Axel Birkmann

Blutiges Freibier


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er das? Eifersüchtig? Es konnte ihm ja eigentlich egal sein, was seine Kollegin alles in ihrer Freizeit tat oder nicht tat. Oder etwa nicht? Er fühlte sich ertappt. Er sagte nichts und zog Melanie auf den Festplatz.

      »Lass uns noch vorher eine Runde Kettenkarussell fahren«, wechselte er das Thema. »Komm Melanie, ich lade dich ein.«

      Melanie hatte verstanden. Dieses Thema war ihm peinlich. Auch wenn ihr Kreiti das niemals bestätigt hatte oder jemals bestätigen würde, er war wirklich eifersüchtig. Er mochte sie, und dieses weit über ihre polizeiliche Kollegialität hinaus. Doch für ihn gab es eiserne ungeschriebene Gesetze, an die er sich mit aller Kraft hielt. Job ist Job und Schnaps ist Schnaps. Er würde nie etwas mit einer Kollegin anfangen, also niemals etwas mit ihr. Und das war auch gut so. Obwohl es ihr auch ab und zu leid tat. Alois war ein gut aussehender Mann, wenn er sich entsprechend kleidete und sich pflegte. Doch er war privat wie ein Vorhängeschloss. Man brauchte einen Schlüssel oder einen Dietrich, um ihn zu öffnen. Und diese Dinge hatte sie noch nicht.

      Das Kettenkarussell ließ ihre Gedanken in die noch warme September Abendluft treiben. Ihr Rock wehte ihr um die Waden und zeigte einen Teil ihrer nackten Beine. Es fröstelte sie leicht um die Schultern, aber die schnell drehende Bewegung und der frische Fahrwind in ihrem Gesicht brachten sie auf ganz andere Gedanken.

      Rainer Zeidler erwartete sie am Eingang des Festzeltes. Wie besprochen.

      Er sah aus wie ein Wilderer. Eine lange dunkle Lederhose, geschnürte Bergschuhe, ein grünes Leinenhemd und darüber eine Strickjacke mit Fellbesatz, und zu guter Letzt noch ein Filzhut mit Gamsbart auf seinen zu einem Pferdeschwanz zusammen gebundenen Haaren, ließen ihn aussehen wie aus einem bayerischen Heimatstück. Der Jäger von Fall oder der Wildschütz Jännerwein.

      Alois schluckte einen Aufschrei und ein Auflachen leise und heimlich hinunter und begrüßte ihn höflich. Neben Rainer stand Josef Schurig, auch ganz in Tracht. Nur nicht so burschikos. Eher elegant. Also ob er in die Kirche gehen wollte. Josef Schurig trug einen dunkelblauen Lodenanzug, dazu schwarze glänzende Haferlschuhe und ein weißes Hemd mit Stickereien.

      Kreithmeier musste sofort an eine Fernsehsendung der späten 60 er und Anfang der 70 er Jahre denken: Das Königlich Bayerische Amtsgericht. Besonderes Markenzeichen der Serie war der stets schnupfende Amtsrichter August Stierhammer, der manchmal eigenartige und listige Methoden der Prozessführung an den Tag legte. Die beiden erinnerten ihn daran. Rainer der Wilderer und der Schurig als sein Verteidiger. Und er, der Alois, er würde der Richter sein. Und beide verurteilen. Er erinnerte sich an den letzten Spruch am Ende jeder Folge, immer von Gustl Bayrhammer gesprochen: »Ob Freispruch oder Zuchthaus – und auf die Guillotin' hat unser Herr Rat eh niemanden geschickt.«

      »Grüßt euch!«, sagte Rainer Zeidler zu den beiden Kommissaren, als sie plötzlich vor ihm standen. »Sauber seht’s aus. Kernig. Und des Dirndl. Melanie, alle Achtung. Siehst aus wie die Hallertauer Hopfenkönigin.«

      »Danke für die Blumen«, gurrte Melanie zurück.

      »Und die Dirndlschleife auf der linken Seite, also noch zu haben«, gluckste Rainer.

      Melanie lachte und antwortete ihm auf sächsisch hochdeutsch. »Ja meen Gutster. Des mit diesen Schleifen, da ist es wie mit der sprichwörtlichen schwarzen Katze: Schleife links, Glück bringt’s! Gell.«

      »Stimmt!«, bestätigte der Zeidler. »Denn wenn die Dirndlträgerin ihre Schürze auf der linken Seite bindet, ist sie ledig und noch zu haben. Anbandeln ist in diesem Fall also erlaubt oder sogar erwünscht! Und was geht heute noch so Melanie?«

      »Hör auf zu blödeln«, mischte sich Alois Kreithmeier muffig ein. »Hast du einen Tisch für uns bekommen, Rainer?«

      »Was glaubst du denn? Eh klar.«

      »Es schuldet dir sicher jemand noch einen Gefallen?«, hakte Alois nach.

      Rainer blickte seinen Kollegen leicht verwundert an, dann sagte er nur kurz: »Mir nach.« Und lief voraus ins Zelt.

      Melanie, Alois und Schurig folgten ihm.

      Das Festzelt war soweit Alois sehen konnte, fast schon voll. Überall saßen Leute, teilweise in Tracht, aber auch nur in Freizeitkleidung, mit Jeans, Lederjacke und Turnschuhen. Er wäre also mit seiner normalen Kleidung nicht aufgefallen.

      Das Zelt war riesengroß. Ähnlich einem Bierzelt auf dem Oktoberfest in München. Feste Seitenwände aus Holz mit richtigen Fenstern. Eine Bühne auf der rechten Seite und einen hölzernen Balkon mit Boxen auf der linken Seite. Und der Vordereingang konnte geöffnet werden. Vor dem Zelt standen wie in einem Biergarten, weitere Tisch- und Sitzbankgarnituren, an denen Gäste bei schönem Wetter Platz nehmen konnten. Für die unter Umständen schon recht kühlen Spätsommerabende hatte der Wirt Gasstrahler aufgestellt, die dementsprechend Wärme abgeben sollten. Doch heute Abend war es noch angenehm warm und der eigentliche Rummel würde im Zelt statt finden, wenn in wenigen Minuten die Band Dolce Vita die Festzeltgäste auf die Bänke trieb. Dann würden 6.000 Menschen auf den Bänken stehen und grölen. Und sich immer wieder mit Bierkrügen zuprosten.

      Wenn Alois an die Schallwelle dachte, die sich in den nächsten Stunden durch das Zelt wälzen würde, dann wurde ihm ganz anders. Am Liebsten hätte er sofort kehrt gemacht und wäre nach Hause geflohen, die Kleidung ausgezogen und sich zu seinem Hund auf die Coach geschneckelt und lieber irgendeinen Schwachsinn im Fernsehen angesehen, als mit seinen Kollegen die »Krüge hoch« gerufen.

      Rainer hatte einen Tisch nicht weit entfernt von der Theke, eine an der Längsseite des Zeltes entlang gehende Absperrung, hinter der gekocht, gebraten, angerichtet und ausgeschenkt wurde. Eine Armada an Bedienungs- und Küchenpersonal sollte dafür sorgen, dass keiner der Gäste verhungern oder verdursten musste.

      Bayerische Schmankerl und frisch gezapftes Freisinger Bier.

      Polizeiwachtmeister Dallinger und drei seiner Kollegen, die heute nicht zum Dienst auf dem Volksfest eingeteilt waren, saßen schon am Tisch und begrüßten herzlich die beiden Kriminaler und die Herren der Spurensicherung.

      Alois mochte den Dallinger nicht so besonders. Er hatte für ihn ein loses Mundwerk und war dafür berühmt, nichts aber auch gar nichts für sich zu behalten und jedem möglichen Gerücht weitere Nahrung zu geben. So hatte er zum Beispiel vor einem halbem Jahr auf dem Polizeirevier verlauten lassen, dass Alois und Melanie ein Paar wären, nur weil er sie einmal engumschlungen gesehen hatte. Das ging bis nach Erding und bis zur Staatsanwältin Lehner nach Landshut, der daraufhin nichts Besseres einfiel, Melanie Vorhaltungen über ihre Beziehung zu ihrem Chef zu machen. Nur es war nichts. Rein gar nichts. Alois machte gute Meine zum bösen Spiel und grüßte die Uniformierten herzlich, die alle vier in Lederhose und Trachtenjanker schon mit einer Maß Bier vor sich am Tisch saßen.

      »Habe die Ehre, Kollegen«, grüßte er knapp.

      Vielleicht sollte er mal eine Eingabe ins Innenministerium machen, dachte er, als er das vierblättrige Kleeblatt vor sich sitzen sah, dass die Polizisten während der Wiesen in Dirndl und Lederhose Dienst verrichten sollten. Die Lufthansa, fast alle Hotels in München und Umgebung und andere Firmen, statteten längst während dieser Tage ihre Mitarbeiter mit dieser Art Verkleidung aus.

      Sie setzen sich. Kurze Zeit später stand eine junge Asiatin vor ihnen und bat um die Bestellung. Als sie wenige Augenblicke später den Neuankömmlingen jeweils eine Maß Bier auf den Tisch gestellt hatte, konnte der Dallinger nicht seine Klappe halten.

      »Jetzt samma in einem bayerischen Bierzelt und wen hamms als Bedienung?«, brummte er grantig in sein Bierglas. »A Schlitzauge. Ja wo samma denn. Hammer denn keine Bayern, die im Bierzelt oarbeitn wolln?«

      »Ich weiß es nicht«, antworte Melanie. »Aber in den meisten Biergärten in München arbeiten doch auch keine Bayern mehr. Vielleicht gerade noch in der Paulaner Werbung. Aber in Natura. Da wird sächsisch, schwäbisch, platt und berlinerisch gesprochen.«

      »Des sogt grod di Richtige.« Dallinger lachte laut auf und prostete Melanie zu.

      »Richtig, Dallinger. Prost. Auch wenn du ein waschechter Bayer bist, leg dich niemals beim Trinken mit einer Ostdeutschen