Norma Rank

Schlampe, Opfer, Schwein.


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Verbindung mit ihrem Mann für sie sein konnte. So saß ich bis in die frühen Morgenstunden vor der Kiste. Es wurde gerade hell, als ich mich hinlegte, um wenigstens noch ein bisschen zu schlafen. Ich war fix und fertig, aber stolz auf das Ergebnis.

      Um die Mittagszeit befand ich mich noch immer in der Tiefschlafphase, als mich das Telefon unbarmherzig aus meinen Träumen riss. Übermüdet nahm ich das Gespräch entgegen und staunte nicht schlecht, wer sich am anderen Ende der Leitung befand. Es war Mark!

      „Was kann ich für dich tun?“ Ganz so patzig, wie ich rüberkam, hätte es nicht klingen sollen, aber ich war zu kaputt fürs Theaterspielen.

      „Die Band spielt heute, und ich möchte dich zu dem Konzert einladen!“ Sollte ihm mein Unmut aufgefallen sein, ließ er sich zumindest nichts weiter anmerken. Ich schwieg.

      „Du könntest mir die Entwürfe einfach dorthin mitbringen!“ Aha, daher wehte der Wind. Auch wenn ich nach wie vor kaum aus den Augen gucken konnte, kehrten Wut und Scham schnell zurück.

      „Lass stecken, ich schick dir die Sachen in Kürze per Mail zu!“ Noch einmal würde ich mich nicht zum Deppen machen.

      „Hör mal, wegen gestern“, setzte Mark zu einer Erklärung an.

      Ich unterbrach ihn: „Mit gestern ist alles in Ordnung, ich vergebe so kurzfristig nur keine Termine!“ Nicht scharf, aber dennoch würzig platzte ich mit meiner Ansage heraus. Und wäre ich etwas wacher gewesen, hätte sie sicher souveräner geklungen, aktuell aber legte ich keinen großen Wert auf Etikette.

      „Oh, entschuldige! Du bist nicht allein, gell?“ Was meinte er? Ah, Tom. Meine Schwindelei.

      „Und wenn schon!“ Ich konnte nicht anders, als ihn in dem Glauben zu lassen. Zumindest verlangte es nicht nach einer Aufklärung.

      „Hör mal“, seine Stimme klang mit einem Mal sehr sanft, „ich muss mich bei dir entschuldigen. Natürlich hätte ich dich viel früher informieren müssen, dass meine Familie ebenfalls vorhatte zu kommen, und es tut mir sehr leid, dass ich dich ins kalte Wasser geschmissen habe! Das meine ich ehrlich! Aber Ramona war einfach nicht davon abzubringen und ich fürchtete, dass du nicht kommen würdest, wenn die zwei mit dabei sind!“ Das stimmte wohl!

      Noch immer sagte ich nichts. Was sollte ich darauf auch erwidern?

      „Ich wollte dich einfach gerne sehen, anders kann ich das nicht erklären! Auch bei der Geschichte mit dem Job ging es nicht in erster Linie um deine Hilfe, sondern darum, dass wir zusammenarbeiten würden! Abgesehen davon habe ich die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Du hast nie erzählt, dass du einen Freund hast!“ Ungelenk verstummte er.

      „Warum?“ Mein neues Lieblingswort in Zusammenhang mit Mark.

      „Weil ich dich gerne mag. Weil es mich stört, mir dich mit einem anderen Mann vorzustellen. Und weil ich mich sehr darüber freuen würde, wenn du heute kommst. Nach uns tritt noch eine andere Band auf, die ich mir gerne mit dir anschauen würde.“ Ich zwickte mich in die Backe, um zu überprüfen, ob ich auch tatsächlich wach war.

      „Ob das deine Frau auch freuen würde? Ich möchte sie wirklich nicht überstrapazieren!“ Und das meinte ich vollkommen ernst!

      „Keine Sorge, die ist mit Ramona auf irgendeinem Kinder-Casting. Sie plant neuerdings, auch noch unsere Kleine in diese Fashion-Maschinerie hineinzuziehen. Ich habe versucht, ihr das auszureden, allerdings ohne Erfolg.“ Er klang nachdenklich und aufrichtig geknickt. „Bitte, gib dir einen Ruck! Lass uns was zusammen trinken und Musik hören, unter Freunden, ich zahle auch!“ Als ob es aufs Zahlen ankäme!

      „Mark, ich hab meiner Mutter versprochen, sie heute zu besuchen!“ Mein letzter Versuch, aber selbst darauf ließ er sich nicht ein.

      „Wie lange bist du dort? Dann kommst du halt später. Mensch – wenn ich schon mal Zeit habe ...“

      Was sagt man dazu? „Nein“ wäre wohl die einzig richtige Antwort! Aber das schaffte ich nicht. Die Empörung, die ich noch vor wenigen Minuten verspürt hatte, war wie weggefegt. Immerhin ließ ich mich nicht dazu verleiten, die Sache mit Tom aufzuklären. Sollte er doch glauben, was er wollte.

      „Okay, wir telefonieren einfach, und wenn’s nicht zu spät ist, dann schaue ich mir zumindest die Kapelle nach euch noch mit dir an. Aber versprechen kann ich’s nicht!“ Eine weitere Dosis von Mark am Schlagzeug war einfach zu gefährlich und würde meine Selbstbeherrschung nur drastisch überstrapazieren! Aber was passierte da eigentlich mit uns? Woher kam der stete Wunsch, sich zu verabreden? Und dann seine merkwürdige Anspielung darüber, dass ihn mein Kontakt zu anderen Männern störte? Dass eine Freundschaft in dieser Konstellation nicht möglich sein würde, war streng genommen klar wie Kloßbrühe. Aber seine unverhohlene Erleichterung über meine Zusage räumte jegliche Bedenken beiseite, legte mein Hirn lahm und führte einzig und allein dazu, dass ich mir gedanklich bereits Wickler ins Haar drehte. Welch Irrsinn!

      Nachdem ich wusste, wo das Geschehen stattfinden würde, legte ich den Hörer auf und schlief eine weitere Runde.

      Noch in meinen Träumen gefangen, wanderten meine Gedanken bereits zum Kleiderschrank, krochen hinein und durchsuchten ihn nach etwas Passendem für den Abend. Und auch nach dem Erwachen half alles Bemühen nichts, ich freute mich auf Mark – nicht als Kollegen, nicht als Freund, sondern als Kerl, den ich gut fand. Gab es denn gar kein Gegenmittel, wie ich das hätte unterbinden können?

      Am liebsten wäre ich einfach liegen geblieben. (Wirklich?) Aber ich schleppte mich ins Bad und versuchte mühsam, während ich unter der Dusche stand, meine Gedanken zu ordnen. Glücklicherweise gab es noch viel zu tun, sodass ich kaum merkte, wie die Zeit verging. Und als ich endlich die zweite Variante für das Seniorenheim fertig hatte, blieb mir bereits nicht mehr viel Zeit. Ich druckte die Entwürfe aus, schlüpfte hastig in ein beiges, äußerst kurzes Kleid und schminkte mich.

      Bei der Wahl des Schuhwerks zögerte ich erst, entschied mich dann aber doch dafür, mutig zu sein, und zog meine „Schlampenstiefel“ an. Diesen Namen hat meine Mom dem Schuhwerk verliehen. Sie waren braun, reichten bis zum Knie und hatten einen zehn Zentimeter hohen Absatz. Zugegebenermaßen entsprach dieses Outfit nicht unbedingt einem geschäftlichen Anlass, aber ich fühlte mich ganz wohl damit. Schnell packte ich meine sieben Sachen zusammen und düste los.

      Um 19:30 Uhr traf ich bei meiner Mutter ein. Sie begrüßte mich herzlich, trat dann einen Schritt zurück und fragte belustigt: „Was machst denn du heute noch, oder hast du dich etwa für mich so in Schale geworfen?“ Warum nur durchschauen Mütter immer alles sofort?

      Errötend erzählte ich ihr von Marks Bitte, mich später zu sehen. Das Stirnrunzeln und ihr besorgter Blick verrieten mir sofort, wie skeptisch sie der Sache gegenüber stand. „Und? Wirst du hingehen?“

      „Warten wir erst mal ab, ob er sich überhaupt meldet“, versuchte ich auszuweichen. Insgeheim plante ich sehr wohl, ihn vorher anrufen zu lassen und nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn einfach hirnlos draufloszudüsen. Dem Alter eines Groupies war ich dann doch schon etliche Jahre entwachsen. Und egal, ob Chef oder wegen seiner Ehe strengstens verboten, im Grunde genommen sollte jeder Mann sich bis zu einem gewissen Grad ins Zeug legen, wenn es um ein Treffen mit einer Frau ging.

      Gütig nickte meine Mom mit dem Kopf und stellte abgeklärt fest: „Du wirst also hingehen.“ Seufzend bot sie mir etwas zu trinken an.

      Im Gegensatz zu mir legte meine Mutter eine Gelassenheit an den Tag, um die ich sie nur beneiden konnte. Während ich nervös, immer wieder auf die Uhr blickend, hin und her rutschte, konfrontierte sie mich vorsichtig mit den möglichen Konsequenzen meines Handelns. Als „Außenstehende“ betrachtete sie die Situation weit klarer und umfassender als ich. Und ihrer Ansicht nach gab es durchaus begründeten Anlass zur Sorge, dass Marks Zuneigung für mich bereits über eine geschäftliche Verbindung hinausreichte. Daher riet sie mir dringend, darüber nachzudenken, wie es um meine Gefühle für diesen Mann bestellt war. Sie hielt mich an, seine Familie bei meinen Überlegungen nicht zu vergessen und mich daran zu erinnern, wie wir vor Jahren von meinem Vater verlassen worden sind. (Wie könnte ich das je vergessen!)

      Jemand