Axel Birkmann

Blutiges Freibier


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mit Melanie. »Sie sollen ja den Burger vom BLKA böse abgefüllt haben.«

      »Das ist ja schon ewig her. Vergiss es Dallinger. Vergiss es ganz einfach.«

      Ihre letzten Worte gingen in der Lautstärke unter, die jetzt von der Bühne am anderen Ende des Zeltes herkam. Dolce Vita hatte begonnen zu spielen. Es war Dienstag, der 11. September 2013.

      Und Alois hörte zu. Er merkte es den fünf Musikern an, dass es ihnen Spaß machte auf der Bühne zu stehen, was sich schnell auf das Publikum im Freisinger Festzelt übertrug. Kurze Zeit später stand alles auf den Bänken. Melanie zog ihn plötzlich am Arm hoch und so musste auch er zum Rhythmus der Musik zuckend auf dem schmalen hölzernen Brett stehen.

      Von zünftig bayrischen Schunkelliedern, Schlagern und Evergreens über aktuelle Hits bis hin zu klassischen Rocknummern: Alles war dabei.

      Immer wieder schubste Melanie ihren Kollegen mit der Hüfte an und umschlang seinen Hals bei besonders schönen Musiktiteln. Bei dem alten Kiss-Titel »I was made for loving you, baby«, busselte sie ihn regelrecht ab. Bei einem Song, der von einem Bob handelte wiegten sich alle im Bierzelt nach den Richtungsangaben des Sängers. Links zwo drei und Rechts zwo drei. Alois konnte nur staunen über die Ausgelassenheit des Freisinger Publikums. Überwiegend Jugendliche. Vor allem hübsche Mädchen im Dirndl und ausgeschnittenen Dekolletees. Nett anzusehen. Langsam war er froh, dass er mit seiner Kluft dazu gehörte. Und je rockiger die Band aufspielte, desto ausgelassener war die Stimmung an ihrem Tisch.

      Bei einem Volksmusikstück versuchte sich Rainer Zeidler mit einem Schuhplattler. Er hieb sich mit der flachen Hand lauthals schreiend und jodelnd auf die Oberschenkel und wäre dabei beinahe von der Bank gestürzt, wenn ihn nicht sein Kollege Schurig noch rechtzeitig gehalten hätte.

      Ein Höhepunkt des Abends war sicherlich das jährlich wechselnde Showprogramm mit umgetexteten Liedern, Parodien und Darstellungen großer und bekannter Künstler und Persönlichkeiten. Die Vielseitigkeit der einzelnen Musiker war kaum zu überbieten und garantierte ein äußerst abwechslungsreiches Repertoire. Es war für Alois auch nicht weiter verwunderlich, dass die Band nun schon seit 24 Jahren in der gleichen Besetzung auftrat.

      Ein Garant für den Erfolg von Dolce Vita war nicht zuletzt das Gespür, das richtige Lied zum richtigen Zeitpunkt zu spielen. Ihr Einsatz modernster Ton- und Lichttechnik sorgte für einen angenehmen Sound und eine professionelle, ausgefeilte Lightshow.

      Mit der Kombination aus Musik, Show, Unterhaltung und Stimmung wurde Dolce Vita wieder einmal zu einem unvergesslichen Abend auf dem Freisinger Volksfest.

      Alle Rekorde gebrochen haben müsste der diesjährige Volksfestabend mit der Showband Dolce Vita. Das Bierzelt war komplett ausgebucht – an die 7.000 Besucher drängten sich an Tischen, auf den Bänken und in den Gängen. Und als der Regen einsetzte, strömten noch mehr unter die schützenden Vordächer. Nicht mehr zu toppen war auch die Stimmung: Vom ersten Song an gab’s kein Halten mehr. Und mitten drin unsere Freisinger Kommissare.

      Nach fast drei Stunden Musik, die Krüge hoch, Geschunkel und Getanze war alles vorbei. Um Mitternacht wurde das Licht im Zelt hell aufgedreht. Ordner und Bedienungen geleiteten die letzten Gäste hinaus. Die Küche war schon seit einer halben Stunde geschlossen und die letzten Maß Bier waren längst ausgeschenkt worden. Das Zelt leerte sich zügig. Die ersten Putzkräfte räumten die Tische auf, stellten die Bänke darauf und sammelten den Müll auf dem Boden ein.

      Dallinger war mit seinen Kollegen schon vor einer halben Stunde aufgebrochen. Alois, Melanie und die beiden von der Spurensicherung saßen noch. Irgendwie belämmert hockten sie am Tisch. Alois versuchte durch mehrmaliges in die Nase schnauben den Druck in seinen Ohren auszugleichen. Sie waren die letzten Stunden einer regelrechten Dauerbeschallung von weit über 100 Dezibel ausgesetzt worden. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie laut es vorne an der Bühne gewesen sein musste.

      Leicht irritiert starrte er in seinen leeren Bierkrug. Er war müde, hatte einen mehr oder weniger leichten Schwips. Es waren doch einige Maß gewesen und er hasste es, jetzt nach Hause laufen zu müssen.

      »Nehmen wir uns ein Taxi, Melanie, ich bin zu faul nach Hause zu gehen,« sagte er in seinen Krug.

      »Von mir aus«, antwortete sie. »Obwohl ein kleiner Spaziergang in der kühlen Nachtluft uns sicher gut tun würde.«

      »Melanie!«, flehte er müde.

      »Ist schon gut, Alois, ein Taxi, wenn wir überhaupt eines bekommen.«

      Die kleine Asiatin kam an ihren Tisch, schnappte sich die leeren Bierkrüge und sagte höflich: »Wenn ihr dann bitte auch gehen würdet, ich muss noch die Tische abputzen und morgen geht es gleich weiter. Auch ich bin müde.«

      »Ja, ja, wir gehen gleich!« Melanie stand auf, brachte mit den Händen ihr Dirndl einigermaßen in Ordnung und sagte zu den Kollegen: »Ihr habt es gehört, die machen jetzt gleich das Licht aus, lasst uns gehen.«

      »Ein geiler Abend. Lange nicht mehr so viel Spaß gehabt. Links zwo drei und Rechts zwo drei«, sang Rainer und stand auf. »Komm, Alois, pack ma’s. War doch Ends geil, oder?«

      Josef Schurig machte es seinem Kollegen nach und folgte ihm. Alois raffte sich hoch. Er blickte ein letztes Mal ins leere Festzelt. Er konnte es gar nicht fassen, wie hier gerade noch der Bär getobt hat. Tausende junger Leute auf den Bänken, geschunkelt, geschrien, gesungen und getanzt. Und jetzt war alles so ruhig.

      Seine Ohren surrten immer noch.

      Plötzlich zerriss ein Schrei die Stille.

      Aus dem Küchenbereich rannte eine Frau hysterisch schreiend in den Gastbereich. Sie schrie wie am Spieß immer wieder die gleichen Worte ins Zelt hinein. Die zum Aufbruch bereiten letzten Gäste, die die Tische abräumenden Bedienungen und die saubermachenden Hilfskräfte, blieben wie angewurzelt stehen und sahen zu der völlig aufgelösten Frau.

      Eine Frau um die Fünfzig, oder drüber, in Dirndl, mit hochrotem Kopf, weit aufgerissenen Augen, verzerrtem Mund, lief schreiend auf sie zu.

      Erst jetzt konnte man die undeutlichen Worte verstehen. Sie rief immer wieder: »Ein Toter, ein Toter, im Bierlager liegt ein Toter. Erschlagen. Der Wirt, ein Toter. Er ist tot. Tot. Tot.«

      Der Tote im Bierlager

      Melanie war die Erste, die sich sofort wieder unter Kontrolle hatte. Sie lief auf die Frau zu und stoppte sie in ihrer Bewegung.

      »Warten Sie, kommen Sie zur Ruhe! Was haben Sie da gerade geschrien?«, fragte sie die Frau und hielt sie mit beiden Armen fest.

      »Ein Toter, im Bierlager liegt ein Toter. Es ist der Chef. Er ist tot. Erschlagen.«

      »Wie heißen Sie?«, fragte Melanie ruhig und hielt sie immer noch fest.

      »Resi. Ich bin die Resi.«

      »Und weiter?«

      »Resi Kasbauer. Warum wollen Sie das wissen?« Die Frau sah Melanie mit roten weit aufgerissenen Augen an. Der Schock des grauslichen Fundes stand ihr im Gesicht geschrieben. Sie zitterte am ganzen Körper.

      »Mein Name ist Melanie Schütz. Ich bin von der Polizei. Und das sind meine Kollegen, Kreithmeier, Schurig und Zeidler.«

      »Polizei? Polizei?«, rief Sie erstaunt, »Sie wissen es also schon?« Die Frau blickte die vier Personen in Dirndl und kracherter Lederhose skeptisch an.

      »Wir waren heute nur in unserer Freizeit hier, deshalb der Aufzug. Keine Angst, wir sind wirklich von der Polizei.«

      Melanie kramte aus ihrer Filzhandtasche, die die Form eines kleinen Herzens hatte, ihren Dienstausweis hervor und hielt ihn Frau Kasbauer vor die Nase.

      »Sehen Sie, es hat alles seine Richtigkeit. So das hätten wir. Nun zeigen Sie uns bitte, was Sie entdeckt haben.«

      Das hysterische Schreien der Frau, und die Aktion Melanies, sie zu stoppen und zu beruhigen, war nicht unentdeckt im Zelt vorüber gegangen. Es war still geworden. Alle hatten mit