Michael Geigenberger

Shoel - endlich frei!


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ehemaligen Chef in Österreich erhalten. Dann wurde er von diesem Tag an, nur noch der Kaiser genannt.“

      Die Mutter nennen sie alle nur die „Chefin“. Sie trägt die Verantwortung für die Kinder und für alles was im Haus zu geschehen hat. Sie unterrichtet auch die Kinder in allen Fragen des öffentlichen Lebens. Seit einigen Monaten gibt es endlich einen Schulbus. So ist ein regelmäßiger Besuch des Unterrichts gewährleistet.

      Der nächste Ort in dem sich eine Schule befindet ist Aigues-Mortes. Die Schule stammt noch aus den Fünfzigern und benötigt dringend eine Renovierung, meint der Vater.

      Shoel ist mit dem Kaiser in ein Gespräch vertieft, als plötzlich die Chefin sich zu ihnen gesellt. Sie meint, dass sie nochmals ins Hospital fahren möchte und ob Shoel sie begleiten möchte. Schnell erkennt Shoel, dass er in das Familiengeschehen eingebunden wird. Vater wie auch die Mutter scheinen ihn für einen geeigneten Hochzeitskandidaten, für die beiden hübschen Töchter zu halten.

      Noch hat ihnen Shoel nicht erzählt, dass er liiert ist. Aber er nimmt sich vor, es bei nächsten Gelegenheit zu klären.

      Der tägliche Besuch im Krankhaus ist fast schon zur Gewohnheit geworden. Shoel muss nun nicht mehr Auskunft geben, nein die Schwester an der Rezeption winkt nur noch und fragt nicht weiter.

      Die Mutter geht noch schnell beim Oberarzt vorbei, Shoel nutzt die Gelegenheit um allein mit Janine reden zu können. Als er die Türe zum Krankenzimmer öffnet, sieht er Janine am Fenster stehen. „Du darfst schon aufstehen? Bist du nicht noch zu schwach?“

      Janine steht im Sonnenlicht und so kann Shoel ihre Körperkonturen genau erkennen, ist erstaunt, dass sie so zierlich, ja, man könnte sogar sagen fast zerbrechlich ist. Shoel ist in Gedanken versunken, als er ihre Konturen mit seinen Augen nachzieht.

      Janine sieht in an und bittet ihn zu ihr ans Fenster zu kommen. „Ich wollte mich bei dir bedanken, dass du meine Hand gehalten und bei mir geblieben bist. Du musst wissen, ich hatte schreckliche Panik, als ich da so auf der Straße lag.“

      Shoel spürt, dass es ihm näher geht, als er es eigentlich zulassen will. So antwortet er nur kurz. „Das war doch selbstverständlich, das hätte doch jeder gemacht!“

      Janine meint, „Ich darf in drei Tagen nach hause, wirst du dann weiterziehen, oder noch ein paar Tage unser Gast sein?“

      „Ich weiß noch nicht, du musst verstehen, dass ich nicht darauf eingerichtet war, als du so plötzlich in mein Leben getreten bist.“

      Janine wendet sich etwas wackelig zu Shoel. „Lass mich nochmals deine Hand halten, ich möchte deinen Händedruck spüren.“

      Shoel geht auf Janine zu und greift nach ihrer rechten Hand. Genau in diesem Moment geht die Türe auf und Janines Mutter steht im Eingang.

      „Lasst euch durch mich nicht stören.“

      Shoel ist es schrecklich peinlich und so meint er: „Nein, es ist nicht so wie es aussieht“, und geht er einen Schritt zurück.

      So dass sich Janine und Shoel jetzt gegenüber stehen. Shoel spürt ihren Blick und würde diesen jetzt zu gerne erwidern, aber da die Mama, die Chefin im Raum steht, ist er lieber zurückhaltend.

      Die Situation wird erst entspannt, als der Oberarzt an der Türe klopft und herein kommt. Die Mutter und Shoel werden gebeten den Raum zu verlassen, da jetzt Zeit für die Visite ist.

      Sie gehen im Gang auf und ab, bis die Mutter das Wort ergreift. „Vielleicht war es eine Vorsehung, dass ausgerechnet du am Unfallort warst?“

      Shoel meint, „vielleicht“ gibt aber ansonsten keine weitere Antwort. Er ist mit seinen Gedanken weit entfernt. Er überlegt, wie er sich verhalten soll. Zugegeben, die Familie ist wirklich „okay“, wie er immer zu sagen pflegt.

      Natürlich will er die frische Freundschaft nicht einfach wegwerfen. Schließlich ist er auf der Suche nach einem richtigen Zigeunerleben.

      Das kann er nun hautnah erleben und fühlen. Es tut ihm sogar gut, die jungen Burschen aus dem Clan sind zu ihm mehr als freundlich.

      „Und wirst du noch etwas bleiben, wie hast du dich entschlossen?“ fragt ihn nun die Mutter ganz unvermittelt. „Wir könnten dir auch die Laube herrichten, dann kannst du direkt von deinem Fahrzeug hinübersteigen.“

      Shoel erschrickt etwas, irgendwie geht ihm alles zu schnell, aber er weiß auch, eine Entscheidung wird spätestens auf der Rückfahrt zum Anwesen fallen.

      Die Mutter wird nicht locker lassen. Sie sieht in ihm den richtigen Mann für ihre Tochter. Gut, dass er ausgerechnet einen brotlosen Beruf eines Schriftstellers hat. Das spräche eigentlich gegen ihn, aber einen richtigen Mann für Janine in der Camarqué zu finden wird nicht einfach sein, das weiß die Mutter ebenfalls. Auf der Rückfahrt zum Camp erzählt die Mutter, dass Janine ihre Jugend in Österreich verbrachte und es mangelte ihnen an nichts. Janine musste ihre Lehre bei einer Modedesignerin aufgeben, gerade zu einem Zeitpunkt, wo sie so richtig gefallen an ihrer Arbeit fand.

      Kaum befahren sie das Grundstück, kommt ihnen schon einer der jüngeren Burschen entgegen und fragt Shoel ob er sich mit Technik auskennt. „Lass mal sehen, vielleicht kann ich ja helfen.“

      Shoel geht an seiner Seite bis zur großen Halle. Das Problem, wo er vielleicht helfen könnte, ist eine marode Zündspule. Shoel betrachtet sich das gute Stück und holt sich einen kleinen Schraubenzieher und entfernt den Deckel. Ein kurzer Blick reicht um zu wissen, dass das alte Stück hinüber ist. „Wir brauchen Ersatz, mit diesem alten Stück ist kein Start zu machen.“

      Janines Bruder führt ihn zu einem großen Regal, wo sich Ersatzteile zu Hauff befinden. Shoel beginnt zu kramen und wird tatsächlich fündig. Den fehlenden Deckel entnimmt er dem Altteil. „So jetzt versuch es mal, es könnte klappen.“

      Beim Einsetzen des Teils ist Shoel noch behilflich und dann wird auch schon am Anlasser gedreht und der Wagen springt auf Anhieb an. „Super! Danke, du kennst dich anscheinend mit Technik aus. Du kannst bleiben, ein Techniker hat uns nämlich gefehlt.“

      Shoel betrachtet sich das Anwesen nochmal auf dem Weg zu seinem Fahrzeug. Zwei Großfamilien sind hier untergebracht und man hat nicht das Gefühl, dass es eng wird.

      Aber leben könnte Shoel in diesem Chaos nicht, da gibt es keinen Zweifel. Aber lustig findet er es trotzdem, dass er sich doch mit dem Gedanken beschäftigt, hier einzuziehen. Sein Lächeln fällt Janines Mutter auf.

      Sie ist gerade damit beschäftigt das Gemüse für den Mittagstisch zu putzen und zu richten. „Und konntest du helfen“, fragt sie Shoel.

      „Ja, ja die Maschine läuft wieder. War nur eine Kleinigkeit.“

      Die Mutter sieht in lange an und meint dann plötzlich: „Du bist in einer festen Beziehung, hab ich Recht?“

      „Ja, so ist es, wir haben uns auf eine Auszeit verständigt.“

      „Na dann ist ja alles gesagt. Janine wird es hart treffen, wenn sie es erfährt.“

      „Aber wieso denn, zu keiner Zeit hab ich ihr Hoffnungen gemacht“ meint Shoel.

      „Sicher, das hat sie auch nicht behauptet. Sie ahnte nur, dass du sicher eine feste Bindung hast. Mehr hat sie nicht gemeint.“

      „Dann lassen wir es doch ganz einfach bei einem Besuch, der mir sehr hilft einen kleinen Einblick in das Zigeunerleben zu bekommen.“

      Shoel ist froh, dass es endlich ausgesprochen wurde. Aber er erkennt auch das schelmische Lächeln der Mutter, er ist sich sicher, dass es noch nicht zu Ende gedacht ist. Sie sind ja schließlich Zigeuner. In einem Buch über Zigeuner hat Shoel gelesen, dass es absolut üblich ist, dass der Boss eines Clans auch zwei Frauen besitzen kann. Das muss dann sicher ein Arabischer Clan gewesen sein, denkt Shoel.

      Seine Gedanken hängen im Moment bei seinem spanischen Familienleben. Sein schlechtes Gewissen meldet sich und es ist gut dass es sich meldet.

      Nichts wird geschehen, dafür wird er sorgen, das wird er sich selbst versprechen.