Eine Pause einlegen, wann immer es sein Gefühl verlangte. Seine Zweifel für diese Reise sind zu diesem Zeitpunkt bereits in weite Ferne gerückt.
Die Landstraße nach Girona hat Shoel in den Achtzigern schon mal unter seine Räder genommen, es sollte eine Erinnerungstour sein. Das erste Mal, als Shoel schon mal diese Strecke befuhr, war es mit einem schwarzen 54er Export-Käfer, dem Nachfolger seiner heiß geliebten Isetta. Es war das Jahr 1966. Das Schiebedach weit geöffnet und die offenen Seitenfenster sorgten für starken Luftdurchzug. Das Kofferradio auf voller Lautstärke.
Was es trällerte, daran kann sich Shoel nicht mehr erinnern. Eine kleine Familienpension in Lloret de Mar, das war damals sein Reiseziel.
Wie Perlen an einer endlosen Schnur reihen sich hier touristische Urlaubsorte wie
Badalona, Mataro, Pineda de Mar, Lloret de Mar, Sant Feliu, Palafrugell, Roses und viele andere an einander. Es sind alles Orte, die besonders in den Fünfzigern und Sechzigern gerne von deutschen Touristen mit dem eigenen Wagen besucht wurden.
Es war schon spanisch und trotzdem nicht allzu weit von Deutschland entfernt. Nach Spanien zu fahren, galt seiner Zeit als etwas Besonderes. Es ließ sich in einem Rutsch erreichen. Es klang wie ein Abendteuer, wenn man zum Nachbarn sagte: „Diesmal geht es nach Spanien mit dem eigenen Wagen!“
Etliche Deutsche erwarben in Spanien Eigentum. So dass sich ihre zukünftigen Reisen ohne großes Reisegepäck bewältigen ließen. Ähnlich sind auch die Urlaubsorte geprägt. Überall erkennt man deutsche Vergangenheit. Sei es eine Würstelbude, sei es eine Strandkneipe. Liest man ein Schild mit dem Hinweis „Pizza“ muss es sich nicht unbedingt um einen Italiener handeln. In den Siebzigern fuhr man dann gerne schon etwas weiter in das spanische Land hinein. Man wagte sich nach Süden bis an die Costa del Sol vor. Sonderflüge wurden angeboten und man ließ auch schon mal ein Fahrzeug am Urlaubsort zurück, so dass man sich schon als Insider fühlten durfte.
Die Kennzeichen der Fahrzeuge deuten ebenfalls auf eine deutsche Invasion hin. Nur die Franzosen, treten hier in noch größeren Mengen auf. Für sie ist es ein Katzensprung. Billiger wie die Coté Azur, aber doch die gleiche wärmende Sonne.
Nach einer guten Stunde des Fahrens, entschließt sich Shoel einem Wegweiser zu folgen, der auf einen großen Touristenstrand hinweist, nämlich Pineda de Mar.
Er erinnert sich noch gut, dass er hier mit seinem Fahrzeug fast bis an den Strand heranfahren kann. So ist es dann damals auch tatsächlich passiert.
Unzählige fliegende Händler haben sich hier auf Touristen eingerichtet.
Über dem Strand weht ein Duft von gegrilltem Fisch, Fleisch und natürlich auch deutschem Bier, angebranntes Sonnenöl lässt sich ebenfalls deutlich wahrnehmen.
Es ist der Geruch des Südens, wie es die Urlauber aus allen Herrenländern nennen.
Shoel sucht sich einen Stellplatz der etwas im Abseits liegt. Vielleicht will er sich ja auch gleich für die kommende Nacht häuslich einrichten. Noch sieht er sich um, hält Ausschau nach einem Verbotsschild, aber er beruhigt sich, nichts deutet auf etwas Verbotenes hin. Das Fahrzeug noch etwas ausgerichtet, so dass er am nächsten Morgen von südlicher Sonne geweckt wird.
Auf einen Campingplatz will Shoel eigentlich nur im Notfall. Seine Vorgabe ist, dass er sich so oft wie möglich auf öffentliche Stellplätze begibt. Ein Zigeuner kann sich ja einen Campingplatz gar nicht leisten. Shoel hat sich ausgerechnet, dass er sich nur zweimal pro Woche auf einen Campingplatz begibt. Hier kann er Wasser bunkern und das WC und den Abwassertank entleeren. Wäsche muss gewaschen werden und das Fahrzeug sollte jede Woche einer Reinigung unterzogen werden. Shoel hat für dieses Vorgehen extra einen kleinen Staubsauger im Gepäck. Mal sehen, ob er das wirklich so durchziehen kann. Improvisation ist alles, das weiß jeder Freund vom Camping.
An diesem Abend gesellt sich noch ein weiteres Fahrzeug an seine Seite. Ganz nach dem Motto, „Wenn da schon einer steht, kann es nicht verboten sein!“
Ein Holländer, wie er unschwer an seinem Kennzeichen zu erkennen ist. Ein betagtes Fahrzeug und die vielen fremdländischen Aufkleber erzählen von einem aufregenden Camperleben. Auch die beiden Personen, sind deutlich gezeichnet. Braungebrannt und faltig sind ihre Gesichter. Die Haare etwas verwegen gen Himmel stehend. Kaum haben sie sich häuslich auf ihrer schmalen Stellfläche eingerichtet, klopft es auch schon an Shoels Fahrzeugtüre.
Mit einem freundlichen Lächeln, steht der neue Nachbar mit einem Bier in der Hand an Shoels Fahrzeugtüre. Was folgt ist eine herzliche Begrüßung und heftiges Händeschütteln.
Keine Frage, Shoel kann sich diesem freundlichen Gesicht nicht verschließen. Gerne folgt er der Einladung und steuert einen Teil seines Kühlschrankinhalts zum abendlichen Festschmaus bei. Bis spät in die Nacht wird gelacht, erzählt und ein Bier folgt dem nächsten. Erst als der neue Freund mit seiner Frau eine Schnapsflasche auf den Tisch stellt, meint Shoel, dass er nun in seine Koje muss.
Einen Blick auf die Uhr, verrät ihm, dass es zwischenzeitlich schon halb zwei ist. Die warme Luft hat sämtliches Zeitgefühl verdrängt. Es ist nun wirklich Zeit, um an der Matratze zu horchen. Auch wenn man an so einem angenehmen Ort, die Nacht zum Tag machen möchte.
Am nächsten Morgen glaubt Shoel seinen Augen nicht, halb zehn, so lange hat er schon lange nicht mehr geschlafen. Ein Blick aus dem Fahrzeug, verrät ihm, dass seine Nachbarn bereits das Strandleben genießen.
Anfangs erkennt er nur zwei dicke von Öl triefende nackte Oberkörper. Es kommt ihm fast automatisch ein Bild in den Sinn, das ihn an die Schaufenster seines Metzgers mit der Wurstauslage erinnert. In seinem Kopf folgen Bilder wie, Weißwurst und Schinken. Schnell schließt er seinen Vorhang, will er doch eigentlich an das Frühstück mit frischen Croissants denken.
In seinem Blickfeld zur Linken erkennt er Campingliegen, ein Grillgerät samt einem passenden Sonnenschirm in hellem Beige, damit ist wohl tatsächlich der diesjährige Sommer eingeläutet.
Auf diesen Anblick hätte Shoel gerne verzichtet, dachte er doch eigentlich an einen weiten Sandstrand, mit Strandcafé und frischen Baguette, belegt mit Serrano Schinken und einem von weitem heranziehenden Duft eines „Café con leche“.
Seine Enttäuschung über die zwei aufgequollenen Wursthälften in seinem Blickfeld gibt ihm den klaren Hinweis, an diesem Platz nicht ewig zu verweilen.
Shoel hat den Eindruck, dass seine neu gewonnen Freunde hier für die nächsten Wochen einen festen Standplatz gefunden haben.
Shoel öffnet seine breite Schiebetüre um die morgendliche Sonne hereinzulassen. Seinen Klapptisch stellt er vor sein Fahrzeug und den Regiestuhl klappt er ebenfalls aus. Beginnt den Tisch zu richten und so sieht er einem traumhaften Tag entgegen.
Wolkenlos ist der Himmel. Seit einigen Minuten finden sich weitere Camper ein. Es scheint ein beliebter Platz zu sein. Nur mit einem Zigeunerleben hat das alles nichts zu tun, darüber ist sich Shoel im Klaren. Trotzdem wird er noch zwei Tage bleiben, nur so, um sich an sein Schneckenhaus zu gewöhnen.
Es ist ja doch ein völlig anderes Leben, wie sein bisheriges. Ein wenig improvisiert, oft fehlt das Gewohnte das den Alltag auch erleichtert. Aber es war Shoels Wunsch so zu leben und er wird sich daran gewöhnen, dass man mit dem Wasservorrat sparen muss oder dass man mit dem eingeschalteten Licht im Fahrzeug Innenraum sparsam umgeht um die Batterie zu schonen. Da ist sich Shoel ganz sicher. Für den morgigen Tag wird die Wäsche sortiert und die kurze Sommerhose wird aus dem Koffer gekramt. Ein wenig verknittert ist sie noch, aber das macht nichts.
Schnell ist die erste Woche vorüber und es hat sich vieles in Shoels Leben verändert. Er hat viel zu viel ausgegeben, er muss ein Haushalsbuch führen, sonst ist er bereits zur Monatshälfte pleite.
Pro Woche hat er sich vorgenommen, mit hundert Euro auszukommen. Dazu kommt zweimal im Monat ein voller Tank. Mehr ist nicht drin, das ist die Vorgabe für sein Zigeunerleben.
Mit einem vollen Tank kommt Shoel fast neunhundert Kilometer, das muss doch reichen.
Morgen wird Shoel seinen Standplatz an der Costa Brava verlassen. Aus drei, sind inzwischen