Norma Rank

Schlampe, Opfer, Schwein.


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den wir dank Heidi Klum nun endlich alle kennen. Man könnte aber auch sagen, dass sie den Schauspielerinnen aus den 60er-Jahren ähnelte. Vom Typ her würde ich auf eine „Ava Gardner“ tippen. Dementsprechend trug sie ihr glattes, beinahe schwarzes Haar, das offenbar frisch getönt war, zu einem eleganten Knoten hochgesteckt. Eine einzelne Strähne nur fiel ihr spielerisch ins Gesicht und bildete den Kontrast zu ihrem makellosen Teint. Der verführerische Ausdruck in ihren Katzenaugen und das bezaubernde Lächeln ließen vermuten, dass Helga sich ihrer Wirkung durchaus bewusst war und es sie sogar amüsierte. Das schicke und mit Sicherheit teure Kleid reichte ihr bis knapp über die Knie. Sie wäre bestimmt auch in einer Jogginghose eine Augenweide gewesen, aber auf dezente Weise in Schale geschmissen war sie einfach nur hinreißend.

      Und auch wenn sie die Volljährigkeit doch um einige Jahre überschritten hatte, unterstrich gerade die vorhandene Reife ihre Attraktivität, und ich konnte verstehen, warum sie in ihrem Alter noch so gut im Geschäft war. Meine Überlegungen, sie beruhigen zu müssen oder ihr gar zu erklären, dass Mark und ich nichts weiter taten, als alten Menschen zur einer hübschen häuslichen Umgebung zu verhelfen, wirkten plötzlich ebenso lächerlich wie fehl am Platz. Sie musste keine Phobie pflegen, in der Annahme, dass ihr jemand ihren Gatten ausspannen könnte, denn ein Format wie sie würde kein Mann freiwillig hergeben, davon war ich mittlerweile überzeugter denn je.

      Sie schien es zu genießen, dass sie die Blicke der Leute auf sich zog, was ihr einen selbstbewussten Ausdruck verlieh, ohne auch nur den Hauch von Überheblichkeit zu präsentieren. Mark hatte wirklich Geschmack. „Sie ist wunderschön“, dachte ich bewundernd und senkte verschämt meinen Blick. Das gab mir nun wirklich den Rest. Wie ich schon geschrieben habe, stand es mit meinem Selbstbewusstsein heute eh nicht gerade zum Besten, aber jetzt fühlte ich mich tatsächlich wie ein hässliches Entlein. Ich inspizierte also weiterhin den Fußboden, ganz nach dem Motto, wenn ich Helga nicht ansah, konnte sie mich auch nicht sehen – eine Theorie, die in der Praxis leider nicht funktionierte.

      Mutter und Tochter näherten sich unabdingbar, und wie Kinder nun mal sind, fiel die Kleine direkt um den Hals ihres Vaters.

      Aus die Zweisamkeit! Eine Ewigkeit später, so kam es mir zumindest vor, stand ich auf und gab der „Gardner“ mühsam lächelnd die Hand – Mark stellte uns vor. Auch Ramona und ich sagten brav „Hallo“, wir kannten uns ja bereits von meinem Vorstellungstermin. Die Begrüßung zwischen Helga und ihrem Mann verlief eher neutral, sodass mich ihre besorgte Erkundigung nach seinen Kopfschmerzen schon fast verwunderte.

      Abschätzend musterte sie mich, ebenso argwöhnisch wie prüfend, von Kopf bis Fuß, schien aber keine wirkliche Gefahr in mir zu erkennen. Sie war bestimmt eineinhalb Köpfe größer als ich und damit für eine Frau sehr groß, was mich unweigerlich beeindruckte. Umgekehrt stellte ich offenbar keinen ernstzunehmenden Gegner dar. Ihre Begeisterung, mich kennen zu lernen, hielt sich allem Anschein nach in Grenzen, und mein Bemühen, einen nicht allzu schlechten Eindruck zu hinterlassen, fruchtete nicht. Unschlüssig stand sie kurz vor mir und betrachtete mich eingehend, dann setzte sie sich endlich und platzierte ihr Kind besitzergreifend neben sich.

      Ob sie sich Fremden gegenüber generell so verhielt, konnte ich zwar nicht beurteilen, aber eines stand in jedem Fall fest: Meine Anwesenheit störte sie. Betroffen wurde mir klar, dass sie sich für mich nie erwärmen, geschweige denn den privaten Umgang mit Mark dulden würde. Weitere Gedanken mussten allerdings auf später verschoben werden, denn ich musste mich voll und ganz auf das Geschehen konzentrieren, um nicht am Ende noch vor lauter Anspannung an meinem eigenen Speichel zu ersticken.

      Neugierig wollte Ramona haarklein wissen, woran Papa gerade arbeitete, und berichtete stolz davon, wie sie in der Schule eine Puppe gebastelt hatte.

      Mit anderen Worten, es erwies sich als äußerst schwierig, sich weiterhin mit Erwachsenen-Dingen auseinanderzusetzen. Was sollte ich nun tun? Um mich etwas zu sammeln, stand ich auf und ging zur Toilette. So wurde dem Problem zwar keine Abhilfe geschaffen, doch der Ausdruck, sich zu „erleichtern“, musste ja irgendwo herkommen, und des Versuchs war’s wert. Nach meiner Rückkehr kam ich mir allerdings noch um ein Vielfaches blöder vor. Die Engels saßen beisammen, als wären sie Teil eines Werbespots für das Magazin „Familie & Co.“. Hier hatte ich schlichtweg nichts verloren, daher bat ich den Kellner kurzentschlossen um die Rechnung. Die Lust zum Bleiben war mir ohnehin vergangen, und ich betonte übertrieben, dass mein Freund Tom mich seit einer Stunde dringend erwartete. Mark – der anscheinend keine Ahnung hatte, wie er sich verhalten sollte – packte mir verklemmt die nötigen Unterlagen zusammen. Ich zahlte selbst für Speise und Getränk und sah nach einer kurzen Verabschiedung zu, dass ich Land gewann.

      Während ich mein künstlich hochgeschraubtes Lächeln in Richtung Auto trug, in dem Bewusstsein, dass man mich durch die Scheibe des Lokals sehen konnte, fing ich innerlich an zu kochen. Und dieses Mal lag es nicht daran, dass ich Mark anziehend fand, sondern mich über ihn ärgerte.

      Je mehr ich über das Treffen nachdachte, desto wütender wurde ich auf den Mann, der es initiiert hatte, aber auch auf mich selbst. Er hätte mich vorab warnen können. Und ich hätte genauer nachfragen müssen, was mich erwarten würde. Von meiner Naivität peinlich berührt, stieg ich in meinen Wagen und fuhr los, ohne mich noch einmal umzudrehen.

      Da aber – objektiv betrachtet – gar nichts „Schlimmes“ passiert war, konnte ich Mark kaum einen Vorwurf machen, ohne mein Interesse an ihm zu verraten. Oder hätte ich beichten sollen, wie überaus wohl ich mich normalerweise in seiner Gesellschaft fühlte? Dass mir eigentlich nur noch ein paar Kerzen am Tisch und der anschließende Abstecher in meine Wohnung gefehlt hätten? Wohl kaum! Ausgeschlossen!

      Ich erkannte, wie sehr mich das Umfeld bei „K-Messe“ schützte, wie es Mark und mich vor gefährlicher Zweisamkeit bewahrte. Aber warum hatte er mich heute seiner Familie vorgeführt? Wollte auch er eine Barriere schaffen? Spürte auch er die Gefahr?

      Wie galt es sich jetzt zu verhalten? Kontakt mit einem verheirateten Mann bedeutete nun mal, dass unser Geschlecht bei einem kollegialen, freundschaftlichen Umgang keine Rolle spielen durfte.

      Während ich noch vor mich hin sinnierte, tauchte – wie aus dem Nichts – ein völlig neuer Gedanke auf: Mark hatte mich um Hilfe gebeten, da ihm die Arbeit alleine zu viel wurde. Das konnte nur heißen, dass zu wenig Raum für sein Privatleben übrigblieb und er in mir eine Lösung für dieses Problem sah. War ich vielleicht einfach nur praktisch?

      Konnte es sein, dass ich mich geirrt hatte, was das Knistern zwischen uns betraf? Sah Mark vielleicht nur den Vorteil in mir, nützlich zu sein? Würde mir im nächsten Schritt angeboten werden, den Babysitter für Ramona zu spielen, damit Helga und Mark mehr Zeit füreinander hatten, um mal wieder auszugehen?

      Mir schwirrte der Kopf! Wie einfältig von mir zu glauben, dass ich Mark etwas bedeuten könnte! Litt ich etwa an Größenwahn? Schließlich hatte ich gerade eben erst gesehen, wie perfekt das Gefüge Engel in der Praxis funktionierte. Aber gut – ich würde meine Gefühle schon dazu bekommen, sich wieder zu beruhigen und die Dinge stattdessen geschäftlicher sehen. Alles andere machte ja eh keinen Sinn. Und wenn es meine Rolle war, dem Ehepaar gemeinsame Zeit zu schenken, dann sollte das eben so sein! Meine ausgeprägte soziale Ader würde schon damit zurechtkommen! Und ich hatte ja immer noch Tom.

      Dieser wartete allerdings an jenem Abend nicht auf mich. Ich hatte gelogen, in dem Glauben, mich dadurch besser zu fühlen, was mir aber nicht gelingen wollte. Ein fader Nachgeschmack blieb, ebenso wie die bittere Erkenntnis, dass die Liaison mit Tom mich nicht ausfüllte.

      Zu Hause angekommen, machte ich schnurstracks meinen Computer an. Die Arbeit würde mich ablenken, und der Abend war noch jung. Ich hatte keine Lust zu grübeln, deshalb öffnete ich eine Flasche Wein und gab mir redlich Mühe, mein Augenmerk auf die zu konzipierenden Bäder zu richten. Mein Auftrag war es, das vorhin Besprochene in Form einer ausgereiften Zeichnung so umzusetzen, dass der Auftraggeber eine Grundlage für seinen Finanzierungsantrag bei der Bank bekam. Kein Kredit – kein Projekt! Also ran an den Speck! Ich hatte Mark zugesagt, ihm im Laufe des nächsten Tages die Renderings per Mail zu schicken, und dem würde ich auch Folge leisten! Hier hatten Befindlichkeiten nichts verloren – Bier ist Bier, und Geld ist Geld!

      Um