Robin Lang

Schön, dich gesehen zu haben


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      Leonie nahm mich in den Arm.

      „Die hat Juris Bandkollege Sascha entworfen und einer seiner Chefs hat sie gestochen. David ist einer der besten Tätowierer, hat man mir gesagt und ihr Studio „Mr. Van T.“ eines der angesagtesten hier in der Gegend. Falls du auch mal eins willst, dann können wir dir bestimmt einen Termin und einen guten Preis besorgen!“

      Ja klar, ich mit Tattoo – dazu war ich zu alt und mein Leben zu spießig!

      Um die - in meinen Augen – zu ernst gewordene Stimmung zu lockern, setzte ich meinen besten „Mutterton“ auf.

      „So, Kinder, zieht euch mal lieber wieder an, bevor ihr euch noch erkältet. Deinem Vater erzählen wir von dem Partnertattoo erstmal nichts. Und dann werf ich euch jetzt raus, ich alte Frau brauche meinen Schlaf, sonst komme ich morgen nicht aus dem Bett!“

      Ich brachte die beiden zur Tür. Dort schafften sie es tatsächlich noch mal, mich fast zum Weinen zu bringen.

      Denn zuerst nahm mich Leonie in den Arm, drückte mich an sich und flüsterte: „Danke, du weißt gar nicht, wie viel mir deine Freundschaft und dein Urteil bedeuten!“ Als nächstes fand ich mich dann auch in Juris Armen wieder und auch der hatte eine kleine Botschaft für mich: „Danke, ich glaube nicht, dass du weißt, was du ihr bedeutest!“

      Ich hoffte so sehr für die beiden, dass der Alltag sie nicht allzu schnell einholen würde und dass sie sich ihre Liebe und Sicht aufeinander noch lange, lange erhalten würden!

      Ich hatte zwar den beiden gegenüber behauptet, dass ich ins Bett müsste, aber an Schlaf war im Grunde nicht wirklich zu denken.

      Der Abend mit den beiden hatte mir jede Menge Stoff zum Grübeln beschafft. Sie waren so verliebt, so voller Träume und Hoffnungen, Ideale und Pläne. Und ich? Wann hatte ich all meine Pläne und Ziele aus den Augen verloren? Als junges Mädchen hatte ich von der großen Liebe geträumt und ich hatte auch gedacht, dass ich sie mit Peter gefunden hätte, aber das Leben hatte mich eines Besseren belehrt und dann hatte ich das Streben danach einfach aufgegeben.

      Ich wusste, dass ich Thomas nicht liebte, zumindest nicht tief.

      Ich wusste, dass er mich nicht liebte, zumindest nicht tief.

      Ich wusste, dass ich ein ernstes Wort mit Peter reden musste wegen der Besuchsregelung der Kindern.

      Ich wusste, dass ich zu jung war, um mein Leben nicht in vollen Zügen zu genießen.

      Ich wusste, dass ich mehr für mich selber tun musste.

      Ich wusste, …

      - Eva -

      September 2016

      Ich hatte mir ein paar Tage und Nächte um die Ohren gehauen mit diesen Gedanken über Veränderung, über mein Leben, über meine Ansprüche an mich selber und dann kam der Alltag zurück und damit auch die Angst und das Bedürfnis nach Stabilität.

      Die Kinder waren aus den Ferien mit Oma und Opa wiedergekommen.

      Sie mussten vor der Arbeit zu den Ferienspielen gebracht und hinterher wieder abgeholt werden.

      Die Hefte und Bücher für das kommende Schuljahr mussten besorgt werden.

      Die neuen Kinder im Kindergarten mussten eingewöhnt werden.

      Die Kleinkriege mit Peter mussten ausgestanden werden.

      Die Wäsche musste erledigt werden.

      Die Einkäufe mussten erledigt werden.

      Die letzte Ferienwoche musste organisiert werden.

      Und eh ich es gemerkt hatte, war ein ganzer Monat im alten Trott vergangen und das Gespräch, die Gedanken, die Gefühle waren in Vergessenheit geraten. Die guten Vorsätze, etwas zu ändern, waren dem üblichen Fatalismus gewichen.

      Eigentlich lief die Beziehung mit Thomas doch gut.

      Eigentlich wollte ich gar keine Veränderung und Aufregung in meinem Leben.

      Und überhaupt – wer wollte schon eine etwas pummelige oder nett ausgedrückt „sportlich-kräftig gebaute“ 40-jährige Frau mit Vorliebe für Abende auf der Couch mit Rotwein und Krimiserien?

      Genau, also würde ich bei Thomas bleiben.

      Und überhaupt, wo sollte ich denn jemanden kennenlernen?

      Ich hatte mich in den letzten Wochen ein paar Mal mit Leonie getroffen. Sie strahlte übers ganze Gesicht und war glücklich. Mittlerweile hatte wohl auch Thomas sich mit der Situation angefreundet. Er war mit den beiden einmal essen gewesen und hatte hinterher zugegeben, dass Juri wohl doch ein „netter Mensch mit Manieren und Anstand“ wäre. Das kam in seinem Universum schon fast einem Ritterschlag gleich.

      Außerdem hatte ich viel Zeit nebenan verbracht – meine Nachbarn waren in ihr neues Haus gezogen. Da der Ehemann im Rollstuhl saß und nicht viel helfen konnte und seine Frau selber gerade eine Baby bekommen hatte, wurde meine Hilfe gerne angenommen. Ab und zu kamen auch Vicci und Paul mit zum Helfen. Sie gingen dann mit dem Baby spazieren oder packten Kleinigkeiten ein.

      Und die Schule hatte wieder angefangen, da hieß es morgens Kinder wecken, Frühstück vorbereiten, Kleinkram organisieren, Brote schmieren, Zähneputzen überwachen, manchmal Mittagessen vorkochen.

      An drei Tagen der Woche kamen die Kinder vor mir nach Hause.

      Paul hatte sich zu Beginn der Sommerferien entschieden, dass er nun nicht mehr in die Übermittagsbetreuung gehen wollte. Dafür musste er mir versprechen, dass er immer auf direktem Weg nach Hause kommen und die Hausaufgaben jeden Tag freiwillig vorlegen würde.

      - Max -

      „Na, ihr beiden. Ich weiß, ich habe euch länger nicht besucht – genau einen Monat nicht. Eine Entschuldigung gibt es nicht. Aber mir fehlte die Kraft. Ich konnte euch nicht besuchen. Vergessen habe ich euch bestimmt nicht. Aber ohne euch …, nun zieht auch noch Lucca weg. Sie hat tatsächlich die Stelle bekommen, nein, nicht tatsächlich, natürlich hat sie sie bekommen. Ich habe mit nichts anderem gerechnet. Sie hat es verdient, aus dem Ort raus zu kommen. Und ich habe es verdient, dass ich alleine bleibe. Ich habe euch nicht schützen können, nicht vor der Welt, nicht vor euch selber. Ich bete jeden Tag dafür, dass ihr mir vergebt, dass es euch gut geht und dass ich mir auch irgendwann vergeben kann. Ich liebe euch und ich vermisse euch.“

      Mit diesen Worten erhob ich mich, stellte die frischen Blumen auf und fuhr die Buchstaben auf dem Grabstein nach.

      Die eine Zeitspanne umfasste fast 30 Jahre.

      Die andere gerade mal einen Tag.

      Die Todesdaten unterschieden sich um einen Monat.

      Es war fast acht Jahre her – sieben Jahre und zehn Monate, sieben Jahre und neun Monate, da war meine Welt, wie ich sie gekannt hatte, zerstört worden. Zerstört durch Zufälle, Unglücke und Unaufmerksamkeit. Seit dem lebte ich weiter, irgendwie. Mal klappte es besser, mal schlechter. Im letzten Monat schlechter. Sonst hätte ich meine beiden Frauen früher besucht. Normalerweise war ich zwei bis vier Mal pro Monat hier. Die Fahrt nahm ich gerne auf mich. Ich war auch nicht immer in so schlechter Stimmung wie in den letzten Tagen. Normalerweise hatte ich mich gut im Griff. Aber die letzten Wochen waren schwerer gewesen. Vielleicht tatsächlich, weil Lucca wegziehen würde. Es war echt paradox. Der einzige Mensch, zu dem ich in den letzten Jahren eine Beziehung aufgebaut hatte, war eine junge Frau, die ich durch einen Unfall zum Krüppel gefahren hatte. Wenn das nicht genug über mich aussagte, dann weiß ich es auch nicht mehr!

      Sie war aber auch der einzige Mensch, der außerhalb meiner Familie meine Geschichte überhaupt kannte. Unsere beiden Schicksale, so unterschiedlich sie auch waren und so wenig wie wir eigentlich gemeinsam hatten, sie hatten uns miteinander verbunden.

      Nachdem ich die