drohte.

      „Wie könnt Ihr das sagen!“, rief sie außer sich. Der Gedanke an Höflichkeit war längst vergessen. „Diese Frauen waren meinetwegen in der Burg. Wenn ich nicht wäre, dann würden Rhys und Lucia noch leben!“

      „Frauen?“

      Das Wort wurde so scharf hervorgestoßen, dass Crystal blinzelnd zu dem Sprecher aufschaute. Sie begriff, dass bisher noch kein Opfer Gelegenheit gehabt hatte, seine Angreifer zu beschreiben. Crystal nickte hastig. „Drei Frauen mit Tüchern vor dem Mund. Sie hatten eigenartig gekrümmte Schwerter und alle drei trugen Hosen.“

      „Lady Crystal, bis wir wissen um wen es sich bei den Angreifern handelt, seid Ihr und alle die bei Euch sind, in Gefahr.“ Der Blick des kleinen Mannes ruhte mitleidig auf ihr als Crystal langsam begriff, dass sie nicht zur Burg zurückkehren konnte. Sie dachte an die kleine Joy und nickte entschlossen. Egal was es sie selbst kostete, sie würde das Mädchen nicht in Gefahr bringen. Doch wo sollte sie hingehen?

      Der Mann, der sich bisher zurückgehalten hatte, trat nun näher an sie heran. „Deshalb haben wir eine Bitte an Euch. In den östlichen Wäldern, tief in den Auen, lebt ein Magus, der uns vielleicht helfen kann. Lucthen Amortis, ein Lehrer der hiesigen Akademie, wird sich in den nächsten Tagen auf eine Reise in die östlichen Wälder machen und wir halten es für eine gute Idee, wenn Ihr ihn begleiten würdet.“

      Crystal sah von einem zum anderen. Sie schienen diesen Vorschlag tatsächlich ernst zu meinen. In ein anderes Reich reisen! Ihr Bruder hätte sie ausgelacht, wenn sie ihm einen solchen Vorschlag unterbreitet hätte. Nicht einmal Meister Martim hatte die Grenzen des Mittellandes hinter sich gelassen und der hatte sein gesamtes Leben auf Wanderschaft verbracht. Sie wusste nichts über die Auen, außer dass ihre Königin Eidos hieß und dass das gesamte Gebiet von Wald bedeckt war. Ob sie dort überhaupt die Tradition des Liedsangs kannten? Crystal sah aus den Augenwinkeln, wie die drei Männer sich vielsagende Blicke zuwarfen. Schweigend gaben sie ihr Zeit für ihre Entscheidung. Crystal senkte den Blick, nur um die Männer unauffälliger beobachten zu können. Der Graumelierte hielt doch tatsächlich den Atem an! Die anderen Beiden tauschten bange Blicke, die von Hoffnung und Angst sprachen. Crystals Verstand arbeitete fieberhaft. Warum konnte es für diese Herren von solcher Bedeutung sein, ob sie ihren Vorschlag annahm oder ablehnte? Da musste mehr dahinter stecken als sie zugaben. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie wollten sie aus dem Reich haben, weil sie überall eine Gefahr darstellen würde! Crystal schluckte hart. Sie konnte nur hoffen, dass die Attentäter sie nicht bis in die Auen verfolgen würden.

      Mit langen Schritten durchmaß Lucthen wohl zum hundertsten Mal das Zimmer. Ihm schien es, als würde er schon seit einer Ewigkeit warten. Dabei könnte er schon seit Tagen unterwegs sein! Er schnaubte ärgerlich. Diese Verzögerung gefiel ihm ganz und gar nicht; vor allem, da er sie nicht verstand. Als ihm sein Vater in jener Nacht erzählt hatte, wo er Liisatiina finden könne, war sein erster Impuls gewesen sich auf ein Pferd zu schwingen und Richtung Osten zu reisen. Sein Vater hatte ihn unter Aufbietung all seiner Überredungskünste davon überzeugt, dass es klüger wäre mit der Genehmigung des Königs zu reisen. Als Lehrer an der Akademie des blauen Zweiges stand er indirekter Weise in den Diensten des Königs und so hatte er ihn um Erlaubnis zu fragen, wenn er ein anderes Reich bereisen wollte. Also hatte er seine Ungeduld gezügelt und um eine Audienz bei den drei obersten Talosreitern gebeten. Zu seiner Überraschung war er bereits für den nächsten Tag in den zweiten Ring bestellt worden und hatte seine Bitte vortragen können. Seine wahren Beweggründe hatte er wohlweislich verschwiegen; er hatte den Reitern erklärt, dass er auf Bildungsreise gehen wollte um die Magie der Druiden zu studieren, die tief in den Wäldern von Eidos’ Reich lebten. Man hatte seine Bitte angehört und entschieden, dass er gehen durfte – unter einer Voraussetzung: dass er eine junge Baronin bis zu einem Magus begleitete, der in den östlichen Wäldern lebte. Lucthen hatte zwar keine Ahnung welche Geschäfte eine Baronin mit einem Magus aus den Auen haben konnte, doch solange er nur gehen durfte, wollte er gerne ein paar Wochen lang das Kindermädchen für eine junge und mit Bestimmtheit schrecklich verwöhnte Adelige spielen.

      Doch sie hatte sich Zeit gelassen. Den dritten Tag wartete er nun darauf, dass sie endlich kam und mittlerweile hatte er einen ziemlichen Groll gegen die unbekannte Dame entwickelt. Vor einer Stunde hatte ihn die Nachricht erreicht, dass sie gerade bei den Dreien sei und dass er sich bereithalten solle; seitdem saß er wie auf Nadeln. Endlich öffnete sich die Tür und ein Talosreiter bat ihn in die Halle, die er vor wenigen Tagen zum ersten Mal gesehen hatte. Die Drei erwarteten ihn. Vor ihnen stand eine schlanke, ziemlich hochgewachsene Frau, die das rote Haar ordentlich aufgesteckt hatte und in ihrem grünen Kleid ganz ansehnlich war. Sie wandte sich ihm zu und ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Moment. Lucthen korrigierte seine Einschätzung. Sie war nicht ganz ansehnlich, sie sah gut aus. Ein zartgeschnittenes Gesicht mit großen Katzenaugen und weißer Haut. Der Ausdruck in ihren Augen war schwer zu deuten. Lucthen schienen sie dumpf zu sein. Hübsch, aber nicht besonders klug, mutmaßte er. „Lady Crystal wie ich vermute“, meinte er, als er sie schließlich erreicht hatte. „Es freut mich Euch kennen zu lernen.“

      Die Frau nickte nur stumm und reichte ihm ihre Hand. Hatte eine Nachricht, die sie gerade erhalten hatte, sie so schockiert oder war sie immer so geistesabwesend?

      „Wann könnt Ihr reisefertig sein, Lady Crystal?“, erkundigte sich einer der Drei.

      „Ich… eigentlich sofort“, gestand sie.

      „Wenn Ihr wollt, wird der Magus Lucthen Euch sicher auch nach Kornthal begleiten um Eure Sachen zu holen.“

      „Das wird nicht nötig sein. Ich habe alles Nötige bei mir.“

      Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und ihr Gesicht verzog sich bei diesen Worten schmerzhaft. Interessant. Lucthen fragte sich, was geschehen war, dass sie in solche Aufregung versetzt hatte. Nun, er würde während der Reise genügend Zeit haben, es herauszufinden.

      Es schien niemand in der Nähe zu sein. Vorsichtshalber wartete Dawn bis die Sonne ganz untergegangen war, dann näherte sie sich ihrer Entdeckung. Vor zwei Tagen hatte sie zufällig den Hügel entdeckt. Er hatte sie wie magisch angezogen und Dawn neigte dazu, ihren Impulsen nachzugeben. Also war sie ihrem Instinkt gefolgt und auf den Hügel geklettert. Er hatte eine eigenartige Form – wie eine Halbkugel, die im Boden steckte. Irgendwie perfekt; zu perfekt für einen Hügel. An der höchsten Stelle hatte sie eine Steinplatte