Michael Geigenberger

Shoel - endlich frei!


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Dann sieht er wieder das Blut an seiner Hand. Er will es abwaschen, entscheidet sich aber anders. Zuerst will er nach der Verletzten sehen.

      Nach wenigen Minuten steht er vor dem Hospital. Sucht einen Parkplatz und geht auf das Portal zu. Am Empfang gibt es erste Verständigungsprobleme. Erst als eine Hilfsschwester kommt, kann Shoel seinen Wunsch vortragen. Nur wissen, wie es der jungen Frau geht, mehr will er nicht. Die Hilfsschwester überlegt und bittet ihn, ein wenig Geduld zu haben, sie wird sich erkundigen.

      Dann kommt sie nochmal zurück und fragt Shoel, ob er der Ehemann sei, oder vielleicht ein anderer Verwandter. „Nein, ich wollte nur helfen und sehen, wie es ihr jetzt geht.“

      Mehr bringt er nicht heraus. Aber die Schwester winkt und bittet um Geduld. Shoel überlegt, ob es wirklich richtig ist, hier zu bleiben.

      Soll er nicht doch besser einfach weiterfahren? Diese Entscheidung wird ihm abgenommen, da bereits die Hilfsschwester auf ihn zukommt und ihn bittet ihr zu folgen.

      Eine hilflose Person liegt nun vor ihm. In einem Krankenbett, mit dicken Verbänden an den Armen und Beinen, auch im Gesicht zeigen sich Schürfwunden.

      Die ihm Unbekannte versucht Shoel die Hand entgegen zu strecken, was ihr aber nicht gelingen will. So ergreift er die ihre und hält sie kurz gedrückt.

      Ein Lächeln zeigt sich auf ihren Lippen und dann zwinkert sie sogar noch mit dem linken Auge. Die Krankenschwester tritt an die Seite von Shoel und so kann er sie bitten zu übersetzen. Aber nach dem ersten Satz meint die Verletzte, dass sie ihn gut verstehen kann. Noch mit schwacher Stimme erklärt sie, dass sie vor einigen Jahren in Österreich gelebt hat, daher die Sprache recht gut spricht und auch versteht.

      Shoel bleibt an ihrem Krankenbett und so erzählt er von seiner Reise und dass alles nur Zufall war, dass er kurz nach dem Unfall an ihre Seite kam. Dann aber kommt ein Arzt im weißen Kittel und bittet Shoel das Zimmer zu verlassen. Die Besuchszeit ist zu Ende. Morgen könnte er nochmal vorbeischauen, meint er mit einer Handbewegung, die ihm klarmacht, dass er den Raum verlassen muss.

      An der Türe dreht sich Shoel nochmals um und winkt, so als wolle er sagen, dass er morgen früh wieder an ihrem Krankenbett sein wird.

      Wird er das? Sollte er sich tatsächlich nochmals zeigen. Was würde da für eine Verbindung entstehen. Deutlich spürt er noch, ihren Händedruck. Dann sieht er wieder das Blut an seiner linken Hand. Zeit es endlich zu entfernen. Er geht auf die Türe einer Herrentoilette zu. Während er sich die Hand wäscht wirft er einen Blick in den Spiegel. Sein Gegenüber scheint ihm gerade klarzumachen, dass er sich jetzt nicht einfach wegstehlen kann. Zumindest wird er noch nach Ihrem Namen fragen, vielleicht erhält er auch eine Telefonnummer?

      3/4. Die Zigeunerin, ein Zigeunerleben

      „Sie ist eine Zigeunerin“, meint die zuständige Schwester am Empfang. „Sie können ruhig fahren, die Familie ist verständigt. Spätestens in einer Viertelstunde werden sie alle da sein, der gesamte Clan wird auftauchen. Machen sie sich also keine Sorgen, fahren sie ruhig!“

      Zigeunerin? Shoel überlegt, so wie er, der wie ein Zigeuner leben will. Oder ist sie eine richtige Zigeunerin? So wie es hier in der Camarqué etliche gibt? Eine innere Stimme sagt ihm, dass er die Familie kennenlernen will.

      Warum nicht, wenn sie ihn nicht mögen, dann kann er ja immer noch weiterfahren. Auf einen Versuch lässt es Shoel ankommen. Gleich am nächsten Morgen wird er sie erneut besuchen.

      Shoel verzieht sich in sein Wohnmobil und parkt es ganz in der Nähe des Klinikums.

      Noch einmal in ihre Augen sehen, noch einmal ihre Hand drücken. Dann wird er entscheiden. Aber was wohl?

      Sein Fahrzeug steht so, dass er das Klinikum im Blick hat. Er glaubt sogar, dass er ihr Zimmer ausmachen kann. Im dritten Stock, das letzte Zimmer im langen Gang.

      Shoel blickt auf seine Uhr, die ihm klar und deutlich sagt, dass es halb fünf früh ist. Also, um diese Zeit kann er auf keinen Fall in der Klinik auftauchen.

      So beginnt er sich Gedanken darüber zu machen, wie er seine Reise fortsetzen wird. Eines ist inzwischen klar, gegen neun wird er sie besuchen, sich ihren Namen geben lassen und dann wird er sich verabschieden.

      Sie hat eine Familie, vielleicht sogar einen festen Freund. Die Hierarchie bei den Zigeunerfamilien ist gefestigt, da kann man nicht einfach als Besucher eindringen, darüber ist sich Shoel sicher. Shoel beginnt damit ihr einen Namen zu geben. Überlegt, wie sie wohl heißen mag. Während er seinen Gedanken nachhängt, setzt er seinen Kaffee auf, richtet sich den Frühstückstisch.

      Noch die Semmeln von gestern in den kleinen Backofen geschoben, dann lässt er seine Gedanken weiter um die Unbekannte kreisen. Als Shoel wieder auf die Uhr sieht, ist es kurz vor neun. Da hat er doch tatsächlich die ganze Zeit verträumt. In seinen Gedanken sieht er sich bereits an ihrem Krankenbett. Was für eine Augenfarbe hat sie eigentlich? Dunkel, ja dunkel waren sie, da ist er sich ganz sicher. Schwarz oder Braun, ja das glaubt er nun ganz sicher.

      Dann aber, nachdem Shoel sein Fahrzeug geordnet hat, alle Frühstückssachen in die schmalen kleinen Schränke verräumt hat, zieht er noch seine leichten Wanderschuhe an und macht sich auf den Weg zum Hospital. Dreihundert Meter, mehr ist es nicht.

      Sein Blick ist auf das vermeintliche Zimmer gerichtet. Er hofft, dass sie vielleicht am Fenster steht und ihn schon von weitem erkennen könnte.

      Aber was hat er da für Gedanken, sie liegt ja bewegungslos in ihrem Bett. Zuerst müssen ja ihre Verletzungen heilen, bevor sie sich am Fenster zeigen könnte.

      An der Rezeption des Krankenhauses, wird er nach seinem Namen gefragt und dann soll er einen Zettel ausfüllen, worin er erklären muss, wen er zu besuchen beabsichtigt.

      Shoel überlegt kurz, versucht sich daran zu erinnern, welche Zimmernummer der Raum hatte. Es will ihm nicht einfallen, so fragt er das junge Fräulein nach einer Zigeunerin, die er hier gestern abgeliefert hat. „Ein Autounfall“, meint er noch erklären zu müssen.

      „Dritter Stock, Zimmer dreihunderteinundzwanzig, aber die Eltern sind gerade gekommen.“

      „Danke, dann werde ich etwas warten.“ Erklärt Shoel.

      Shoel nimmt die Treppe, da er ja nicht stören will, wenn die Eltern zu Besuch sind.

      Dann sieht er durch das Fenster in der Türe, dass nicht nur die Eltern im Raum sind, es sind mindestens fünf Personen, die um das Krankenbett herum stehen.

      Die überwiegende Kleiderfarbe im Raum ist schwarz. Das liegt wohl daran, muss Shoel erkennen, dass es vier Frauen und nur ein Mann sind, die Frauen tragen bodenlange schwarze Röcke. Shoel überlegt, ob er wirklich eintreten soll. Was werden sie sagen, vielleicht vermuten sie, dass er, Shoel vielleicht mit im Fahrzeug gesessen hat. So könnten sie vielleicht einen falschen Eindruck von ihm bekommen.

      Egal, denkt Shoel, drückt auf die Klinke der Zimmertüre und betritt den Raum.

      Über die Reaktion der besuchenden Personen ist er doch sehr erstaunt. Als würden sie ihn kennen. Eine ältere Frau fällt Shoel um den Hals und küsst ihn auf die Wangen. Sie beginnen auf ihn einzureden, aber Shoel versteht kein Wort.

      Dann sieht er, dass die junge Frau im Bett ihre Hand nach Shoel ausstreckt. Der Vater schiebt ihn dicht an das Bett und so gelingt es Shoel, die Hand von seiner noch immer unbekannten Frau zu drücken.

      Shoel blickt ihr in die Augen um umgehend feststellen zu können, dass ihre Augenfarbe tatsächlich dunkel braun ist. Er bildet sich ein, dass sie eine Träne im Augenwinkel hat. Eine Freudenträne? Shoel ist gerührt und muss sich ernsthaft zusammen nehmen, damit ihm nicht Gleiches widerfährt.

      Janine, ihr Name ist Janine, Gott sei Dank hat ihr Vater sie gerade so gerufen. Janine das Zigeunermädchen. Was nun folgt ist ein unmissverständliches Kauderwelsch von Worten. Bis der Vater von Janine einschreitet und nach Shoels Nationalität fragt.

      So einigt man sich auf Deutsch. Schon nach wenigen Minuten erfährt Shoel, dass die