Norma Rank

Schlampe, Opfer, Schwein.


Скачать книгу

nicht zu voll zu nehmen. Bei meiner Mutter aber tat ich das freilich nicht. Sie kannte mich weit besser als sonst ein Mensch auf der Welt, und ihre Lebenserfahrung würde ich nie untergraben. Neben der üblichen Mutter-Tochter-Beziehung verband uns seit Jahren eine enge Freundschaft, in der es keine Geheimnisse gab. Und als zweifach geschiedene Frau zählte sie unbedingt zu meinen wichtigsten Beratern in „Herzensangelegenheiten“.

      Das Gespräch mit dem Verweis auf meine eigene Vergangenheit wühlte mich ganz schön auf. Zwar stufte ich die Sichtweise meiner Ratgeberin im Moment noch als stark übertrieben ein, erkannte aber durchaus, was die Message dahinter war. Ich musste wirklich aufpassen und mir eingestehen, dass mein Verhalten Einfluss hatte auf alles, was passiert.

      Wie aber zog man in so einem Fall die Notbremse? Durch eine Kündigung? Durch Kontaktentzug? Und wo befand sich der Aus-Knopf für meine Gefühle? Oder machte ich mich nicht vielmehr lächerlich bei der Unterstellung, dass Mark überhaupt mehr für mich empfinden könnte? Zum momentanen Zeitpunkt erschien mir diese Idee nicht nur anmaßend, sondern regelrecht egozentrisch.

      Das Liebenswerte an meiner Mutter war, dass sie unschlagbare Tipps gab, solange es nicht sie selbst betraf. Wenn man sie aber auf ihre aktuelle, höchst komplizierte Affäre ansprach, versank sie von jetzt auf gleich im Chaos. Wie sich herausstellte, wartete sie ebenfalls auf einen Anruf. So saßen wir wie zwei Teenager zusammen auf der Couch, jede ein Telefon neben sich, und lachten über unser filmreifes Verhalten.

      Gegen elf rechnete ich nicht mehr damit, noch etwas von Mark zu hören, und erhob mich enttäuscht, um langsam den Heimweg anzutreten. Meine Mutter, deren Telefonat bereits stattgefunden hatte, wollte mich gerade damit trösten, dass es so bestimmt besser sei, als mein Handy klingelte. Und allen Vorsätzen zum Trotz jubelte ich innerlich, als hätte ich im Lotto gewonnen. Der Auftritt der „Cultures“ hatte offenbar länger gedauert als erwartet, nun aber wartete der Mann, der mich zum Schwitzen brachte, in der „Bongo Bar“ auf mich.

      Meinen schwächlichen Einwand „Es ist doch schon so spät“ überhörte Mark geflissentlich. Dagegen betonte er mit seiner ebenso rauchigen wie sexy Stimme aufs Neue, wie sehr mein Kommen ihn freuen würde. Doch nicht der Inhalt, sondern der Klang seiner Worte veranlasste mich letztendlich zu versprechen, in zwanzig Minuten da zu sein.

      Meine Mutter, die erkannte, wie machtlos ich in dieser Situation war, verabschiedete sich liebevoll und wünschte mir viel Spaß. „Aber versprich mir bitte, dass du auf dich aufpassen wirst!“, rief sie mir im Treppenhaus besorgt nach, aber ich hatte die Ohren bereits zugeklappt.

      Als ich aus dem Auto stieg, hatte ich vor lauter Aufregung triefend nasse Hände, weswegen ein kurzer Achselcheck vonnöten war, der die Qualität meines Deos aufs Neue unter Beweis stellte. (Die fünfzehn Euro hatten sich echt gelohnt!)

      Auf staksigen Beinen lief ich zittrig in Richtung „Bongo Bar“. Voller Vorfreude lauerte ich wie vereinbart im Eingangsbereich auf Mark. Das Warten kam mir endlos lange vor, zumal mein Outfit nicht gerade dafür bestimmt war, nachts alleine vor einer Bar zu stehen. Vor allem dann nicht, wenn man lästige Fragen vermeiden wollte, die darauf abzielten, ob man käuflich zu erwerben sei! Ungeduldig versuchte ich deshalb, meine Verabredung auf dem Handy zu erreichen, doch das war anscheinend ausgeschaltet – „temporary not available“. Hatte Mark mich etwa vergessen? Und weil wir schon dabei sind: Was tat ich überhaupt hier?

      In die Überlegung vertieft, den Rückzug anzutreten, fuhr ich erschrocken zusammen, als mir jemand von hinten die Augen zuhielt.

      Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, wer hinter mir stand – ich konnte ihn riechen! Eine Tatsache, die mich zutiefst erschütterte! Nicht nur, dass ich Mark sprichwörtlich gut riechen konnte, nein – ich erkannte seinen Geruch sogar, wenn ich ihn gar nicht sah!

      Kaum hatte ich seine Hände von meinem Gesicht entfernt, wich ich prompt einen Schritt zurück, um den leckeren Duft seines Rasierwassers wieder aus der Nase zu kriegen. Und da stand er! Erschöpft von seinem Auftritt, mit einem Handtuch um den Hals und dem nettesten Lächeln, das ich je gesehen hatte, im Gesicht, empfing Mark mich mit den Worten: „Wie schön, dass du da bist!“ Und in diesem Augenblick erhellte sich das Dunkel der Nacht.

      „Wollen wir reingehen?“, fragte ich verlegen grinsend.

      „Klar! Aber drinnen ist es sehr laut, daher muss ich dir hier draußen noch dringend etwas sagen“, eine kurze Pause folgte, „du siehst wirklich außergewöhnlich hübsch aus heute Abend!“ Natürlich hatte ich gehofft, ihm zu gefallen, aber dieses Kompliment war zu schön, um wahr zu sein! Um abzulenken, gab ich Mark rasch die Ausdrucke der Bäder, die er irgendwo in der Vielfalt seiner Klamotten unterbrachte, und zog ihn am Arm hinter mir her, am Türsteher vorbei, in Richtung Kasse.

      Da ich zwei Jahre in dieser Location gekellnert hatte, kannte ich dort beinahe jeden. Ob Kassiererin, Garderobenfrau, Barkeeper oder Geschäftsführer, sie freuten sich alle über ein Wiedersehen. Ich wurde hochgehoben, herumgewirbelt und geküsst, bis man mich Luft holen ließ und mir etwas zu trinken spendierte. Das war natürlich ein cooler Auftritt meinerseits, obwohl ich das inhaltslose Getue im Nachtleben normalerweise grenzenlos oberflächlich fand!

      Mark, der mich eigentlich auf ein Getränk einladen wollte, konnte mit alldem nicht viel anfangen. Verunsichert stand er hinter mir und schien einfach nur zu hoffen, dass es bald vorbeiging.

      „Wie wenig ich doch von dir weiß! Du steckst wirklich voller Überraschungen, das ist mir gestern schon aufgefallen!“ Nachdenklich sah er mich dabei an. Da ich aber weder vorhatte, ihm hier und jetzt mein Leben haarklein zu erzählen, noch auf Tom näher einzugehen, ignorierte ich die Doppeldeutigkeit seiner Worte.

      „Tja, so ist das wohl!“, antwortete ich aus diesem Grund nur knapp, und Mark merkte, dass er sich für den Moment zufriedengeben musste.

      „Wollen wir weitergehen?“ Er hatte verstanden und forderte mich mit seiner Frage subtil dazu auf, wenigstens der Begrüßungszeremonie ein Ende zu bereiten, die merklich seinen Unmut weckte. Ich nickte, und wir betraten den Saal, in dem die „Commanders“ bereits die Bühne rockten.

      Hunderte von Menschen wuselten angeschickert, aber gut drauf um uns herum. Und weil die Band so laut spielte, dass eine Unterhaltung kaum möglich war, standen wir nur eng nebeneinander und lauschten der Musik. Irgendwann beugte sich Mark zu mir herunter und brüllte mir ins Ohr: „Schau mal, da ist Sanchos!“

      Das fehlte mir gerade noch! Doch dieser grüßte nur freundlich aus ein paar Metern Entfernung und kümmerte sich nicht weiter um uns. Sehr gut. Aus den Lautsprechern dröhnte der Bass der Musiker so laut, dass mein Brustbein alarmierend vibrierte, und doch kann ich mich bis heute nicht daran erinnern, ob mir die Band gefallen hatte. Was ich noch vor mir sehe, als wäre es gestern gewesen, ist Mark. Erhaben ragte er zwischen all den Menschen heraus, genoss den Sound und wandte sich mit erhobenem Kinn der Bühne zu. Dieses Bild werde ich nie vergessen und auch nicht, wie mein Körper darauf reagierte.

      Nach den Zugaben leerte sich der Saal, und auch ich wollte mich verabschieden. Darauf reagierte Mark jedoch unverzüglich und lud mich schnell nach nebenan in ein Restaurant zum Essen ein. (Wieder ein Italiener!) Genau wie ich wurde auch Sanchos attackiert, der bisher brav Abstand gehalten hatte. Beide ergaben wir uns und zogen gemeinsam los. Im Lokal bot Mark mir den Platz zu seiner Rechten an, Sanchos setzte sich uns gegenüber. Wir bestellten Wein, und ich ließ mich von Mark zu einer gemeinsamen Spinatpizza XXL überreden.

      Sanchos schien die Situation anfangs ebenso peinlich zu sein wie mir: Die Verkuppelungsaktion hatten wir beide nicht vergessen. Aber nach und nach lockerte sich die Stimmung, bis wir albern miteinander flachsten. Mark schien indessen mit seinem Abend rundherum zufrieden zu sein. Er grinste ununterbrochen vor sich hin, und als ich ihn fragend ansah, flüsterte er leise: „Siehst du, nun essen wir doch noch gemeinsam, und wir haben sogar einen Anstands-Wau-Wau dabei – so kann gar nichts passieren!“ Das war also der Grund für sein Drängen in Sanchos Richtung, uns zu begleiten.

      Während ich noch über das eben Gehörte nachdachte, brachte uns die Bedienung unsere Pizza, und auch ich freute mich darüber, hier zu sein. Auch der Lärmpegel des überfüllten Restaurants störte mich nicht. Ich saß hier mit Mark, genoss